10.09.2012 Frank Kaltenbach

"Architecture. possible here?"- Interview mit Toyo Ito

„Wenn wir glauben, gegen die Natur gewinnen zu können, liegen wir falsch.“

Eineinhalb Jahre nach dem Tsunami in Japan erholt sich die betroffene Region langsam. Doch der Anblick der weitläufigen Landschaft mit den Überresten zerstörter Häuser weckt die lebhafte Erinnerung an die Städte, die hier einst existiert haben. Vereinzelt kommen die Bewohner nun zurück. Sie sind nicht bereit aufzugeben und entschlossen zu beweisen, dass das Leben weitergehen kann. Toyo Ito zeigt seine architektonischen Konzepte für die vom Tsunami betroffenen Landstriche als Beitrag für den japanischen Pavillon auf der Architekturbiennale 2012 und wurde dafür mit dem Goldenen Löwen für den besten Länderpavillon ausgezeichnet.
Kurator: Toyo Ito
Architekten: Kumiko Inui, Sou Fujimoto, Akihisa Hirata
Fotograf: Naoya Hatakeyama

Im Mai 2012, sechs Monate nach der ersten Ortsbesichtigung, besuchten die Architekten erneut das Gebiet in Rikuzentakata. Erste Anzeichen einer Wiederbesiedlung waren zu entdecken und im Juli 2012 war schließlich Baubeginn des "Home for all". Im Gespräch mit DETAIL-Redakteur Frank Kaltenbach erläutert Toyo Ito seine Herangehensweise an das Projekt „Archtecture. possible here? A home for all“ und die Präsentation im japanischen Pavillon auf der Biennale. Grob geschälte Baumstämme, die scheinbar durch den Pavillion hindurch stechen und am Originalschauplatz in Japan die Stützen neuer Gebäude bilden, symbolisieren das Treibholz nach der Überschwemmung. Auch die Sockel der ausgestellten Miniaturmodelle sind aus roh zugesägten Massivhölzern gefertigt. Der Besucher wird über Punkte auf dem Boden durch die fragilen Modelle wie durch Treibgut geleitet, die je nach dem Blickwinkel mit den großformatigen Landschaftsfotografien der zerstörten Landstriche im Hintergrund zu einer perspektivischen Szenerie zu verschmelzen scheinen und ihn in einem physischen Erlebnis in das Katastrophengebiet versetzen.

Toyo Ito (2. von links)

Sou Fujimoto, einer der drei Architekten des Projekts "Home for all"

DETAIL: In welcher Hinsicht unterscheidet sich die Architektur des Tsunami-Projekts von üblichen Bauvorhaben?

Toyo Ito: Normalerweise müsste man sich für jede, sagen wir „normale“ Art der Architektur nach den üblichen Bauabläufen und bestimmten Konventionen richten. Wenn man an „Architektur“ denkt, gibt es eine geregelte Aufgabenverteilung zwischen Entwurfsarchitekten, Ingeniuren und ausführenden Firmen. Natürlich müssen sie auch bei konventionellen Bauten alle zusammen arbeiten, aber es gibt immer eine Hierarchie. In unserem Fall war der Ausgangspunkt eine Naturkatastrophe, in Form eines Erdbebens mit nachfolgendem Tsunami. Doch gerade deshalb konnten wir im Grunde eine Form von Utopie entwickeln, in der die Menschen, die den Ort und die Architektur verlassen mussten, und die Menschen, die sie neu gestalten, alle auf der gleichen Stufe stehen. Künftige Bewohner und Planer arbeiten zusammen, um ein einziges Ziel zu erreichen: gemeinsam  Architektur hervorzubringen. So wurde die Katastrophe zu einer idealen Ausgangssituation, um die drei unterschiedlichen Berufsgruppen und die Nutzer gleichberechtigt zusammenzubringen, sie sind eine Einheit, schließlich sind ja auch die Menschen dieselben. Die Größenordnung des Projekts ist zwar klein, aber ich denke, jetzt ist der richtige Zeitpunkt, und hier ist der richtige Ort, um diese soziale Utopie in Japan zu realisieren.
DETAIL: Auch in anderen Ländern gibt es Architekturprojekte in Katastrophengebieten, zum Beispiel nach dem Hurrican Katrina in New Orleans. Was ist der typische japanische Ansatz der Projekte, die wir hier sehen?

Toyo Ito: Ich glaube es ist wichtig, über die jeweilige Besonderheit des Ortes, über den wir reden, nachzudenken. Ich denke, in Japan ist es für die Menschen, die von solch einem Unglück betroffen sind, wichtig, dass sie sich mit der Bedeutung des Verhältnisses zwischen Natur und Mensch und der Menschen untereinander, der Gemeinschaft, auseinandersetzen. Es ist sehr wichtig, sich an diesem Verhältnis zu orientieren, wenn man überlegt, welche Art von Architektur man machen soll. Wie kann man als Architekt die Kommunikation zwischen Mensch und Natur und zwischen den Menschen verbessern? Ich bin mit der Situation in New Orleans nicht so gut vertraut, aber ich bin sicher, wenn das gelingt, ist unser Konzept auf jeden anderen Ort übertragbar.

DETAIL: Japan war bisher eine sehr technologiegläubige Nation und ist ein führendes Exportland von Hochtechnologie und nicht zuletzt auch von ausgezeichneter Architektur. Weshalb folgen die in der Ausstellung gezeigten Projekte Prinzipien des konsequenten Low-Tech?

Toyo Ito: Die japanische Regierung versucht im Moment die Probleme, die in Verbindung mit dem Tsunami entstanden sind, mit Technologie zu lösen. Und das ist, denke ich, töricht, denn es hat sich ja gezeigt, dass diese technischen Lösungen nicht vor den Kräften der Natur gefeit sind. Wenn man also die gleiche Technologie wieder benutzt, um die Städte auf die gleiche Art und Weise wieder aufzubauen, ist das der falsche Ansatz. Meiner Meinung nach liegt der Schlüssel, etwas anderes zu erschaffen, in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Der Kern des Problems liegt in der „Software“, nicht in der „Hardware“. Mit „Software“ meine ich Menschen, nicht Gebäude. Solange wir menschliche Beziehungen wertschätzen, bin ich sicher, dass wir gute Architektur liefern können. Und das ist etwas, was auf die ganze Welt übertragbar ist.

Die Modelle fügen sich in ihrer Maßstäblichkeit in die

Landschaft im Hintergrund ein.

DETAIL: Japan hat im Laufe des letzten Jahrhunderts eine Reihe von Unglücken erlebt. Zum einen die Atombomben in Hiroshima und Nagasaki, die einen großen Einfluss auf die spätere Architektur hatten. Aber auch das Erdbeben in Kobe, das Arata Isozaki auf der Biennale 1996 zum Thema des japanischen Pavillons gemacht hatte, hat die zeitgenössische japanische Architektur vermutlich beeinflusst. Denken Sie, die Tsunami Katastrophe wird auch einen Effekt auf die zukünftige Alltagsarchitektur in Japan ausüben?

Toyo Ito: Menschen sind sehr sonderbar. Die ersten sechs Monate nach einem Unglück erinnern sie sich sehr lebhaft, aber nach einer bestimmten Zeit neigen sie früher oder später dazu, zu vergessen. Sie gehen zurück in den Alltag als ob nichts gewesen wäre. Eineinhalb Jahre nach dem letzten Unglück in Japan sollten wir nun einen Weg finden, das zu ändern. Das Problem dabei ist, dass man im Moment in Japan nicht wirklich spürt, dass es in naher Zukunft große Veränderungen geben wird. Wichtig ist, das Bewusstsein zu schärfen, dass wir nicht gegen die Natur gewinnen können. Wenn wir das glauben, liegen wir falsch. Und die gleichen Katastrophen werden wieder und wieder passieren.

DETAIL: Eine Frage zur Architektur der Ausstellung: War es Ihre Idee, Modelle in kleinem Maßstab zu zeigen? Warum gibt es keine Zeichnungen oder ähnliches?

Toyo Ito: Das ist nichts, was ich entschieden oder vorgegeben hätte. Die drei Architekten haben diese Modelle gebaut und indem wir diesen Prozess des Machens immer wieder wiederholt haben, sind wir mit unseren Überlegungen vorangekommen, welche Art von Architektur für das Projekt wohl am besten wäre. Für diese Gebäude gibt es keinerlei Pläne und die Entscheidungen, wie sie gebaut sind, ergaben sich Schritt für Schritt. Wir benutzten eine sehr abstrakte Denkweise und vor allem das Mittel der Diskussion. Wir haben einfach diskutiert und diese Gespräche führten schließlich dazu, dass wir uns klar darüber wurden, was als nächster Schritt zu tun ist. Ich kann Ihnen aber keinen wirklichen, klaren Grund nennen, weshalb wir keine Zeichnungen angefertigt haben. In Japan neigen wir dazu, eher viele viele Modelle zu bauen anstatt zu zeichnen.
DETAIL: Die drei Architekten sind Vertreter der jüngeren Generation, die auch in ihren anderen Projekten das Ephemere, Leichte und Abstrakte betonen, ganz im Gegensatz zur schweren Architektur von Tadao Ando oder Arata Isozaki aus den 1990er Jahren. Damals nahmen Sie mit Ihren nomadenartigen Konzepten eine komplett neue Position ein, die sich in aktuellen Projekten, z. B. auch von Sejima, Fujimoto oder Ishigami wiederfindet. Würden Sie sagen, Sie haben dieser Generation den Weg bereitet?

Toyo Ito: Ich denke, sie wurden eher von einer Ära, einem Zeitalter, beeinflusst, als von mir. Besonders wenn wir uns das Werk Sejimas anschauen, wird klar, dass es für sie keinen Unterschied macht, ob sie etwas für Architektur oder Mode entwirft. Man kann Architektur also wahrnehmen, als etwas, das eher mit dem menschlichen Körper, mit dem alltäglichen Leben, zu tun hat. Deswegen denke ich, dass sich Architektur heute mehr und mehr von Logik und Theorie entfernt und sich viel stärker einem körperlichen Gefühl nähert.
DETAIL: Wenn wir von zeitgenössischer japanischer Architektur sprechen, geht es oft um absolute Transparenz, die historische japanische Architektur arbeitet differenzierter mit dem Licht und eher mit Transluzenz als mit Transparenz. Denken Sie, das ist ein Bruch mit der Vergangenheit oder eher eine Weiterentwicklung?

Toyo Ito: Ich sage Ihnen, was für mich gerade von viel größerem Interesse ist. Es geht um mehr als die Transparenz des Gebäudes selbst, dafür habe ich in gewisser Weise das Interesse verloren. Was mich wirklich beschäftigt, ist die Transparenz im Ausdruck der Architektur. Also der soziale Aspekt, die Transparenz zwischen zwei oder mehreren Menschen. Das ist das Thema, mit dem ich mich im Moment zu beschäftigen versuche.

DETAIL: Das war ein sehr schönes Schlusswort. Vielen Dank für das Gespräch. Interview: Frank Kaltenbach

Einzelne Entwürfe des Projekts "Home for All":
Alle Fotos in diesem Artikel: Frank Kaltenbach, München Offizielle Website des Japanischen Pavillons
Die Architekturbiennale 2012 unter dem Titel "Common Ground" in Venedig läuft noch bis zum 25. November. La Biennale di Venezia
Sein Projekt "Architecture. possible here? A home for all" versucht die Bewohner zu unterstützen und gemeinsam mit ihnen kleine Orte der Zuflucht und Geborgenheit zu schaffen. Zusammen mit den drei Architekten Kumiko Inui, Sou Fujimoto, Akihisa Hirata und dem Fotografen Naoya Hatakeyama, der bei dem Erdbeben seine Mutter verloren hatte, beschäftigt sich Ito mit der Frage, wie Architektur in Zukunft aussehen könnte und ob sie in der Lage ist, den Opfern solcher Katastrophen zu helfen.
DETAIL: Herr Ito, wie ist das Konzept für Ihren diesjährigen Beitrag zur Architekturbiennale zustande gekommen, gab es ursprünglich noch Alternativen?

Toyo Ito: Nein, die Idee für ein Tsunami-Projekt hatte ursprünglich nichts mit der Biennale zu tun. Bereits im Mai 2011 habe ich „A home for all“ gestartet. Als im Juli der Wettbewerb für die Gestaltung des japanischen Pavillons ausgeschrieben wurde, dachte ich, die Weiterentwicklung dieser Idee eignet sich perfekt für den Biennalebeitrag und habe schließlich den Zuschlag bekommen.
DETAIL: Nach welchen Kriterien haben Sie den Fotografen und die drei beteiligten Architekten ausgewählt? Toyo Ito: Das Thema "Bauen in Katastrophengebieten" bringt uns dazu, uns noch einmal ganz von vorne, völlig unvoreingenommen mit der Disziplin Architektur zu beschäftigen. Ich fing also an darüber nachzudenken, was Architektur bedeutet, wie wir Architektur ausführen sollten und für wen wir überhaupt Architektur machen. Das klingt für einen langjährigen Architekten vielleicht primitiv oder banal, aber ich fing wirklich an, mir darüber den Kopf zu zerbrechen. Ich wollte meine Überlegungen mit Kollegen teilen und Antworten gemeinsam mit den drei jungen Architekten der nächsten Generation finden, in die Japan im Moment die größten Erwartungen setzt.  Kumiko Inui, Sou Fujimoto und Akihisa Hirata sind wirklich brillant.

Der japanische Pavillon im Überblick

Die Baumstämme ragen durch die Decken hindurch.

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