29.10.2014 Jakob Schoof

Auf Sand gebaut: Geht dem Bauboom der Nachschub aus?

Wolkenkratzer, Flughäfen, Autobahnen und künstliche Inseln – der beispiellose Bauboom der vergangenen 15 Jahre in vielen Ländern der Welt hat in vielen Weltregionen die Sandressourcen zunehmend erschöpft. Damit könnte bald auch ein Baustoff knapper werden, der für viele Zwecke heute noch unersetzlich ist: der Beton. „Wie Sand am Meer“ – dieses Synonym steht in der deutschen Sprache seit jeher für Überfluss und scheinbare Wertlosigkeit einer Ressource. Doch damit könnte es bald vorbei sein, wenn man einem unlängst erschienenen Bericht der UN-Umweltbehörde UNEP glaubt. In vielen Regionen der Welt ist Sand in den vergangenen Jahren zum raren Gut geworden. Und das hat seine Gründe. 27 Meter hoch und 27 Meter breit ist der imaginäre Wall, den man mit der jährlich weltweit produzierten Betonmenge einmal rund um den Äquator bauen könnte. Die Baubranche – allen voran der Beton- und Straßenbau – ist weltweit mit Abstand der größte Sand- und Kiesverbraucher. Weniger als fünf Prozent des Verbrauchs entfallen auf andere industrielle Zwecke wie die Herstellung von Solarzellen oder Kosmetika, für die ebenfalls Silizium benötigt wird.

Neubaufassaden in China. Vor allem der Bauboom in den Schwellenländern hat seit der Jahrtausendwende die Sandvorkommen der Welt zusehends beansprucht. Foto: JUREC/pixelio

Selbst Ressourcenexperten wurden vom Sandmangel offenbar überrascht. Bezeichnend hierfür der Titel des UNEP-Reports: „Sand ist seltener, als man denkt.“ Das mag damit zusammenhängen, dass akute Sandknappheit bislang nur regional begrenzt auftritt. Deutschland etwa leidet bis dato nicht darunter – sehr im Gegensatz zu Länden, von denen man dies nicht unbedingt erwarten würde wie Dubai. Das Emirat hat wie viele Wüstenstaaten ein Problem: Wüstensand eignet sich kaum zur Betonherstellung – er ist vom Wind zu rundgeschliffen, um einen stabilen Verbund mit dem Zement einzugehen. Zum Bauen geeignet sind hingegen vor allem Sand- und Kiesvorkommen aus Flussbetten und aus dem Meer – wobei Letztere vor der Weiterverarbeitung sorgfältig gewaschen werden müssen, da das Meersalz sonst binnen kurzem die Bewehrungsstäbe im Beton korrodiert.

In den Wüsten der Welt herrscht kein Sandmangel – doch das hier vorkommende Material ist zum Bauen (bisher) weitgehend ungeeignet. Foto: M. Hermsdorf/pixelio

Mit dem Bau der künstlichen Inseln Palm Jumeirah, Palm Jebel Ali und zuletzt „The World“ hat Dubai seine  eigenen (Meeres-)Sandvorkommen nun im Wesentlichen erschöpft. Schon für den Bau des welthöchsten Wolkenkratzers Burj Khalifa (828 Meter) mussten daher große Mengen Sand aus dem Tausende Kilometer entfernten Australien herbeigeschafft werden. Das nahegelegene Emirat Katar war 2012 sogar der weltgrößte Importeur von Sand und Kies – 6,5 Milliarden Dollar  betrug sein Importvolumen. Ganz China brachte es im gleichen Jahr nur auf die Hälfte.

Mit dem Bau seiner künstlichen Inseln (hier: The Palm Jumeirah) hat Dubai die Länge seiner Küstenlinie vervielfacht und zugleich die Meeressandvorkommen des Landes weitgehend erschöpft. Foto: NASA

Es sind also vor allem die kleineren (Stadt-)Staaten, die sich am Sand anderer Länder bedienen. Singapur etwa hat seine Landfläche in den vergangenen 40 Jahren um 20 Prozent vergrößert und dazu massiv Strände in Indonesien und Malaysia abgegraben. Seit die dortigen Regierungen dagegen Verbote verhängt haben, geht der Sandabbau vielerorts illegal weiter. Nicht nur in Südostasien, auch in Indien und Nordafrika hat sich eine regelrechte „Sandmafia“ etabliert, wie unlängst Presseartikel in der „Zeit“ und im Schweizer „Tagesanzeiger“ berichteten.

Von Deutschland scheinen diese Probleme einstweilen noch relativ weit entfernt. Im Gegensatz zu Öl, Gas und Erzen ist die hiesige Wirtschaft bisher nicht auf Kies- und Sandimporte angewiesen. Doch die Schnelligkeit, mit der Sand vielerorts zum raren Gut geworden ist, beinhaltet auch für die hiesige Baubranche eine Warnung: Keine Ressource auf dieser Welt ist unendlich. Umso wichtiger ist es, sich immer wieder auf die drei „R“ der Nachhaltigkeit zu besinnen: Reduce, reuse, recycle. Noch immer werden viel zu viele Bestandsbauten vor allem in prestigeträchtigen Lagen einfach abgerissen und durch Neubauten ersetzt, statt sich ernsthaft um ihre Umnutzung zu bemühen. Auch im Straßenbau sieht es nicht viel besser aus. Zwar sind die Haushaltsmittel so knapp, dass sie eigentlich nicht einmal für den Erhalt der bisherigen Infrastruktur ausreichen. Trotzdem gleichen die Bedarfsanmeldungen der Bundesländer für den 2015 zu verabschiedenden, nächsten Bundesverkehrswegeplan einem Wunschkonzert der Ortsumgehungen und anderer Neubautrassen.

Auch die Forschung ist gefragt, um Alternativen zur Betonherstellung aus frischem Sand und Kies zu finden. Die Schweiz etwa fördert seit Jahren die Verwendung von Recyclinggranulat aus Altbeton im Hochbau. In Deutschland hingegen landet der Beton aus Abbruchhäusern zumeist im Unterbau von Straßen – ein klassisches Beispiel für „Downcycling“, also der minderwertigen Weiterverwendung von Abfallstoffen.

Ferner lässt sich Beton vielfach durch andere Baustoffe ersetzen, wenn dafür die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Holzbauexperten etwa fordern seit Langem die Lockerung der Brandschutzvorschriften im Holzbau, die diese Bauweise bislang oft unnötig verteuern. Aber Vorsicht: Auch Holz steht nicht in unbegrenzter Menge in unseren Wäldern herum. Der jährliche Nettozuwachs (neu gewachsene Holzmenge minus Holzernte) in deutschen Wäldern ist in den vergangenen Jahren rapide gegen Null gesunken, weil immer mehr Holz in Pelletöfen und Heizkraftwerken verfeuert wird.

Am Bedarf vorbei betoniert? Mehr als 30 % der Büroflächen in Dubai standen nach Angaben der UNEP im Jahr 2013 leer. Foto: M. Hermsdorf/pixelio

Dauerhaft werden also nur zwei Dinge wirklich weiterhelfen: Effizienz und Sparsamkeit beim Verbrauch jedweder Ressource – auch der erneuerbaren – und die Vermeidung von Spekulationsblasen, in denen immer wieder große Mengen Wohn- und Büroraum am Bedarf vorbei produziert werden. Für ein politisch gewolltes, künstliches Anfachen der Bauwirtschaft könnten künftige Generationen einen hohen – ökologischen wie wirtschaftlichen – Preis zahlen. Mahnende Beispiele  für Ressourcenverschleuderung gibt es zuhauf – vor allem in den Wachstumsregionen der Welt wie Dubai (wo 2013 über 30% aller Büroflächen leer standen) oder der Wüstenstadt New Ordos im Westen Chinas, die, wiewohl sie auf 300.000 Einwohner ausgelegt war, im Jahr 2012 gerade einmal 5000 Menschen beherbergte.
Sandabbau in Zahlen

Sandverbrauch für ein durchschnittliches Einfamilienhaus: ca. 200 Tonnen
Sandverbrauch für einen Kilometer Autobahn: ca. 30.000 Tonnen

Jahresverbrauch an Sand und Kies weltweit: ca. 40 Mrd. Tonnen
davon zur Betonherstellung: 26-30 Mrd. Tonnen
davon für industrielle Zwecke (u. a. Produktion von Elektrogeräten, Kosmetika und Solarzellen): 180 Mio. Tonnen

Sandvolumen der Insel „Palm Jumeirah“ in Dubai: 385 Mio. Tonnen
Jahresförderung von Sand und Kies in Deutschland: 235 Mio. Tonnen
davon für die Bauindustrie: 95 %

Sand-Importvolumen von Singapur seit 1995: 517 Mio. Tonnen
Flächenwachstum von Singapur seit 1975:    130 Quadratkilometer
Importpreis für Sand in Singapur 1995-2001: 3 US-Dollar/Tonne
Importpreis für Sand in Singapur 2003-2005: 190 US-Dollar/Tonne

Jahres-Sandverbrauch pro Kopf in Singapur: 5,4 Tonnen
Jahres-Sandverbrauch pro Kopf in Europa: 4,6 Tonnen
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