15.04.2013

Building the Future – Maßstäbe des nachhaltigen Bauens

Worauf kommt es an, wenn wir heute planen und bauen? Wenn es für künftige Generationen im umfassenden Sinne werthaltig sein soll? Die Publikation Building the Future fasst in 19 Essays mehrere Symposien zum Thema „Nachhaltiges Bauen“ zusammen, die im Sommer 2011 an der Münster School of Architecture veranstaltet wurden. Herausgekommen ist ein Kompendium, das Nachhaltigkeit in sechs Unterthemen beleuchtet: ‚Globale Zusammenhänge und lokale Phänomene‘, ‚Strategien für Stadträume‘, ‚Nutzung und Struktur‘, ‚Hülle, Körper, Klima‘, ‚Baukonstruktion und Material‘, ‚Gebäudetechnik und Energiekonzepte‘.

A History of Convection, Autor: Philippe Rahm

Die Breite an Kriterien, die auf ein einziges Thema hin – die Nachhaltigkeit – fokussiert betrachtet werden, macht das Buch so lesenswert. Dadurch wird deutlich, dass es nicht reicht, sich auf die hinlänglich diskutierten Aspekte von Nachhaltigkeit wie Energieeffizienz oder ökologische Baumaterialien zu beschränken. Es lohnt sich, auch artfremde Gattungen wie Soziologie und Philosophie mit einzubeziehen, die den Fokus erweitern auf eine tatsächlich ganzheitliche Sichtweise.

Rocket Science and Sustainability, Autor: Nadir Abdessemed

So könnte man zum Beispiel aus einem Kapitel im ersten Abschnitt (Globale Zusammenhänge und lokale Phänomene) schließen, dass uns heute mangels realer Expansionsmöglichkeiten in Raum und Zeit auch die virtuellen Möglichkeitsräume von Utopien abhanden gekommen seien. Die Autoren des entsprechenden Artikels (Matthias Böttger und Ludwig Engel: „Gewissheit der Ungewissheit“) kommen allerdings zu einem gegenteiligen Schluss: Nämlich, dass heute „zwischen der Sorge vor einem ökologischen Totalkollaps und einer Weltwirtschaftskrise das utopische Denken und Entwerfen zurückgekehrt ist“. Wo und wie dies stattfindet, schreiben sie allerdings nicht, benennen auch keine Beispiele. Man fragt sich daher: Findet dieses utopische Denken denn wirklich statt? Welches sind denn heute die politischen, gesellschaftlichen, architektonischen Utopien? Sind nicht vielmehr die Heterotopien heute an die Stelle der Utopien getreten, idealistische Projekte, in denen versucht wird, bestimmten Idealen einen realen Ort zuzuweisen?

Nachhaltigkeit als soziale Praxis, Autor: Jesko Fezer

Utopisch wird es erst ein paar Kapitel weiter: Soziale Aspekte der Nachhaltigkeit bringt der Essay von Jesko Fezer ins Spiel. An Hand der Theorien von Mike Davis tritt Fezer dafür ein, dass das Grundverständnis von Nachhaltigkeit auch eine Wertefrage sei, die sich im Rahmen von Urbanität manifestieren lasse: „Die entscheidende Grundlage für eine umweltfreundliche Stadt wären daher weniger neuartige Technologien umweltfreundlichen Städtebaus oder der Gebäudeplanung, sondern der Anspruch, ‚dem allgemeinen Wohlstand eine Priorität gegenüber persönlichem Reichtum einzuräumen‘. In diesem kollektiven Charakter der Stadt (...) läge das Potenzial zur Überwindung der sich abzeichnenden sozialen und ökologischen Katastrophe (...) – segregierte Zonen des Überflusses innerhalb einer ansonsten ökologisch und ökonomisch herunter gewirtschafteten Umwelt.“ Zudem geht Fezer auf die Philosophie des katholischen Priesters Ivan Illich ein, dessen „Werkzeuge für ein Zusammenleben“ (Tools for Conviviality) darauf zielten, den Gestaltungsraum der Menschen zu erweitern: Solche „konvivialen Werkzeuge“ hätten das Potenzial, „einen ethischen Wert an die Stelle eines technischen Wertes, einen realisierten Wert an die Stelle eines materialisierten Wertes zu setzen.“

"Gewissheit der Ungewissheit", Autoren: Matthias Böttger und Ludwig Engel

Studien zu Urbanität und Dichte von Joachim Schultz-Granberg zeigen dabei: Eine gewisse städtebauliche Dichte habe sich immer wieder als eine Voraussetzung für nachhaltiges Planen und Bauen erwiesen, der individuelle „ökologische Fußabdruck“ eines einzelnen Bauwerks sei hingegen sekundär. Der Autor formuliert es so: „Die Herausforderung im Städtebau liegt in der interdisziplinären Verknüpfung von organisatorischen Strategien mit stadträumlichen Qualitäten und planungsrechtlichen Mechanismen“.

Beim Thema Energieversorgung weist Autor Hermann-Josef Wagner auf den Widerspruch hin, dass wir in den Industrieländern zwar einerseits immer effizienter bauen und effizienter Energie erzeugen, gleichzeitig aber immer mehr Fläche verbrauchen, mehr reisen, konsumieren und mehr elektronische Geräte besitzen. Ein Paradoxon, das sich in den bio-konsumfreudigen LOHAS (Lifestyle of Health and Sustainability) manifestiert. Trotz dieser Widersprüchlichkeit, so der Autor, sei das Nachhaltigkeitsbewusstsein in Deutschland jedoch vorbildlich.
 
Aus Dänemark kommt ein Essay vom Architekturbüro Tegnestuen Vandkunsten, das sich seit rund einer Generation hauptsächlich mit Wohnungsbau in kleinen bis mittelgroßen Strukturen beschäftigt, Eike Roswag aus Berlin berichtet über seine internationalen Erfahrungen mit dem Lehmbau und Philippe Rahm aus Paris zu Konvektionsprinzipien und Thermodynamik… Auch wenn – oder vielleicht gerade weil –  hier nicht jedes Thema vollumfänglich behandelt wird, kann man „Building the Future“ als Einladung lesen, über den Tellerrand unserer vollwärmegedämmten und technikaffinen europäischen Öko-Welt hinauszublicken. Denn es lohnt sich.

(Cordula Vielhauer)

"Sustainable by Urban Design", Autor: Joachim Schultz-Granberg

Building the Future – Maßstäbe des nachhaltigen Bauens von Hans Drexler und Adeline Seidel (Hg.)
Jovis Verlag Berlin, 2012
Taschenbuch, 316 Seiten, deutsch, englisch
ISBN: 3868591664

www.jovis.de

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