18.07.2012 Florian Maier

Drive Through Airport – Umkehr der Prozesse

Ein neues Konzept der Abfertigung am Flughafen soll die CO2-Emissionen des Betriebs um zwei Drittel senken. Flughäfen würden in ihren Dimensionen enorm schrumpfen.

Eine Revolution in der Passagierluftfahrt: Anstatt die Passagiere durch lange Wege zu den Fliegern zu leiten, geht es darum, die Flugzeuge zu den Passagieren zu bringen. Flughäfen sollten wie Bahnhöfe sein: ein kompakter, hocheffizienter Hub, wo sich unterschiedliche Geschwindigkeiten und Verkehrsmittel treffen, meint Architekt Miklos Deri und fordert, Prozesse bzw. Typologien nicht immer nur in kleinen Schritten weiter zu optimieren, sondern vollkommen neu zu erfinden.

Wie funktioniert ein Drive Through Airport?
Alle ankommenden Flugzeuge werden an einem Pfad entlang geführt: Ähnlich einer Waschstraße werden die Hauptprozesse der Flugzeug- und Passagierabfertigung in drei funktionsspezifischen Stationen aufgeteilt: Ankunft, Service und Abflug. Ein Flugzeug blockiert einen Stand nicht für die gesamte Dauer der Abfertigung, sondern nur für ein Drittel dieser Zeit. Die Menge der notwendigen Gates kann dadurch um zwei Drittel reduziert werden. Der ökologische Fußabdruck sinkt, während gleichzeitig zusätzlicher Raum für Branchen-relevante Einnahmen geschaffen wird (Airport-City etc.).

Alle ankommenden Flugzeuge werden einen Pfad entlang geführt, ähnlich einer Waschstraße. Alle Bilder: Miklos Deri

Die Abfertigungsaktivitäten werden voneinander räumlich in drei Stationen getrennt (klassisches Gate oben, Drive Through unten).

Neue Typologie
Das Drive-Through-Terminalgebäude bildet ein Dach über den Flugzeugstationen. Sämtliche die Passagiere betreffende Aktivitäten finden direkt über den Flugzeugen statt. Somit liegt die Ankunftshalle direkt über den ankommenden Flugzeugen, während die Abflughalle sich über den Abflugstationen befindet. Für Transfer und Crew gibt es Verbindungsbrücken über den Servicestationen der Flugzeuge, die ein schnelles Umsteigen ermöglichen. Straßen- und Zugverkehr zu und vom Flughafen sind mittig zwischen den beiden Gebäudeteilen untergebracht.

Zeit- und Kostenersparnis
Flughäfen der Zukunft werden hauptsächlich von riesigen »Flugzeugparkplätzen« bestimmt, die scheinbar endlos aneinandergereiht werden. Die Zeit, die ein Passagier vor dem Flug am Flughafen gegenwärtig verbringen muss, ist vor allem durch lange Wege, Schlangestehen und Warten gekennzeichnet. Speziell bei Kurzstreckenflügen übersteigt diese Zeit häufig die tatsächliche Flugzeit.

Flughafenprozesse
Der Prototyp des Drive Through Airport wurde vorerst für ein dichtes Netz von Kontinental- oder Kurzstreckenflügen von mittleren bzw. leichteren Flugzeugtypen mit bis zu 200 Passagieren entwickelt (ICAO Typ B, C, C+ / Boeing 737, Airbus 320-Familie, Embraer E170-E190 und kleinere).

Basierend auf einer durchschnittlichen Standzeit von 45 Minuten pro Flieger, bleiben für alle drei Aktivitäten (nämlich Ankunft-, Service-und Abflug-Prozedere) je 15 Minuten. Entsprechend der üblichen Abstandsregeln für die maximale Kapazität von Landebahnen, wonach höchstens ein Flugzeug pro Minute landet, wurden 16 Stationen für jede der drei Aktivitäten geschaffen – nach jeweils 15 Minuten werden die Ankunftsstationen frei für die kommenden Flugzeuge. Eine Spur besteht aus sechs Stationen (je 2 pro Aktivität). Ein 8-spuriger Prototyp eines Drive Through Airportkann je 15 Minuten somit bis zu 48 Flugzeuge stationieren.

Zeit-Diagram für die Standzeit einer Boeing 737, Quelle: Boeing – modifiziert

Dies entspricht der Leistung eines regulären Flughafens mit ca. 144 Gates mit den dort üblichen Mindeststandzeiten von etwa 45 Minuten. Eine Verkürzung der Standzeiten insgesamt würde den Drive Through Airportnoch effizienter machen und könnte die Menge der Fahrspuren auf fünf statt acht reduzieren.

Fluglinien arbeiten intensiv daran, die Standzeiten am Boden zu verringern und ihre Zeitpläne zu optimieren, nach dem Motto: „Nur ein Flieger in der Luft ist ein guter Flieger.“ Billigfluglinien haben außerhalb ihrer Basen bereits Standzeiten von nur 25 bis 30 Minuten.

Das Terminalgebäude befindet sich über den Fliegern.

Weitere Vorteile des Drive Through Airports
Neben Passagieren und Crews profitieren auch alle anderen Akteure rund um den Flughafen. Mit einem geringeren Footprint haben Flughafenbetreiber weniger Investitions- und Betriebskosten zu tragen. Passagiere können mitten aus der Einkaufs-Mall in ihre Flugzeuge einsteigen, im Gegensatz zu Schiphol zum Beispiel, wo das Einsteigen in abgelegenen Piers erfolgt.

Einkaufen bis unmittelbar vor dem Flug

Flugzeuge werden wetterfest abgefertigt, was besonders bei extremen Wettersituationen wie Schnee oder Hitze von Vorteil ist. Die Rollwege am Flugfeld sind kürzer, was den Fluglinien Sprit spart und höhere Kapazitäten ermöglicht. Da die Anzahl der Personen, die Ihren Transferflug versäumen, reduziert wird, können Fluglinien Kosten und Ressourcen sparen.

Ein verdichtetes Terminalgebäude verbraucht im Vergleich wesentlich weniger Strom, auch die Menge der asphaltierten Flugfeldbahnen wird wesentlich reduziert, während die Kapazität des Flughafens auf die der Landebahnkonfiguration angepasst ist.

Größenvergleich Passagierterminals (ohne Parkhaus) mit jährlichen Passagierzahlen, *Höchst-Kapazität

Fallstudie Schiphol
Die folgende Studie zeigt das Potential der Verdichtung eines Drive Through Airports auf einem der verkehrsreichsten Flughäfen Europas. Amsterdam Schiphol wurde graduell über die letzten Jahrzehnte erweitert und hat eine für Europa ungewöhnliche Konfiguration von 5+1 Landebahnen, von denen aber gleichzeitig nur drei benutzt werden können. Zurzeit werden jährlich fast 50 Millionen Passagiere abgefertigt. Pier M und H werden von Billigfluglinien und Pier B, C und D von Netzanbietern angeflogen.

Lageplan Schiphol, aktuell

Drive Through Airport Prototyp 1.0 ersetzt die südöstlichen Piers B, C und D zusammen mit den freistehenden Gates von Pier B. Pier M und H werden umgewandelt, um grössere Flugzeugtypen bespielen zu können. Während das neue Layout den Footprint des Flughafens deutlich verkleinert, verdoppelt es gleichzeitig die bestehende Kapazität auf 100 Millionen.

Drive Through Airport Prototyp 1.0 angewandt: Während das neue Layout den Footprint des Flughafens deutlich verkleinert, verdoppelt sich die bestehende Kapazität auf 100 Millionen.

Drive Through Airport Prototyp 1.0 könnte als Erweiterung mit einem People Mover bespielt werden.

Fazit
Die Anzahl der Flugpassagiere werde sich mit großer Sicherheit in den kommenden Jahrzehnten verdoppeln, ist sich Deri sicher. Heutige Flughäfen seien mit derart rapide anwachsenden Passagierzahlen überfordert. Entwürfe für zukünftige Erweiterungen bzw. Neubauten erfolgten aber zumeist nach »Schema F«: weitläufige Baukomplexe mit langen Wegen, die Abfertigungs- und Wartezeiten immer mehr verlängern.

Neue Flughafenkonzepte waren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts innovativer, als das heutige sich wiederholende Endloskopieren von veralteten Modellen, kritisiert Deri. Technologische Durchbrüche wurden bisher primär im Flugzeugbau angestrebt. Flughäfen hingegen haben immer auf neuere Flugzeugtypen reagiert, anstatt sich selbst zu hinterfragen, oder gar sich komplett neu zu erfinden.

Eine Optimierung und Verdichtung von Terminalgebäuden ist überfällig. Die Ausmaße von Flughäfen drastisch zu reduzieren würde nicht nur zu großen Zeitersparnissen im Abfertigungsprozess von Passagieren und Flugzeugen führen. Auch die Umweltbelastung könnte weitestgehend minimiert werden.

Miklos Deri studierte Architektur an der Universität für angewandte Kunst in Wien. 2005 ging er zu UNStudio und hat an internationalen Projekten in den unterschiedlichsten Funktionen gearbeitet. 2011 hat er das »Büro für MEHR« mitbegründet, seitdem arbeitet er als lizensierter Architekt zwischen Amsterdam und Wien. Sein Flughafenkonzept »Drive Through Airport« präsentierte er im Frühjahr 2012 auf drei internationalen Luftfahrt-relevanten Kongressen:
  • Passenger Terminal Konferenz und Expo in Wien, Österreich
  • AirRAIL Konferenz in Stockholm, Schweden
  • airportNEXT! Symposium in Amsterdam, Niederlande

Die Service-Fahrzeuge werden durch unterirdische Pipelines ersetzt. Gepäcksabfertigung erfolgt ebenfalls automatisiert über einem unterirdischen Laufbandsystem.

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