05.11.2012 Jakob Schoof

Hohe Bauten mit hohen Zielen

Die Zukunft des Bauens liegt in der Vertikalen – dies zumindest legt der Blick auf die ständig weiter wachsenden Metropolen der Welt nahe. Mit der Frage, wie sich Hochhäuser nachhaltiger gestalten lassen, hat sich nun ein Symposium an der Universität Stuttgart beschäftigt.
Für den Initiator Werner Sobek war das Symposium „Tall Buildings for a Sustainable Future“ (TBSF 2012)“ in Stuttgart inhaltlich wie räumlich ein Heimspiel. Seit Jahren beschäftigt sich Sobek als Tragwerks- und Fassadenplaner, Hochschullehrer und Buchautor mit der Frage, wie sich Hochhäuser nachhaltiger gestalten lassen.  Die Veranstalter von Sobeks Institut ILEK (Institut für Leichtbau Entwerfen Konstruieren) hatten eine durchaus prominent besetztes Podium in Stuttgart zusammengebracht. Mit Christoph Ingenhoven und Helmut Jahn trugen die wohl profiliertesten deutschen (oder deutschstämmigen) Hochhausarchitekten vor. Weitere Referenten aus der Praxis waren Wong Mun Summ vom Architekturbüro WOHA aus Singapur, Jack Carter aus dem Büro von Renzo Piano sowie Peter Oborn, stellvertretender Geschäftsführer beim britischen Großbüro Aedas. Die deutsche Hochschul- und Forschungslandschaft war mit Manfred Hegger, Alexander Rudolphi, Klaus Sedlbauer und Werner Sobek selbst vertreten.

Kleinstädte hinter einer gemeinsamen Fassade: in Singapur von WOHA

Wie wird ein Hochhaus nachhaltig? Die Kernfrage des Symposiums lautete, wie sich Hochhäuser nachhaltiger gestalten lassen. Die Frage hingegen, ob sie per se nachhaltig sein können oder nicht, lasse sich pauschal nicht beantworten, so die meisten Referenten. Ein Blick auf das Wachstum vieler Metropolen der Welt belegt ohnehin, dass am Bau von Hochhäusern vielerorts künftig kaum noch ein Weg vorbeiführen wird.  Doch Hochhäuser funktionieren grundsätzlich anders als die meisten anderen Gebäudetypen. Im Grunde handelt es sich um Kleinstädte unter einem gemeinsamen Dach (oder eher: hinter einer gemeinsamen Fassade), die wie eine solche geplant werden müssen. Die Nachhaltigkeitsfrage berührt mithin keineswegs nur den Energieverbrauch für Heizen, Kühlen und Beleuchtung, sondern schließt Mobilitätsplanung und Grünräume, das Sozialgefüge im Gebäude, die Graue Energie und vieles mehr mit ein.

Verdichtetes Bauen in der Extremen: Hochhausvision „5 Millionen Einwohner auf 45 Quadratkilometern“ für Singapur von WOHA / Grafik: WOHA

Hinzu kommen Fragen der Wirtschaftlichkeit und Gestaltung. Christoph Ingenhoven berichtete von den harten Diskussionen, die er mit dem Investor seines Projekts „Uptown Munich“ (das die Hauptverwaltung des Mobilfunkdienstleisters O2 beherbergt) führen musste, um dem Turm die von ihm gewünschten gerundeten Ecken geben zu dürfen. Dadurch gingen ihm pro Geschoss und Ecke drei Quadratmeter Nutzfläche verloren - wie Ingenhoven dies rechtfertigen könne, so der Investor. Fragen, die jede Entwurfsentscheidung auf eine Zahl reduzieren. Ökonomische Einsparpotenziale winken hingegen oftmals im Verborgenen. Etwa durch eine Vereinfachung der Planung mittels BIM (Building Information Management), wie Siegfried Wernik aus dem Berliner Büro Léon Wohlhage Wernik, Vorsitzender des Vereins buildingSMART e.V., argumentierte. Die Idee von BIM: Ein Gebäude wird von Planungsbeginn an als dreidimensionales Modell im Rechner hinterlegt und sukzessive mit allen Informationen über Bauteile, deren Mengen, Eigenschaften und Preise verknüpft. Wenn alle am Projekt beteiligten Planer am gleichen Modell planen, entfallen Hunderte Schnittstellen und Tausende Euro Baukosten. BIM ist zwar gerade für Großprojekte prädestiniert, steckt jedoch in vielerlei Hinsicht noch in den Kinderschuhen. So ist zum Beispiel die Übernahme von Ökobilanzdaten in BIM-Systeme bis heute noch nicht zufriedenstellend möglich, berichtete Wernik. Sparen lässt sich selbstverständlich auch beim Energieverbrauch. Zum Beispiel mit LED-Beleuchtung oder – in Hochhäusern nicht ganz unwesentlich – bei den Aufzügen. Diese haben sich über die Jahre unbemerkt zu „Energiefressern“ gewandelt, sind rund um die Uhr in Betrieb und beleuchtet. Verbesserung versprechen hier neue Geräte, die Thomas Lipphardt von der Firma Kone vorstellte: Ähnlich wie ein Auto mit Hybridantrieb speisen sie ihre Antriebsenergie beim Abbremsen zurück ins Netz und verfügen, modernen Rechnern gleich, über einen „Tiefschlaf“-Modus statt des energieaufwändigen Standby-Betriebs. Eine weitere Einspar-Strategie geht dahin, Baumaterialien durch planerische Intelligenz zu ersetzen. Davon profitiert letztlich auch die Umwelt: Je energieeffizienter Gebäude im Betrieb werden, desto wichtiger wird, in Relation hierzu, die „Graue Energie“ in der Gebäudekonstruktion. Und diese steckt wiederum zu ganz überwiegenden Teilen im Rohbau – und hier vor allem in den Materialien Beton und Stahl. Bei „The Shard“, Londons höchstem , eben fertiggestellten Gebäude von Renzo Piano, gelang es den Tragwerksingenieuren etwa, die Stärke der Fundamentplatte von vier auf drei Meter zu reduzieren. Die so eingesparte CO2-Menge entspricht dem Jahresausstoß von über 100 britischen Haushalten.

Alle gleich? Torre David in Caracas (links) und „The Shard“ von Renzo Piano in London (rechts). Abbildungen: Iwan Baan (links) Renzo Piano Building Workshop (rechts)

Alle gleich? Über die Vielgestaltigkeit von Hochhäusern Ein Gemeinplatz der Globalisierungs- und Großstadtkritiker lautet, die Metropolen der Welt glichen sich immer stärker aneinander an. Vor allem Hochhäuser werden als Triebkraft dieser Gleichmacherei identifiziert. Dass dies nicht der Fall sein muss, belegten beim Symposium Projektbeispiele aus Europa, Australien, Südamerika und Asien, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Wohnhochhaus „The Met“ von WOHA in Bangkok: Ansicht in der Skyline (oben) und Grundriss eines Wohngeschosses

Abbildungen: WOHA

Wong Mun Summ etwa stellte die (zumeist für das Wohnen genutzten) Hochhäuser seines Büros WOHA in Singapur, Bangkok und anderen tropischen Metropolen Asiens vor, die sich durch üppige Fassadenbegrünung, intelligente Strategien zur Be- und Entlüftung sowie eine sozialkompatible Erschließung in Form von „streets in the sky“ auszeichnen. Auch in Deutschland hat das Büro schon an Wettbewerben teilgenommen - und seine Strategie dabei an hiesige Verhältnisse adaptiert: Für einen Wohnbau am Henninger Turm in Frankfurt schlugen WOHA eine Fassadenbegrünung aus Hopfen vor. Das Preisgericht wusste diese Referenz an den Namensgeber des Turms – die Henninger-Brauerei – indes nicht zu schätzen: WOHA gingen im Wettbewerb leer aus.

Hopfen an der Fassade als Reminiszenz an den einstigen Nutzer des Areals: Entwurf eines Wohngebäudes am Henninger Turm in Frankfurt von WOHA

Im Gegensatz zu Singapur leidet Australien unter Wassermangel. Die Stadt Sydney will daher bis 2015 rund ein Viertel ihres Wasserverbrauchs durch effizientere Sanitäranlagen einsparen; weitere 12 % sollen durch die Mehrfachnutzung von Wasser wegfallen. Hier geht das Bürohochhaus „1 Bligh“ von Christoph Ingenhoven mit gutem Beispiel voran. Zu seiner Ausstattung gehört eine Kleinkläranlage, die nicht nur Grauwasser aus dem Gebäude selbst, sondern auch Schmutzwasser aus der städtischen Kanalisation klärt und für die Gebäudekühlung nutzbar macht.

Extra nachhaltig statt extra hoch: Büroturm „1 Bligh“ von Ingenhoven Architects/Architectus inmitten der Skyline von Sydney. / Foto: H. G. Esch

Ein weiteres Feature dieses Ingenhoven-Entwurfs ist die in Deutschland bereits bewährte Doppelfassade. Für den australischen Hochhausbau war sie indessen ein Novum – und ermöglicht die Verwendung eines beweglichen Sonnenschutzes im Fassadenzwischenraum. Er schützt die Mieter vor der hoch stehenden Nordsonne und gewährt dennoch während 90% der Bürozeiten freie Sicht nach draußen. Für Ingenhoven ein Grund, auch weiterhin an Ganzglasfassaden für Bürohochhäuser festzuhalten – schließlich zahlten die Mieter Premiumpreise nicht zuletzt für die Aussicht. „Ich kann Menschen nicht verstehen, die Hochhäuser mit Lochfassaden planen“, so der Düsseldorfer Architekt.

Dachaufsicht von „1 Bligh“ mit der 500 m2 großen Solar-Kollektoranlag / Foto: H.G. Esch

Schnitt durch „1 Bligh“ mit Darstellung der Energiegewinnung, Lüftung und des Wassernutzungskonzepts / Grafik: ingenhoven architects / Foto: H.G. Esch

Ganz andere Probleme haben die Bewohner des „Torre David“ in der venezolanischen Hauptstadt Caracas. Das 45-geschossige Bürogebäude, das zuletzt als Gewinner des „Goldenen Löwen“ bei der Architekturbiennale in Venedig von sich reden machte, hat eine bewegte Vorgeschichte – und womöglich eine vielversprechende Zukunft. Anfang der 90er-Jahre geplant, starb kurz vor der Fertigstellung sein Investor, und die wenig später einsetzende Wirtschaftskrise im Land legte das Projekt endgültig „auf Eis“.Jahrelanger Leerstand war die Folge, bis eine Gemeinschaft wohnungsloser Einheimischer den Turm kurzerhand okkupierte und in eine Art vertikale Favela umwandelte. Die Glasfassade wurde teilweise demontiert und verkauft; die Löcher in der Fassade eigenhändig mit preisgünstigeren Materialien geschlossen. Im Gebäude hat sich inzwischen ein  gut funktionierender sozio-ökonomischer Mikrokosmos etabliert – mit eigenen Läden und Friseurstudios, improvisierten Turnhallen und Fitnessstudios, und einem regen Beziehungsgeflecht aus Nachbarschaftshilfe und Tauschhandel.

Torre David in Caracas: Fassadenansicht und Innenansicht des Atriums

Fotos: Iwan Baan

Um die Zukunft des „Torre David“ auf sicherere Beine zu stellen, haben der Venezolaner Alfred Brillembourg und der Österreicher Hubert Klumpner, gemeinsam Leiter des Büros Urban Think-Tank und Universitätslehrer an der ETH Zürich, mit den Bewohnern ein Low-Tech-Ertüchtigungskonzept für das Hochhaus erarbeitet. Ihre ETH-Kollegen Arno Schlueter und Jimeno Fonseca steuerten ein Energiekonzept bei, das auf fassadenintegrierten Kleinst-Windkraftanlagen, einer neuen Wasserversorgung und antriebslosen – allein durch die Gewichtskraft der Bewohner betriebenen – Aufzügen basiert. Man weiß nicht recht, wem hier mehr Bewunderung gebührt: der Selbsthilfe-Energie der Bewohner oder dem Versuch der Architekten, ein eigentlich funktionierendes System weiter zu optimieren.

Dezentralität ist Trumpf bei dem neuen Elektrizitäts- (links) und Wasserversorgungskonzept (rechts) für den Torre David. / Grafiken: SuAT/ETH Zürich (Arno Schlueter, Jimeno Fonseca)

Das jüngste Beispiel im Projektreigen von TBSF 2012 war „The Shard“ von Renzo Piano, Londons nunmehr höchstes Hochhaus. Nach fast 14-jähriger Vorbereitungs-, Planungs- und Bauzeit ist es nunmehr fertiggestellt und soll im Frühjahr 2013 offiziell eröffnet werden. Ganz obenauf: Londons zukünftig höchste Aussichtsplattform. 72 Ebenen enthält das kristalline Bauwerk, darunter Büros, Restaurants, ein Hotel und einen nicht unerheblichen Anteil an Wohnungen. Der oberste Teil Glasspitze ist nicht öffentlich zugänglich. Er sollte ursprünglich ein gigantisches Rückkühlwerk für die Gebäudekühlung enthalten, das dann jedoch überflüssig wurde, weil immer effizientere Kühlaggregate auf den Markt kamen.

Ab sofort der höchste in London: „The Shard“ im Stadtteil Southwark gegenüber der City of London / Fotos: Renzo Piano Building Workshop

Ökologisch optimiert wurde „The Shard“ an vielen Stellen: Das Tragwerk etwa besteht von unten nach oben aus der Abfolge Beton – Stahl – Beton – Stahl, weil sich dies als die materialeffizienteste Lösung herausstellte. Bei der Platzierung der Aufzüge im Gebäudekern rangen die Architekten und Ingenieure um jeden Quadratzentimeter Raum, der sich wiederum in Materialeinsparungen bei den Kernwänden niederschlug. Der CO2-Ausstoß bei der Zementherstellung wurde durch Beimischung von Hüttensand gesenkt. 

Bürogrundriss des 9. Obergeschosses von „The Shard“. Die grau hinterlegten Räume an den Gebäudeecken sind natürlich belüftete Meeting- und Besprechungsräume

Vor allem aber spart dieses Gebäude Mobilitätsenergie ein: Für die 8000 Bewohner und Angestellten sind ganze 48 Parkplätze vorgesehen; dafür befindet sich die Bahnstation London Bridge samt gleichnamigem Busbahnhof gleich nebenan (und wurde im Zuge des Projekts ebenfalls neu errichtet). Auch der soziale Nutzen des Projekts sei nicht zu vernachlässigen, so Projektleiter Jack Carter vom Renzo Piano Building Workshop: Die Steuern und Gebühren, die der Investor an den Londoner Bezirk Southwark (dem Standort des Turms) abführen musste, summierten sich auf über 100 britische Pfund je Bezirksbewohner. Gelder, die nun zum Beispiel für Schulen und Sozialwohnungsbau zur Verfügung stünden. Wie aus dem ILEK verlautete, soll die Symposienreihe auch in Zukunft fortgesetzt werden. Ob es dann jedoch wieder um Hochhäuser gehen wird, ist noch offen. In seiner bisherigen Form hält das Symposium für alle Hochhausplaner und solche, die es werden wollen, eine Menge an Inspirationen und Gelegenheit zum Austausch bereit. Zu überdenken wäre jedoch das Ansinnen, in einer Veranstaltung Grundlagenwissen und gebaute Projektbeispiele aus aller Welt kombinieren zu wollen: Manche Referate bei „TBSF2012“ waren einfach zu grundlegend, als dass der einigermaßen fachlich versierte Zuhörer daraus noch Neues hätte lernen können. Was einstweilen noch fehlt und in Zukunft stärker berücksichtigt werden sollte, sind die Lehren, die sich aus dem Erfolg oder Scheitern bisheriger Hochhausplanungen ziehen lassen. In Zeiten, da jedes Nachhaltigkeitszertifikat zwingend ein Gebäudemonitoring voraussetzt, wäre es nur angemessen, Energieplaner, Auditoren und auch Soziologen über Erkenntnisse berichten zu lassen, die sie aus Monitorings, Befragungen zur Nutzerzufriedenheit sowie Analysen der sozialräumlichen Auswirkungen von Hochhäusern gewonnen haben. 

The Shard: Konzept der städtebaulichen Anbindung. Die neue London Bridge Station befindet sich direkt neben dem Hochhaus.

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