28.06.2011

Passivhaustagung in Innsbruck

Für die einen ist es Inbegriff zukunftsfähiges Bauen, für die anderen ein Synonym für mediokre „Spar-Architektur“: das Passivhaus. Am 27./28. Mai trafen sich wieder mehr als 1000 Teilnehmer zur diesjährigen Passivhaustagung in Innsbruck. Ein Nachbericht.

Um die Welt in eineinhalb Tagen – die jährlich stattfindenden Passivhaustagungen machen dies inzwischen möglich, ohne überhaupt vor die Tür zu treten. Das Passivhaus ist zu einem Phänomen geworden, das längst weit über Mitteleuropa weit Anhänger findet. So waren unter den (nach Angaben des Veranstalters) rund 1200 Teilnehmern der diesjährigen Tagung nicht nur sämtliche europäischen Länder – einschließlich Grönland – vertreten. Gezeigt wurden in den Vorträgen auch geplante oder realisierte Passivhäuser aus den USA, Russland und Korea.

Der Versuch, ein Resümee aus den über 80 Vorträgen zu ziehen, fällt naturgemäß schwer, doch einige Tendenzen lassen sich immerhin festmachen: Der Passivhausstandard ist auch international zum überaus erfolgreichen „Exportartikel“ geworden, der von der Politik zunehmend Unterstützung erfährt. Er erobert sich zunehmend neue Bautypologien und Klimazonen – und wird sich wandeln müssen, wenn er dort Erfolg haben will. Und: Es gibt inzwischen durchaus gut gestaltete Passivhäuser. Doch sie sind noch immer vergleichsweise selten, und das hat auch mit der Haltung der Architekten zu tun.

Passivhaus goes international
„Das Passivhaus in den Regionen“ lautete ein Leitthema der diesjährigen Tagung, Versinnbildlicht wurde es nicht zuletzt durch die Wahl des Veranstaltungsorts: Erstmals war mit Innsbruck eine Stadt außerhalb Deutschlands Gastgeberin der Veranstaltung. Die Standortwahl hat ihre Gründe: zum einen lehrt Wolfgang Feist, Initiator des Passivhauses und bis heute Spiritus Rector der Veranstaltung, seit rund einem Jahr an der Universität Innsbruck. Ferner hat sich in der Stadt inzwischen ein Ableger des Darmstädter Passivhaus Instituts etabliert und – was noch wichtiger ist: Innsbruck baut Passivhäuser, womöglich mehr als jede andere Stadt in Europa. 2009 wurde in der Stadt mit dem „Lodenareal“ die mit 354 Mietwohnungen bislang größte Passivhaus-Wohnsiedlung fertiggestellt. Noch im Herbst 2011 soll das „O3“ folgen – das Olympische Dorf für die Olympischen Jugend-Winterspiele, die erstmals 2012 in Innsbruck stattfinden. 444 Wohnungen und 40.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche, verteilt auf 13 würfelförmige, sechs- bis achtgeschossige Wohnbauten, stehen derzeit im Osten Innsbrucks kurz vor der Fertigstellung.

Olympisches Jugenddorf in Innsbruck aus der Luft. Im Hintergrund das Lodenareal

Rendering: © David Chipperfield Architects

Rendering: © David Chipperfield Architects

Neue Typologien und Standards
Bürogebäude, Turnhallen, Feuerwachen, Museen – ständig entstehen derzeit Passivhausbauten mit bis dato (für den Standard) ungewohnten Nutzungen. Natürlich bilden Ein- und Mehrfamilienhäuser nach wie vor das Gros der realisierten Projekte, doch die Palette der Bauten – und damit auch der Anforderungen und Lösungen – ist zweifellos größer geworden. Auch für Architekten ergeben sich damit neue Optionen.
Das gilt gerade auch in der Gebäudesanierung. Welchen Mehrwert von Architekten geplante Sanierungen bieten, wurde auch in den Vorträgen zur Tagung deutlich. Viele von ihnen hatten Denkmalschutz-Auflagen zu erfüllen, die sich zum Beispiel nur mit einer Innendämmung erfüllen ließen. Dass sich unter solchen Rahmenbedingungen nicht in allen Fällen der „echte“ Passivhausstandard erreichen lässt, hat sich mittlerweile auch beim Passivhaus Institut herumgesprochen. 2011 hat das Institut daher den „EnerPHit“-Standard lanciert, einen Art „Passivhausstandard light“ für die Sanierung mit Passivhauskomponenten. Für ihn gelten reduzierte Anforderungen an die Luftdichtigkeit und ein Grenzwert von „nur noch“ 25 kWh/m²a bei der Heizenergie.

Überhaupt setzt sich, seit sich zunehmend knapp kalkulierende Bauträger beim Bau von Passivhäusern betätigen, die Einsicht durch, dass der Passivhausstandard bei Neubauten längst nicht immer wirtschaftlich ist. „Die letzten Kilowattstunden sind die teuersten“ lautet ein weit verbreiteter Spruch unter Passivhausplanern; soll heißen: 15 Kilowattstunden pro Quadratmeter jährlich kosten oft ungleich mehr als 17 oder 18. Auch Wolfgang Feist räumte in seinem Eröffnungsvortrag in Innsbruck ein, dass es auf die zwei oder drei Kilowattstunden nicht immer ankomme – wichtig sei vielmehr die Zielrichtung: den Energieverbrauch gegenüber dem Gebäudebestand um 80 bis 90 % zu senken.

Auch dass für das Klima nicht die Heizenergie, sondern die CO2-Emissionen entscheidend sind, hat die Passivhausbranche durchaus erkannt – betont aber auch, dass gerade Effizienz im Gebäudebetrieb hierfür eine Grundvoraussetzung bildet. In Vorarlberg etwa gibt es einen politischen Beschluss, dass die Region bis 2050 energieautonom werden will. Das heißt: keine fossilen Energien und keine Energieimporte mehr.

Nun hat Vorarlberg reichlich Holz, das sich verfeuern ließe. Dies jedoch wird bereits getan, und zwar in einem solchen Übermaß, dass das Land kürzlich die Fördermittel für große Holzfeuerungsanlagen gestrichen hat. An stärkeren Bemühungen um Energieeffizienz, so Martin Ploss vom Energieinstitut Vorarlberg, führen daher keine Bemühungen vorbei. Denn gerade im Winter, wenn Gebäude ein Maximum an Heizenergie verbrauchen, ist Vorarlberg derzeit noch am meisten von Energieimporten abhängig.

Gemeindezentrum in St. Gerold/Vorarlberg

Noch gehören Innsbruck und Tirol nicht zu den 27 „Passivhaus-Leuchtturmregionen“, die das Passivhaus Institut in Europa identifiziert hat und die sich in der einen oder anderen Art zum Bau von Passivhäusern verpflichtet haben. Doch die Neuregelung der Tiroler Wohnbauförderung und der damit verbundenen Energiestandards lässt es erwarten, dass das Passivhaus ab 2012 für den geförderten Wohnbau in der Region ohnehin zur Norm werden wird. In Vorarlberg ist er dies bereits seit 2007. Die weitreichendste Selbstverpflichtung ist indessen die belgische Hauptstadt Brüssel eingegangen: Dort müssen seit 2010 alle öffentlichen Neubauten und ab 2015 auch alle privaten Neubauten den Passivhaus-Standard erfüllen.

Dass derlei politische Forderungen nicht ohne flankierende Maßnahmen umsetzbar sind, wurde bei der Passivhaustagung deutlich. Immer wieder betonten die kommunalen Akteure, wie wichtig Förderprogramme und eine gezielte Beratung seien. Denn obwohl einzelnem , vorausschauende Investoren und Bauträger (noch lange vor den Kommunen) zu den Pionieren der Passivhausbewegung gehörten, müssen bei breit angelegten Initiativen buchstäblich alle Akteure „mitgenommen“ werden.

Ob dies gelingt, wird sich in den kommenden Jahren zum Beispiel in Heidelberg zeigen: Dort entsteht auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs die „Bahnstadt“, ein 116 Hektar großes Areal, das die Stadt selbstbewusst als „weltweit größtes Passivhaus-Baugebiet“ vermarktet. Das Gebiet soll keineswegs zur reinen Schlafstadt mutieren; der Passivhausstandard wird mithin auch für die dort errichteten Büro- und Geschäftsbauten gelten. Als eine der ersten Neubauten in der Bahnstadt wurde kürzlich ein Baumarkt fertiggestellt, der mit einem Heizwärmebedarf von 17 kWh/m²a den Passivhausstandard beinahe erreicht.

Darüber, wie sich flächendeckende Passivhaus-Initiativen in der Praxis auswirken, gibt es etwa in Vorarlberg mittlerweile erste Erkenntnisse: Seit der verpflichtenden Einführung des Passivhausstandards für öffentlich geförderten Wohnungsbau ist der Heizwärmebedarf aller neu errichteten Wohnbauten rapide gesunken. Derzeit liegt er für den Geschosswohnungsbau bei 22 kWh/m²a und für Einfamilienhäuser bei 35 kWh/m²a.

Lodenareal in Innsbruck

Foto: Marco Bertolini

Foto: Marco Bertolini

Passivhäuser in anderen Klimazonen
Darüber, ob sich Passivhäuser auch für andere – speziell wärmere – Klimate als das mitteleuropäische eignen, wird immer wieder heftig gestritten. Das Passivhaus-Institut hat inzwischen erkannt, dass sich der Standard an die Gegebenheiten unterschiedlicher Klimazonen wird anpassen müssen. Derzeit und noch bis Herbst 2011 läuft am Institut ein Forschungsvorhaben, das die hierfür erforderlichen Schritte festlegen will. Damit steht offenbar auch der Grenzwert von 15 kWh Heizenergie zur Disposition, die ein Passivhaus in Mitteleuropa maximal verbrauchen darf.

Stattdessen sollen sich die Angaben künftig vor allem an Komfortkriterien für das Innenraumklima orientieren – und daran, dass die Gebäude ohne zusätzliche Heizanlage allein über die Zuluft temperiert werden können. Rechnet man diese Vorgabe für unterschiedliche Klimazonen durch, zeigt sich, dass ein Passivhaus etwa in Nordrussland durchaus 22 Kilowattstunden Heizenergie verbrauchen darf. Ob diese Vorgabe angesichts der dafür notwendigen rund 80 Zentimeter Dachdämmung sinnvoll oder wirtschaftlich ist, steht auf einem anderen Blatt. Gestritten werden wird über die Sinnhaftigkeit des Passivhauses also sicher auch in Zukunft.

Passivhaus-Turnhalle in Frankfurt; Architekten: d’Inka Scheible Hoffmann Architekten

Sind Passivhäuser Architektur?
Über Passivhäuser sind derzeit viele Vorurteile im Umlauf. Die meisten lassen sich rasch widerlegen. Mit dem Verdikt, viele Passivhäuser seien hässlich, ist dies schon schwieriger. In Innsbruck wurden sowohl hervorragend gestaltete Beispiele als auch solche „zum Wegsehen“ gezeigt.

Teils mag dies am unterschiedlichen Erfahrungsstand liegen, den Architekten in unterschiedlichen Ländern mit der Gestaltung von Passivhäusern haben. Teils auch daran, wer ein Projekt initiiert hat und wer dabei die Fäden in der Hand hält: Der Architekt? Der Bauträger? Der Ingenieur? Oder gar der Hersteller einzelner Komponenten? Grundsätzlich gilt die Regel: Der Passivhausstandard ist ein bauphysikalischer, kein Gestaltungs-Standard. Wie Passivhäuser aussehen, hängt entscheidend davon ab, wie Architekten – und welche Architekten - mit diesem Standard umzugehen verstehen.

1. Preisträger im Architekturpreis Passivhaus: Wohnhaus in Liebefeld/Bern; Architekten: Halle 58; Foto: Peter Schürch

Immerhin: Anfänge sind erkennbar. Zur Passivhaustagung 2010 hatte das Passivhaus Institut den ersten „Architekturpreis Passivhaus“ ausgelobt. 2011 lagen nun die Ergebnisse in Form von Plakaten und einer Buchdokumentation vor. Interessant unter anderem: Der erste Preisträger ist überhaupt kein „offiziell“ zertifiziertes Passivhaus – sondern ein Mehrfamilienhaus in Bern, das nach dem Schweizer Standard Minergie-P zertifiziert wurde. Auch das belegt, dass in der Passivhaus-Bewegung Kleinstaaterei kein Thema und die Dogmatik eher auf dem Rückzug ist. „Das Passivhaus konzentriert sich auf bautechnische Details und bleibt bewusst offen für jeden Architekturstil “, sagt Wolfgang Feist mit Bezug auf die Wettbewerbsergebnisse.

Und gerade diese Offenheit wird auch künftig dafür sorgen, dass jegliche Art von Architektur im Passivhausstandard entstehen wird – gut gestaltete ebenso wie solche „zum Weglaufen“. Wie gesagt: Es kommt entscheidend auf die Architekten an, was sie aus dem Standard machen.
Jakob Schoof

Website der Passivhaustagung 2011:
http://www.passivhaustagung.de/
Weitere Informationen zum Architekturpreis Passivhaus:
www.passiv.de/archpreis/
Informationen zum Lodenareal und zum Olympischen Dorf in Innsbruck:
www.neueheimattirol.at/extras/projekte/details/61/innsbruck+lodenareal+2+bauabschnitt.aspx
www.neueheimattirol.at/extras/projekte/details/106/innsbruck+o3.aspx
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