06.12.2013 Peter Popp

Plastische Raumwirkung: Nationalbibliothek in Riad

Mit der im November 2013 eröffneten King-Fahad-Nationalbibliothek in Riad haben Gerber Architekten aus Dortmund einen der aktuell wichtigsten Kulturbauten in Saudi-Arabien fertiggestellt. Ihr Erscheinungsbild wird geprägt durch eine umlaufende Schicht aus vorgehängten, dreidimensional geformten Segeln aus weißem Glasfasergewebe, die als wirksamer Sonnenschutz dienen. Darüber hinaus interpretieren die Segel jedoch auch das arabische Erbe der Zeltstrukturen mit modernsten technologischen Mitteln und verweisen auf das im kulturellen Verständnis verankerte Prinzip des Verhüllens. Architekten: Gerber Architekten international, Dortmund
Tragwerks- und Fassadenplaner Membranfassade: Bollinger und Grohmann, Frankfurt
Standort: King Fahad Road, SA–Riad

Die ehemaligen Außenleuchten des Altbaus befinden sich nun mtten im Foyer.

Zusammentreffen von Alt und Neu an der Rotunde des Bestandsgebäudes

Die plastische Raumwirkung einer umlaufenden Schicht aus vorgehängten Sonnenschutzsegeln prägt das Erscheinungsbild der 2013 fertiggestellten King Fahad-Nationalbibliothek in Riad. Wie eine quadratische Schatulle umrahmt ein viergeschossiger Erweiterungsbau den sternförmigen Bestand von 1980. Seine außen und innen verglasten Fassaden lassen vom Straßenraum aus den dahinter liegenden Altbau nur erahnen. Unter einem gemeinsamen Dach bringen vier Höfe über die volle Gebäudehöhe Licht in das Innere. So entsteht ein stringent organisierter flacher Kubus, der Platz bietet für 2,4 Millionen Bücher.

Skizze: Eckhard Gerber

3D-Axonometrie: Gerber Architekten

Den Haupteingang verlegten die Architekten von der Straßen- auf die Platzseite. Hier ist durch den Abriss einer Schicht des Bestandsgebäudes ein beindruckender Foyerraum entstanden, der von einer zweiläufigen Rolltreppe über drei Geschosse beherrscht wird. Vorbei an den Verwaltungsräumen in den Obergeschossen, führt sie direkt auf das ehemalige Dach des bestehenden Gebäudekerns, wo sich der neue Lesesaal befindet. Brücken führen hinüber zur Freihandbibliothek auf der obersten Ebene des Neubaus.

Über die gesamte zweigeschossige obere Ebene spannt eine Stahl-Fachwerkkonstruktion vom Altbau bis zur Glasfassade. Durch streifenförmige Oberlichter in der Dachhaut und eine auf der Unterseite der Träger gespannte Membran fällt gefiltertes Tageslicht auf die Plattform des Lesesaals und dringt in die vier Höfe bis auf die Eingangsebene.

Brücken führen hinüber zur Freihandbibliothek auf der obersten Ebene des Neubaus.

Zwischen den beiden Seilebenen spannen dreidimensional geformte Segel aus weißem Glasfasergewebe. Sie prägen die Atmosphäre des Innenraums, den sie mit nur 7 % Lichtdurchlässigkeit wirksam vor der Sonne schützen.

Grafik: Bollinger und Grohmann


Die Grundstruktur der Fassade besteht aus zwei Ebenen von diagonal gespannten, sich kreuzenden Zugseilen. Sie sind 1,70 m vor der Glasfassade an auskragenden Stahlträgern befestigt und spannen vom Dachrand bis zur Geschossdecke über dem Erdgeschoss. An den Kreuzungspunkten der Seile sind sie mit Druckstäben an die dahinter liegende Deckenkante angeschlossen bzw. miteinander verbunden.

Sich kreuzende Zugseile spannen vom Dachrand bis zur Geschossdecke über EG.

An den Kreuzungspunkten sind die Seile mit Druckstäben an die dahinter liegende Deckenkante angeschlossen bzw. miteinander verbunden. Grafik: Bollinger und Grohmann

Gleichzeitig bieten die Zwischenräume überraschend gute Ausblicke auf die Umgebung. Mit ihrem vom Blickwinkel abhängigen Spiel zwischen »Verbergen« und »Öffnen« erinnert die Segelstruktur an das Motiv des Schleiers ebenso wie an traditionelle arabische Ornamente und kann so trotz ihrer technischen Materialisierung als Zeichen kultureller Kontinuität gelesen werden.

Modellstudien

Architekt Eckhard Gerber in den Räumen des Direktors.

Die Sonnenschutzsegel sorgen für angenehme Lichtverhältnisse im Lesessal.

Der Teppichboden vor dem Auditorium bringt Farbe ins Gebäude und bezieht sich mit seiner Aufteilung auf den üblichen Gebetsteppich.

Freihandbibliothek auf dem ehemaligen Dach des Bestandsgebäudes.

Die gelungene Verbindung aus Tradition und Moderne ist das Ergebnis eines langwierigen Prozesses. Die Zusammenarbeit mit einheimischen Ingenieurbüros und den vergleichsweise unstrukturierten Bauabläufen vor Ort bedeutete eine große Herausforderung in puncto Flexibilität. Das Probieren und wieder Verwerfen oder Ändern gehört auf der saudi-arabischen Baustelle zur Tagesordnung. Die Bereitschaft zu nachträglichen Änderungen auf der Baustelle ist dafür aber groß. Gerber Architekten nutzten die permanenten Bauzeitverzögerungen dazu, manches Detail direkt auf der Baustelle zu entwickeln oder zu verfeinern. Das Ergebnis spricht für sich, dem fertigen Bauwerk sieht man all die Komplikationen während der Bauphase nicht an.

Bauherr: Arriyadh Development Authority, Kingdom of Saudi Arabia

Architekten:
Gerber Architekten international GmbH
Projektleitung: Thomas Lücking
Mitarbeiter: Britta Alker, Olaf Ballerstedt, Carolin Balkenhol, Hans Christoph Bittner, Markus Görtz, Juana Grunwald, Thomas Helms, Nicole Juchems, Alexandra Kranert, René Koblank, Nils Kummer, Stefan Lemke, Jörg Schöneweis, Van Hai Nguyen
Lokales Planungsbüro: Saudi Consulting Servies

Tragwerks- und Fassadenplaner Membranfassade: Bollinger und Grohmann GmbH
Generalunternehmer: Saudi Binladin Group
HLS: DS-Plan Ingenieurgesellschaft für ganzheitliche Bauberatung und Generalfachplanung GmbH Fotos: Christian Schittich Eine ausführliche Print-Dokumentation finden Sie in unserer aktuellen Ausgabe DETAIL 2013/12 zum Thema »Planen und Bauen als Prozess«.

Zusammenspiel zwischen Alt und Neu

Oberer Zugang zum Auditorium


Im geometrischen Zentrum des Komplexes liegt die Rotunde des Altbaus. Nur von hier ist im Innenraum die neu errichtete geodätische Kuppel sichtbar. Als Reminiszenz an den Bestandsbau und als klassisches Element arabischer Architektur ist sie von außen jedoch nur aus größerer Entfernung zu sehen, macht den Erhalt des Bestehenden ablesbar und liefert ein weithin sichtbares Zeichen für die gelungene Einbindung des Neuen in das Alte.

Blick in die Rotunde des Bestandsgebäudes

Neu errichtete geodätische Kuppel

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