11.08.2014 Christian Brensing

Rettung in Sicht? – Internationales Baukultur-Symposium

Kaum waren die Besucherströme zur Eröffnung der 14. Internationalen Architekturbiennale abgeebbt, lud die Bundesstiftung Baukultur zu einem Symposium nach Venedig. Thema waren die teils dramatischen Auswirkungen des weiter zunehmenden Massen- und Kulturtourismus auf die Lagunenstadt und deren Bewohner.

Ort: Deutsches Studienzentrum in Venedig
Zeitraum: 26. bis 27. Juni 2014

Ein gigantisches Kreuzfahrtschiff hinter Venedigs Silhouette, Foto: Christian Schittich

Im allgemeinen Bewusstsein ist Venedigs Untergang seit über hundert Jahren fest verankert. Schon John Ruskin zeichnet in seinem Buch "Steine von Venedig" (1852) die Lage gleichermaßen fatal wie heutzutage Donna Leon in den Krimis über Commissario Brunettis Heimatstadt. In der Tat entbehren die nackten Zahlen keinerlei Brisanz: Jährlich verlassen circa 1.000 Venezianer ihre Stadt, in den letzten 60 Jahren sank die Einwohnerzahl auf unter 59.000, was einem Schwund von 66% entspricht. Dafür steigt die Zahl der Touristen ständig an, bis zu 30 Millionen wälzen sich jährlich durch die schmalen Gassen, über Brücken und Wasserwege, ein Plus von 530% in sechs Jahrzehnten.

Neben den Menschenmengen in der überlaufenen Stadt sind die riesigen Kreuzfahrtschiffe, die sich durch den Canale della Giudecca quetschen, das augenscheinlichste Zeichen des schleichenden Untergangs. Überteuerte Miet- und Lebensmittelpreise, wachsende Müllberge und eine schrumpfende Versorgung z.B. durch Ärzte nehmen den Einwohnern die Freude an ihrer Stadt, die seit 1987 UNESCO Weltkulturerbe ist.

"Die Moderne, Bedrohung oder Verheißung?" - so ein Biennale Slogan - hat für die Entwicklung und das Überleben Venedigs als lebendige Stadt zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine tragische Dimension angenommen – wenngleich auch nur wenig moderne Architektur in Venedig zu finden ist. Um über die städtebaulichen Chancen und Strategien zu diskutieren veranstaltete die Bundesstiftung Baukultur ein internationales Baukultursymposium in der Lagunenstadt in Kooperation mit dem Deutschen Studienzentrum in Venedig. Gezielt lud man als Referenten drei Planer ein, die sich in ihrer täglichen Arbeit seit Jahren mit der Stadt auseinandersetzen.

Vorstandsvorsitzender Reiner Nagel spricht im Rahmen des Symposiums »Abitando Venezia - Living Venice - Venedig Beleben« im Deutschen Studienzentrum in Venedig, Foto: ©Bundesstiftung Baukultur

Kreuzfahrtschiff erzeugt riesige Wellen, Foto: Christian Schittich

Sergio Pascolo, ein in Venedig praktizierender Architekt, Professor an der Universitá IUAV di Venezia und Autor des Pamphlets "Abitando Venezia" (2013), wies vor allem auf die ungenutzten Chancen und die Potentiale der Lagunenstadt hin. "Venedig, die kompakte Stadt mit ihrer hohen Dichte, ihrer Fußläufigkeit, mitten in dem Naturpark Lagune, ist heute mehr denn je das Modell, das alle anderen Städte sowohl ideell als auch konkret anstreben werden." Auf Grund dieser Vielschichtigkeit könnte man Venedig als urbane "Playstation" bezeichnen, die experimentelle Wege erschließt und nicht nur als historischer Rahmen der Biennale fungiert.

Reiner Nagel im Gespräch mit Sergio Pascolo, Foto: ©Bundesstiftung Baukultur

Reiner Nagel (Vorstandsvorsitzender Bundesstiftung Baukultur) und Prof. Dr. Sabine Meine (Direktorin des Deutschen Studienzentrums in Venedig) begrüßen die Teilnehmer beim Abendempfang im Deutschen Studienzentrum in Venedig, Foto: ©Bundesstiftung Baukultur

Dass Venedig eben nicht nur ein architektonischer Schrein für Vergangenes ist, verdeutlichte Clemens Kusch, der neben seiner Tätigkeit als praktizierender Architekt in Venedig dieses Jahr einen Architekturführer (DOM publishers, Berlin) über venezianische Bauten und Projekte nach 1950 herausgab. Seiner Meinung nach manifestiert sich die Baukultur Venedigs für die Bewohner auch stark in zeitgenössischen Bauprojekten. Insbesondere Wohnungsbauten tragen dazu bei, aber gerade diese sind in den letzten Jahrzehnten immer rarer geworden, dafür stieg die Zahl der Pendler auf über 20.000 pro Tag.
Von Schwarz, zu grau, zu grün und dann zu blau lautet die poetisch-pragmatische Antwort des in Mailand ansässigen Landschaftsarchitekten Andreas Kipar. Er stellte seine Planungen für die nächstes Jahr im Rahmen der Weltausausstellung Expo 2015 in Mailand besetzten industriellen Brachen auf dem Festlandteil Venedigs vor. 50 x 50 Meter große Parzellen verdichten sich zum "Venice Green Dream", der sich symbolisch in einem Baumdiagramm abbildet: als grüne Baumkrone die Industrieareale Mestre und Marghera, der Stamm die Verkehrsverbindung zu Venedig und die Stadt selbst als ein vom Wasser umspültes Wurzelwerk. In dieser urbanen Symbiose steckt, laut Andreas Kipar die Saat für ein erneutes Aufblühen der ganzen Region.

Wie aktuell die Ideen und wie groß der Handlungsbedarf sind, verdeutlichte die brandaktuelle politische Nachricht der letzten Woche, dass, nachdem im Juni Venedigs Bürgermeister wegen Korruption um das Schleusensystem "Mose" in U-Haft genommen wurde, nun auch der kollektive Rücktritt von Venedigs Stadtrat erfolgte. Venedig ist zum steuerlosen Schiff geworden. Doch darin liege auch die Chance für einen Neubeginn, so Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur. Ein Rettungsanker könne in der Rückbesinnung auf Werte wie die der Baukultur liegen.

Foto: Christian Schittich

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