09.04.2013 Emilia Margaretha

Spur der Steine: Kulturwerk und Musikschule in Norderstedt

Die ehemalige Pressenhalle wird zum Veranstaltungssaal, die alte Verschiebebahn zum Foyer: Mit der Umnutzung des alten Kalksandsteinwerks in Norderstedt ist ein neuer Veranstaltungsort geschaffen worden, der die verschiedenen, über die gesamte Stadt verteilten Kultureinrichtungen an einem Ort zusammenführt. In Ihrem Entwurf haben me di um Architekten die Nutzungsverteilung an die früheren Produktionsabläufe so angepasst, dass durch die Revitalisierung auch die Geschichte des Kiesabbaus und die der Steinproduktion sichtbar und wieder erlebbar werden konnte. Architekten: me di um Architekten, Roloff Ruffing und Partner, Hamburg
Standort: Am Kulturwerk 1, D-22844 Norderstedt

Foto: Klaus Frahm

Bauherr: Stadt Norderstedt vertreten durch Stadtpark Norderstedt GmbH Bauleitung: Höhler + Partner Architekten und Ingenieure, Hamburg
Tragwerksplanung: Assmann Beraten und Planen, Hamburg Machbarkeitsstudie: 10/2007
Baubeginn: 04/2010
Fertigstellung: 11/2012 Baukosten: 7,4 Mio Euro BGF Kulturwerk: 3000 m²
BGF Musikschule: 747 m² Weitere Informationen
www.medium-architekten.de

Foto: Klaus Frahm

Wo sich heute der Stadtpark mit seinem See befindet, wurde bis 1988 Sand für die Produktion von Kalksandsteinen abgebaut. Im ehemaligen Kalksandsteinwerk der Firma Potenberg wurde der Sand zu Kalksandsteinen verarbeitet und im gesamten norddeutschen Raum für Haus- und Gewerbebauten verwendet. Erst als die Kalksandvorkommen vollständig ausgebeutet sind, wird das Werk geschlossen und steht fast 20 Jahre leer, bis 2006. Zur der Zeit erwirbt die Stadt Norderstedt das Gelände mit dem Werkgebäude und es entsteht die Idee des Kulturwerks am See. Im November 2009 beginnen die umfangreichen Sanierungs- und Ausbaumaßnahmen:
Die Werksruine wird in ein Kulturzentrum umgewandelt, mit dem Ziel, die räumlichen Strukturen und den industriellen Charakter zu erhalten.

Die Tore, durch die die Loren auf den Lager- und Verlade-Platz geschoben wurden, werden durch große Fenster ersetzt. Foto: Klaus Frahm

Das Kalksandsteinwerk vor der Sanierung, Foto: Klaus Frahm

Das Kalksandsteinwerk vor der Sanierung

Fotos: Klaus Frahm

Die Geschichte des Kiesabbaues und die Produktionsabläufe der Steinherstellung spielten beim Entwurf des neuen Kulturzentrums eine besondere Rolle, denn die Ursache und Wirkung der Kiesgewinnung soll auch in Zukunft nachvollziehbar bleiben. Die Besucher des Kulturwerks sollen erkennen, dass auch der benachbarte, 25 Hektar großer Baggersee eine direkte Folge des Kiesabbaues darstellt. Der kernsanierte Industriebau verbindet nun den urbanen Raum mit dem neu angelegten Stadtpark.
In diesem Zusammenhang wurde der Widerstreit von Kultur und Natur an der Ostfassade des Kalksandsteinwerks baulich thematisiert. Aus der weitgehend geschlossenen Fassade werden in regelmäßigen Abständen gelochte Kalksandsteine herausgedreht, die mit der Zeit eine unkontrollierte Begrünung der Wand ermöglichen. In Absprache mit dem Naturschutzbund Deutschland (NABU) wurden auch Nisthilfen für Mauersegler, Fledermäuse und Insekten in das Mauerwerk integriert.

Foto: Klaus Frahm

Die Nutzungsverteilung des KulturWerk ist an den früheren Produktionsablauf der Kalksandsteinfabrik angelehnt. So wurde das Herzstück der Fabrik, die ehemalige Pressenhalle, zum Veranstaltunsgssaal umgenutzt. Auch die erhöhten Revisionsbalkone sowie die Ebene der Mischen-Silos, wurden dem Saal zugeschlagen. Die Beibehaltung der von funktionalen Abläufen geprägten industriellen Form der Pressenhalle führte zu einem räumlich eigenwilligen und sehr markanten Veranstaltungsraum.
Die ehemalige „Verschiebebahn“ des Kalksandsteinwerks wurde zum Foyer, dem Corso, umgestaltet. Das langgestreckte Bauteil wurde verlängert und bindet so den Musikschulneubau an das Kulturwerk. Die Innengestaltung des Foyers bezieht sich auf die ehemalige Funktion dieses Raumes. Analog der linearen Bewegung der „Loren-Schiebebühne“, können heute Kassen- und Bar-Tresen sowie Sitzbänke im Foyer verschoben werden, was immer neue Rauminstallationen ermöglicht.

Foto: Klaus Frahm

Die ehemalige „Verschiebebahn“ wurde zum Foyer. Foto: Klaus Frahm

Die ehemalige Pressenhalle wurde zum Veranstaltunsgssaal umgenutzt. Foto: Klaus Frahm

Querschnitt, Grafik: me di um Architekten

Grundriss EG, Grafik: me di um Architekten

Grundriss 1. OG, Grafik: me di um Architekten

Für das Veranstaltungszentrum ist ein energieoptimiertes Gebäudekonzept entwickelt worden, dass aus einer Vielzahl regenerativer Komponenten besteht, die auf die spezifischen Gegebenheiten dieses Ortes zugeschnitten sind. Die Wämeversorgung des Gebäudes erfolgt über das BHKW-Netz der Stadt und zusätzlich mittels einer Aquifer-Anlage aus dem Erdinnern. Um die Wärmeenergie des Brunnenwassers im Winter zu nutzen, wird mit Hilfe eines Förderbrunnens das ca. 10°– 13°C warme Grundwasser aus der Erde zu einer Wärmepumpe geführt. In dieser wird dem Brunnenwasser die gespeicherte Energie entzogen. In einem geschlossenen Kreislauf wird das abgekühlte Wasser nach Durchlaufen der Wärmepumpe über einen Schluckbrunnen mit einer Temperatur von etwa 0 °C wieder in die Erde zurück geführt. Im Sommer kann die Wärmelast gezielt durch Kühleinrichtungen mit dem Brunnenwasser abgeführt werden und dem im Winterbetrieb stark abgekühlten Grundwasser wird im Sommer die entzogene Wärme wieder zugeführt. Dank einer Hybridlüftung können sämtliche Räume des KulturWerks natürlich belüftet werden. Für die Veranstaltungssäle wurde ein Quellluftsystem realisiert, dabei wird durch einen Erdkanal aus dem Biotop frische Außenluft angesaugt. Auf ihrem Weg durch den Kanal wird die Frischuft vorerwärmt oder vorgekühlt. In den Sälen strömt sie über Quellluftöffnungen langsam in den Raum ein. Die Luft wärmt sich auf und steigt nach oben. Die verbrauchte Luft wird durch thermischen Antrieb zum Schornstein geführt, durch den sie das Gebäude wieder verlässt.

Modell Strömungssimulation
Grafik: me di um Architekten

Lüftungs- und Heizungskonzept

Ein wichtiger baulicher und funktionaler Bestandteil des Kulturwerks ist der Neubau der Musikschule Norderstedt, der als Ausbildungseinrichtung für die musikalische Früherziehung das Veranstaltungszentrum ergänzen soll. Der Kubus der Musikschule und das Fabrikgebäude bilden stadträumlich und hinsichtlich ihrer einheitlichen Kalksandstein-Optik ein Gebäudeensemble. Dabei steht der weiße Neubau der Musikschule dem industriell geprägten Bestandsgebäude der ehemaligen Fabrik als modernes Pendant gegenüber.

Foto: Klaus Frahm

Das Gebäude setzt sich aus den Bauteilen „Kubus“ und „Foyerspange“ zusammen. Durch die Verlängerung der Verschiebebahn des Kulturwerks entsteht das Foyer. Der Kubus ist von der Spange zurückgesetzt und als frei stehender Baukörper positioniert. Da die Foyerspange die Musikschule und das Kulturzentrum räumlich verbindet, ist bei Großveranstaltungen eine gemeinsame Nutzung beider Gebäudeteile möglich.   Einen Durchgang durchschreitend erreicht man vom vorgelagerten Foyer den Treppenraum, der sich über vier Geschosse erstreckt. Im Kellergeschoss befinden sich die Musikprobenräume für elektronisch verstärkte Musik, sowie Proben- und Aufnahmeräume. Im Erdgeschoss ist der große Chorprobenraum untergebracht, während im ersten OG sich sechs Musikprobenräume befinden. Mit Blick über Baggersee und Stadtpark bildet der lichtdurchflutete Ballettsaal im 2. OG das oberste Geschoss. 

Musikschule, Foto: Klaus Frahm

Foto: Klaus Frahm

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