17.10.2016 Bettina Sigmund

Urbane Nachverdichtung: Schönfärberei oder wirkliches Potenzial?

Beispiel für eine gelungene Aufstockung und energetische Sanierung, lynx architecture, Luisenstr. 25, München (Fotos: lynx architecture)

Welches Potenzial zur Nachverdichtung sehen Sie in bereits stark verdichteten Städten wie München?
Solange Baugrund verfügbar ist, ist es ja leicht nachvollziehbar, dass lieber auf freier oder freigeräumter Fläche neu und ohne Zwänge des Bestandes gebaut wird. Aber die Verfügbarkeit von Grund und Boden ist endlich. Insofern sind die Potenziale für Nachverdichtungen dort besonders hoch, wo die Flächenknappheit am größten ist. Gibt es eine Grenze der Verdichtung?
Ohne hier einen Aufschrei provozieren zu wollen – ich möchte sagen: nein. Die Stadt ist kein homogenes Gebilde, sie lebt durch die unterschiedlichen Raumerfahrungen, die sie uns Bürgerinnen und Bürgern bietet. Dazu gehört es, dass wir freie Flächen wie Parks, Plätze, großzügige Boulevards oder auch locker bebaute Bereiche erleben möchten. Genauso gerne suchen wir aber an anderer Stelle die pulsierende, stark belebte Stadt. Das geht nicht ohne Dichte. Dichte allein ist aber noch keine lebendige Stadt. Ohne die vielfältige Mischung unterschiedlicher Nutzungen und die richtige Verteilung auf verschiedenen Ebenen und in den Räumen ist Verdichtung eher Bedrohung statt Chance. Besonders das Thema der Dachaufstockung ist momentan als Lösungsweg in aller Munde – es gibt diverse Studien, auch das BBSR hat sich nun in der Studie »Potenziale und Rahmenbedingungen von Dachaufstockungen und Dachausbauten« positiv dazu geäußert. Aber ganz so einfach scheint die Umsetzung in der Praxis nicht. Wie stehen Sie zum Thema?
Das schöne an Veränderungen ist, dass damit immer auch Chancen verbunden sind. Nachverdichtung und Dachaufstockung rufen vielfach Ängste bei der angestammten Bevölkerung hervor. Die Sorge vor den ungewissen Risiken von Veränderung ist verständlich. Sieht man sich aber die Bereiche mit Nachverdichtungspotenzial genauer an, können dort oft viele Mängel erkannt werden: Die Versorger des täglichen Bedarfs haben sich zurückgezogen, die Bevölkerung ist überaltert und belegt übergroßen Wohnraum, die Wohnungen sind nicht barrierefrei erreichbar und ausgestattet, die Freianlagen schlecht nutzbar und mangelhaft ausgestattet, und so weiter. Nachverdichtung kann da wie Verjüngung wirken: Es ziehen neue Bewohner in das Quartier, die Kaufkrafterhöhung bringt Nahversorger zurück, neue Wohnungsangebote können für die angestammte Bevölkerung den Verbleib in Quartier in besser geeigneten Wohnräumen ermöglichen. Und letztlich können durch Nachverdichtung aufgestaute Instandhaltungen am Bestand mit Verbesserungen des Energiestandards umgesetzt werden. Darüber hinaus wird die vorhandene Infrastruktur optimaler genutzt. Klug gemacht, sehe ich nur Gewinner. Der Dachaufstockung wird oft auch der Deckmantel für die Gentrifizierung nachgesagt. Wie kann man sicher gehen, dass »nur« neuer Wohnraum geschaffen wird – ohne die Bestandsbewohner durch umfangreiche Modernisierungsmaßnahmen zu verdrängen?
Häufig ist ja die Umwandlung in Wohnungseigentum die eigentliche Ursache für Verdrängungen. In besonders gefährdeten Gebieten haben wir in München Erhaltungssatzungen. Da gelten beispielsweise Umwandlungsverbot und weitere preisdämpfende Regelungen. Ich würde mir mehr Diskussion über die Wirkungen des Wohnungseigentumsgesetz in den Städten im Zusammenhang mit Wohnungsknappheit wünschen. Bestandshalter sind in den Quartieren gute Partner für Stabilität und Akzeptanz von Nachverdichtungsmaßnahmen. Wann sind Aufstockungen überhaupt möglich?
Damit kommen wir zum Baurecht. Innerhalb der Stadt müssen sich Vorhaben nach §34 BauGB einfügen oder der baurechtliche Rahmen ist durch einen Bebauungsplan festgelegt. Gerade in den attraktiven Ballungsräumen sind in der Regel aber diese baurechtlichen Rahmen bereits bei der ersten Bebauung schon ausgeschöpft. In Bebauungsplanbereichen besteht dann die Möglichkeit der Befreiung, wenn öffentliche Belange und die der Nachbarn nicht beeinträchtigt sind. Auf diesem Weg eröffnen sich Möglichkeiten. Das öffentliche Interesse an Wohnungsneubau kann unterstellt werden. In München sehen wir das als begründet, wenn auch preiswerter Wohnraum neu entsteht. Wir sichern das dadurch, indem der Bauherr 40 Prozent der befreiten Fläche im geförderten Wohnungsbau anbietet. Nachbarliche Interessen können durch die Abstandsflächen tangiert sein. Im unbeplanten Innenbereich bedeutet »einfügen« nicht, dass nur das zulässig ist, was in der Umgebung schon da ist. Einfügen bedeutet, durch die Genehmigung darf der Bereich nicht so in Bewegung kommen, dass die Auswirkung der Veränderung durch eine städtebauliche Planung (Bebauungsplan) bewältigt werden müssten. Das ist genauso kompliziert, wie es sich anhört – aber es bestehen Möglichkeiten. Man muss sich das immer wieder genau ansehen und sorgfältig analysieren. In homogenen, klar abgegrenzten Bereichen ist eine Erhöhung von Gebäuden vorstellbar, ohne dass damit eine Planung ausgelöst werden muss. Welche Rolle spielen die Eigentumsverhältnisse?
Die Eigentumsverhältnisse spielen eine ganz entscheidende Rolle. Die Abstandsflächen haben wir bereits angesprochen. Eine Unterschreitung der vollen Abstandsflächen ist in vielen Fällen objektiv unschädlich hinsichtlich Belichtung, Besonnung und Belüftung. Stimmt der Nachbar aus subjektiven Gründen nicht zu, sind eine Unterschreitung und damit eine optimierte Verdichtung kaum möglich. Über transparente und vertrauensvolle Verhandlungen unter Nachbarn können da oft Ergebnisse zu beiderseitigem Nutzen erzielt werden. Ist der Nachbar eine Wohnungseigentümergemeinschaft, sind Einigungen kaum zu erreichen. Auch wenn der Eigentümer eines Gebäudes mit Nachverdichtungspotenzial eine Wohnungseigentümergemeinschaft ist, ist die Konsensfindung zu einer Baumaßnahme am Gemeinschaftseigentum langwierig und kompliziert. Hier vermisse ich die Diskussion darüber, inwieweit die immer weiter zunehmende Aufteilung der Städte in Bruchteilseigentum eine sinnvolle Veränderung und Weiterentwicklung der Städte unmöglich macht. Welche Rolle spielen Normen, Richtlinien und Regelwerke?
Über BauGB und die Abstandsflächen haben wir bereits gesprochen. Bei der Stellplatzverordnung hat der Münchner Stadtrat jüngst Veränderungen beschlossen, die insbesondere die Nachverdichtung erleichtern. Wir denken auch sehr gerne mit den Bauherrn über Mobilitätskonzepte nach, die nicht nur einfach zu einer Reduzierung der Stellplatzpflicht führen, sondern auch für die Bewohnerinnen und Bewohnern zu verbesserten Angeboten führen, z.B. Carsharing-Angebote in der Wohnlage, besondere Nahverkehrsangebote usw.. Im Bereich der Baunutzungsverordnung plant der Bundesgesetzgeber die Schaffung einer weiteren Gebietskategorie, das »urbane Gebiet«. Damit ist, im Gegensatz zu dem bisherigen Grundsatz der Trennung von Nutzungen, die Steuerung und Förderung eines Nebeneinanders von unterschiedlichen Nutzungen möglich. Soweit die Landesbauordnungen für dieses Gebiet mit einer Reduzierung der Abstandsflächen nachziehen, kann diese Kategorie die Nachverdichtung befördern. Mit den vorhandenen Regelwerken kann Nachverdichtung ermöglicht und gesteuert werden. Gute Normen sind auslegungsfähig und lassen eine Anpassung an Veränderungen zu. Bauherrn, Architekten und Verwaltung sind hier gefragt, kreative und gute Begründungen für die Auslegungen zu entwerfen, der Ruf nach Gesetzesänderungen ist nicht immer notwendig. In wieweit können Städte dann Einfluss nehmen?
Städte können eine Haltung zur Nachverdichtung entwickeln und vermitteln. Es ist ja längst nicht so, dass Nachverdichtung stets willkommen ist. Die Städte können ein positives Klima für Nachverdichtung schaffen indem über die Notwendigkeit, die Vorteile, aber auch die Belastungen offen diskutiert wird. Ohne einen Konsens in der Bevölkerung ist Nachverdichtung im größeren Umfang nicht zu erreichen. Gibt es bereits Bestrebungen der Stadt München?
Mit dem Wohnungsbauprogramm »Wohnen für alle« fördert der Stadtrat der Landeshauptstadt München in Ergänzung zu den schon bestehenden Wohnungsbauprogrammen insbesondere die Nachverdichtung. Das ist Haltung zeigen. Über die Hemmnisse haben wir bereits gesprochen. Da sind wir als Verwaltung gefragt, die Regelwerke in Richtung Nachverdichtung zu denken und Interpretationsräume aufzuspüren. Dabei ist es unsere Aufgabe, sowohl für die Bürger als auch für Bauherrn als neutraler und vertrauenswürdiger Vermittler zur Verfügung zu stehen.

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