15.10.2014 Insa Thiel

Verborgene Ornamentik: Keramikmuseum in Sevilla

Von außen würde man kaum vermuten, was sich hinter den historischen Fassaden im alten Handwerkerviertel Triana verbirgt. Im Innenhof schmiegt sich ein neuer Anbau behutsam in die vorhandenen Grundstücksgrenzen ein und bildet ein modernes Ausstellungsgeschoss. Das »Centro Céramica Triana« überzeugt vor allem durch sein Fassadendekor: Ein vorgehängtes Stahlgitter, gefüllt mit Keramikhülsen unterschiedlicher Größe umhüllt die neuen Räumlichkeiten.

Architekten: AF6 Arquitectos, Sevilla
Ort: Calle San Jorge, Triana, E–41010 Sevilla

Blick in den historischen Produktionshof, Foto: Jesús Granada

Den Eingang des Ensembles bildet ein repräsentatives, mit Keramikkacheln und Werbetafeln verziertes Eckhaus, in dem sich auch Verkaufs- und Werkräume befinden. Lediglich ein kleines Dekor an der Attika lässt das zu erwartende Ornament der Innenhoffassade erahnen. Dass sich der eigentliche Entwurf des Architekturbüros erst vom Innenhof aus erschließt, lässt sich wohl auf die ursprüngliche Charakteristik der ortstypischen Fabrikationsgebäude zurückführen. Während sich Verkaufs-, Lager- und Wohnflächen straßenseitig orientierten, wurde die handwerkliche Arbeit und Produktion in den Hinterhöfen getätigt.

Haupteingang des Museums – Attikaverzierung gibt ersten Hinweis auf Hoffassade, Foto: Jesús Granada

Die Keramikmanufaktur »Cerámica Santa Ana Rodriguez Diaz« wurde in den siebziger Jahren stillgelegt und steht seit 1999 unter Denkmalschutz. Nicht zuletzt deshalb war ein behutsamer Umgang mit der Bausubstanz essentiell. Die gesamte Produktionsstätte und die historischen Fassaden durften nicht verändert werden und wurden für die Museumsnutzung bewusst in Szene gesetzt. Indem die Architekten nur extrem baufällige Zwischenwände entfernen ließen und einige Mauerwerkslücken auffüllten, entstand im Erdgeschoss eine Art Rundgang entlang des alten Baubestandes und der archäologischen Fundstücke.

Grundriss UG: Brennöfen (3), Archäologische Ausgrabungen (6), Grafik: AF6 Arquitectos

Grundriss EG: Eingang (1), Tickets (2), Brennöfen (3), Ausstellungsraum (4), AV Raum (5), Archäologische Ausgrabungen (6), Shop (7), Workshop (8), Grafik: AF6 Arquitectos

Grundriss 1. OG: Foyer (9), Mittelalterliche Keramik (10), Renaissance Keramik (11), Barocke Keramik (12), Keramik des 19./20. Jahrhunderts (13), Wechselnde Ausstellungen (14), Temporäre Ausstellungen (15), Mehrzweckplatz (16), Ausstellung »Aqua Triana« (17), Verwaltung (18), Grafik: AF6 Arquitectos

Grundriss 2. OG: Bücherei (19), Grafik: AF6 Arquitectos

Alte Schornsteine und Belüftungsschächte prägen den alten Innenhof und sind Bestandteil ehemaliger Brennöfen. Zwei von ihnen wurden in das Projekt integriert und bilden nun Erschließungskerne, die Erd- und Untergeschoss miteinander verbinden.

Das aufgesetzte, überkragende Geschoss wird konstruktiv durch ein Stahlfachwerk ermöglicht und reagiert ebenfalls auf die historischen Funde. Benötigen die Brennöfen im Erdgeschoss Raum für Besucher, weicht der »schwebende« Körper bewusst zurück und schrumpft auf einen schmalen Flur zusammen, überwiegen freie Stellen kragt er hingegen hervor in den Innenhof und bietet den nötigen Platz für Ausstellungen.

Foto: Jesús Granada

Fotos: Jesús Granada

Das vorgehängte Stahlgitter mit den Keramikhülsen soll primär als Sonnenschutz dienen. An den nach Süden gerichteten Räumen, sind die Hülsen dichter gestapelt, an schattigen Stellen hingegen gewähren sie Ausblick und maximalen Lichteinfall.

Stimmig erscheint die Fassade des Anbaus nicht nur durch die Farbigkeit der Hülsen. Charmant korrespondieren historischer Bestand und der neue Sonnenschutz miteinander. Keramikhülsen in vier unterschiedlichen Größen – 10, 15, 20 und 30 cm – sollen durch eine willkürlich erscheinende Anordnung nahezu plakativ den Inhalt des Gebäudes preisgeben und dabei an ihre ursprüngliche Lagerung bei der Produktion erinnern. So stellt die zeitgemäße Fassade ein gewohntes Bild bei der Herstellung dar. Die Art des Sonnenschutzes erinnert an ortstypische, ursprünglich aus der arabischen Kultur stammende, dekorative Holzgitter – sogenannte Maschrabiyya. Während sie die Inneräume kühl halten und die Räume uneinsichtig machen, wird Besuchern der Blick nach außen weiterhin gewährt.

Foto: Jesús Granada

Mit dem »Centro Cerámica« gelingt den Architekten eine ortstypische, zurückhaltende Ergänzung der bestehenden Architektur. Das Museum resultiert dabei aus dem historischen Prozess und vorgefundenen Gegebenheiten und lässt ein Gebäude entstehen, dass augenscheinlich aus seiner Funktion heraus entwickelt wurde. Ohne das Bild der Stadt zu beeinflussen, schmiegt es sich in die vorhandenen baulichen Begrenzungen ein und generiert introvertiert ein prägnantes neues Museumsbild. Die drei vollkommen unterschiedlichen und unauffälligen Straßenfassaden bewahren den Neubau wie einen kleinen Schatz in ihren Mauern. In einer labyrinthischen Reise werden die Besucher authentisch durch verschiedenste Etappen der Keramikproduktion und das natürlich erhaltene steinig und verstaubte Erbe geführt. Die Vorhangfassade stellt zwar an einigen Stellen reines Dekor und keinen Sonnenschutz dar, nimmt aber immerhin thematisch Bezug zur Historie der alten Manufaktur.
Bauherr: Consorcio Turismo de Sevilla
Mitarbeiter: Miguel Hernández Valencia, Esther López Martín, Juliane Potter, Ángel González Aguilar, Francisco José Domínguez Saborido
Grundstücksfläche: 1.510 m²
Gebäudefläche: 2.241 m²
Budget: 3.432.794 €

Weitere Informationen

www.af6.es
Weitere Projekte zum Thema »Innenraum und Licht« lesen Sie in unserer aktuellen Ausgabe DETAIL 2014/10
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