28.01.2014 Frank Kaltenbach

Von der Schaustelle zurück auf die Baustelle

»Mit der Konstruktion der Schaustelle kaufen die Bauherrn kein Material, sondern Zeit!« erläuterte Architekt Jürgen Mayer H. bei der ersten Pressekonferenz im verschneiten München vor gut einem Jahr. Die Zeit des Bauwerks ist nun abgelaufen, der Platz vor der Pinakothek der Moderne wirkt wieder wie leergefegt. Doch wo ist eigentlich das Bauwerk geblieben?

Alle Fotos, soweit nicht anders vermerkt: Frank Kaltenbach

25.5.2013
Von der Aussichtsplattform in 17 m Höhe hatten die Besucher einen Rundblick über die Dächer von der Frauenkirche bis zum Olympiaturm.

Grundriss EG

Grundriss Dachplattform

Grundriss Aussichtsplattform

25.5.2013
Einen ganzen Sommer lang war sie weit mehr als das Provisorium der vier Museen in der Pinakothek der Moderne: Mit ihrer Gerüststruktur drückte die Architektur der Schaustelle den prozesshaften Charakter allen künstlerischen Schaffens aus. Städtebaulich besetzte der Baukörper wie das Leergerüst für den seit Jahren anstehenden zweiten Bauabschnitt der Pinakothek die Ecke Gabelsberger-/Türkenstraße. Die Dimension des frei stehenden Gebäudes, die weiten Auskragungen und die erheblichen Verkehrslasten auf den Besucherplattformen erforderten eine komplexe Tragwerksplanung für den Einsatz des standardisierten Gerüstsystems. (siehe Beitrag von Thorsten Helbig von Knippers Helbig in DETAIL 10/2013 - Temporäre Bauten, S. 1128-1134)
links 6.9.2013, rechts 14.10.2013
Schmuckdesign von Otto Künzli zeigte die erste Ausstellung, bei  einer der letzten Performances ließen Folke Köberling, Martin Kaltwasser und David Moises einen ferngesteuerten Mercedes gegen die Stützen und Wände einer hölzernen Parkhaus-Attreppe fahren, bis das im Maßstab 1:1 temporär errichtete Gebäude mehr oder weniger kontrolliert in sich zusammenbrach.

Der Abbau der temporären Konstruktion der Schaustelle ist dagegen logistisch perfektioniert.  Während der Aufbau aufgrund der winterlichen Witterung und der weiten Auskragungen sehr zeitintensiv war, ging der gesamte Abbau des 11 000 m3 großen Volumens in fünf Wochen über die Bühne. Zuerst werden die auskragenden Gerüstpartien auseinandergeschraubt, dann die Bleche der Plattformen ausgehängt.

links: 17.10.2013
der Gerüstbau ist fast vollständig abgetragen mitte: 23.10.2013
Hinter der Polycarbonat-Fassade kommen die Industriecontainer der Nebenräume zum Vorschein rechts: 30.10.2013
Das Gerüst ist komplett abgetragen, vom Veranstaltungssaal steht nur noch das Stahlskelett.

25.5.2013
Auch im fertigen Zustand ist der Eindruck des Unvollendeten ein wesentlicher Bestandteil des Entwurfs.

links 17.10.2013 
Die Gerüststruktur ist fast vollständig demontiert. mitte 23.10.2013
Hinter der umlaufenden mit Polycarbonatplatten verkleideten Raumschicht kommen die Sandwichpaneele des Veranstaltungsraums zum Vorschein. rechts: 30.10.2013
Die Sandwichichpaneele sind zum Großteil demontiert, der monolithische Kubus des Veranstaltungssaals gibt seine tragende Stahlskelettstruktur preis.

25.5.2013
In sechs Meter Höhe befindet sich über dem Veranstaltungsraum die erste Besucherplattform. Hier ranken an den gerüsten Hopfenpflanzen nach oben, die bayerische Version des urban gardening. Schaukelsessel des Studiengangs Innenarchitektur der Münchner Kunstakademie verwandeln diese überdimensionale Pergola in eine Lounge mit ganz besonderem Flair.

Die hohen assymetrischen Verkehrslasten der Besucher können jedoch weder von der filigranen Gerüstkonstruktion, noch von der Dachkonstruktion des Versammlungssaals aufgenommen werden.

23.10.2013
Daher musste eine eigene Trägerlage eingezogen werden, die auf eigenen Stützen unabhängig von der Saalkonstruktion und dem Gerüst aufliegen und die Bleche der Plattform tragen.

23.10.2013
Demontage der Plattformträger und Plattform-Bleche

23.10.2013
Das Ringlock-Gerüstsystem erlaubt mit speziellen Gabelhaltern das Ein- und Aushängen der Polycarbonat–Fassadenpaneele.

30.10.2013
Alle 4.250 Einzelteile des Ringlock-Systems werden sortiert und für den Abtransport  bereitgestellt. links: Gabelhaken zum Einhängen der Polycarbonatfassade
rechts: Rohrschellen zum Verbinden der Ringlock-Rohre und Aussteifungsrohre

links: Ringlock-Rohre als vertikale Stützen
rechts:
Rundrohre für diagonale Aussteifungen

Horizontalstäbe mit Knoten zum Einhängen in das Ringlock-System

links: Unterspannte Horizontalträger bei Verkehrslasten wie z. B. den Stegen auf die Dachplattform mitte: Bleche für Stege und Treppen rechts: Träger für Treppen als Auflager der Bleche

Veranstaltungsraum als White Box. Der fensterlose Raum gibt im fertigen Zustand keine Hinweise über seine Konstruktion. links: bei der Pressebegehung am 26. Februar 2013
rechts: Abtrennung des Großraums in eine Lounge mit Bar und einen Ausstellungs- bzw. Vortragssaal. Vortrag in der Lounge von DETAIL-Redakteur Frank Kaltenbach zum Thema Temporäre Architektur am 9. Juli 2013.

Foto: Olga Lopez Sans

links: 27.10.2013 Vortragssaal mit demontierter innerer Gipskartonschale und äußerer Hülle aus Sandwichplatten. rechts: 30.10.2013 tragendes Stahlskelett des Vortragssaals

30.10.2013
Letzte Reste der Gerüstkonstruktion stehen auf der Fundamentplatte aus Stahlbeton, die Sandwichverkleidung ist fast vollständig demontiert.

Auch die Sandwich-Elemente werden fein säuberlich sortiert. Links die glatten Wandpaneele, rechts die Dachpaneele mit den Zinken.

Die tragende Konstruktion des Vortragssaals ist denkbar einfach. links: Rundrohre des Gerüstsystems dienen als Aussteifung
Mitte: Holzbalken als Horizontalträger können leicht abgeschraubt werden.
rechts: Die Stahlträger werden in kleine, gut zu transportierende Langen aufgeteilt.

Schließlich wird das gesamte, in Teile zerlegte Gebäude mit dem Sattelschlepper nach Berlin transportiert. Dort lagert der Gerüstbauer Tisch die Teile zunächst ein, bis sie in alle Welt zerstreut wieder auf den unterschiedlichsten Baustellen zum Einsatz kommen.

7.11.2013 links: Die wenigen Gebäudeteile, die weggeworfen werden müssen, passen in wenige Müllkipper.
rechts: Und was passiert eigentlich mit der 30 cm dicken Stahlbetonplatte, die auf der Grundfläche von 15 x 40 Meter als Schwergewichts-Fundament eigens betoniert wurde?

18.11.2013
Auch die Betonplatte wird in einzelne Elemente zerlegt und abgetragen. links: Mit dem entsprechenden Werkzeug lässt sich der Beton fast wie Holz bearbeiten.
Mitte, rechts: Zuerst werden bei Ohren betäubendem Lärm die Elementgrößen mit der Kreissäge eingeritzt. Einzelne Kernbohrungen entlang der späteren Trennschnitte sorgen dafür, dass das Sägeblatt beim Durchtrennen nicht klemmt.

Mit Sägeblättern von eineinhalb Meter Durchmesser wird die monolithische Platte in transportierfähige Segmente zertrennt.

20.11.2013
Die Segmente können wie lose im Sandbett verlegte Platten vom Gabelstabler einfach angehoben und gestapelt werden.

Die Platten werden anschließend zu einem Recyclingbetonwerk gefahren, wo sie zerschreddert werden. Wie die Gerüstbauteile gelangt auch der geschredderte Beton erneut in den Baustoffkreislauf.

Was bleibt übrig von der Schaustelle?
Inzwischen ist auch das letzte Sandkorn von der Kies- bzw. Asphaltfläche vor der Pinakothek der Moderne verschwunden. Nichts erinnert mehr vor Ort an den temporären Bau. Das Konzept des vollständig rückstandslosen Bauens konnte erfolgreich umgesetzt werden. Wer das Gebäude allerdings über Monate verfolgt hat – inklusive Auf- und Abbau und der vielen unkonventionellen, oft spontanen Veranstaltungen – wird in den kommenden Sommernächten das grelle Leuchten und den dumpfen Sound vermissen, der erstmals seit Erbauung der Pinakothek der Moderne diese im Stadtraum tote Ecke mit Leben erfüllt hat.

Dafür sind seit Oktober 2013 die Sammlungsräume der vier Museen nach den Reparaturarbeiten wieder geöffnet, und vielleicht wird ja die temporäre Bespielung des Außenraums an der Süd-Ost-Ecke  zu einem festen Bestandteil des Programms.

Innerhalb der Gerüstkonstruktion liegt der große Veranstaltungssaal, Nebenräume sind in Industriecontainern untergebracht.

Längsschnitt

26.2.2013
Während das Gebäude bei Tag eher zurückhaltend wirkt, zieht es bei Nacht mit seinen grellen Leuchtstoffröhren und den transluzenten Polycarbonatplatten wie ein Magnet die Besucher an.

Foto: Dennis Bangert

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