22.06.2012

Werkzeug statt Ideologie: Architektur-Gesellschaft die VIERTE zu analoger und digitaler Vorfertigung

»Vorfertigung heißt, der gesamte Bauprozess muss zu Ende gedacht sein, noch bevor man mit dem Bauen beginnt. Das bedeutet aber auch einen Großteil des Planungsaufwands zeitlich nach vorne zu verlegen«. Fabian Scheurer, Ehrengast der vierten Architektur-Gesellschaft, weiß, wovon er spricht. Was sich so einfach anhört, ist in der Praxis jedoch nicht immer einfach zu realisieren.

Bereits zum vierten Mal traf sich die Architektur-Gesellschaft am 12. Juni 2012 bei Boffi in der Münchener Nymphenburgerstraße, um sich in einer ausgewählten Runde über aktuelle Themen der Gestaltung auszutauschen. Passend zum Erscheinungstermin von DETAIL 6/2012 standen unterschiedliche Aspekte der Vorfertigung im Zentrum der Diskussion. Mit Ehrengast Fabian Scheurer von designtoproduction aus Zürich war nicht nur der Autor eines Artikels der aktuellen DETAIL-Ausgabe geladen, sondern einer der weltweit führenden Spezialisten an der Schnittstelle zwischen komplexen Freiformflächen von Architektenentwürfen und deren Umsetzung durch die Fertigung von Firmen. Designtoproduction zeichnet bei so renommierten Gebäuden wie dem Mercedes Museum in Stuttgart, dem Centre Pompidou in Metz, oder dem in der aktuellen DETAIL-Ausgabe  6/2012 veröffentlichten Konzerthaus in Kilden, Norwegen, für die Schnittstelle zwischen Entwurf und Fertigung verantwortlich.    

Fabian Scheurer von designtoproduction

»Es wäre unmöglich gewesen, die geschwungene Holzfassade des Konzerthauses wie zunächst geplant in der gewünschten Präzision, zu den vorgegeben Kosten und im Zeitrahmen vor Ort auf der Baustelle fertigen zu lassen. Erst die konsequente Umplanung  unter Einbeziehung aller Aspekte der Fertigungstechniken und Montage, die schließlich die endgültige Geometrie mitbeeinflusst haben, ermöglichten die fließenden Kurven und exakten Abstände von tausenden Holzlatten.«

Die Gäste hörten gebannt zu, einige der Architekten äußerten ihre Bedenken gegenüber dem aktuellen Hype der »Blob-Architektur« und schnell ergab sich eine lebhafte Diskussion: »Leider gibt es eine allgemeine Verwirrung der Begriffe, parametrisches Planen wird von einigen Akteuren als Parametrismus, also als Architekturströmung ideologisiert. Das halten wir nicht für seriös. Bei uns geht es unter anderem darum, für komplexe Geometrien möglichst einfache Regeln zu definieren mit den entsprechenden Freiheitsgraden«.

Was für die Architektur gilt, trifft auch für das Programmieren zu. »Ein digitales Modell ist umso besser, je weniger Daten enthalten sind, ohne an Leistungsfähigkeit zu verlieren.« Was die meisten Gäste verwundert hat: Einen Unterschied zwischen analoger und digitaler Architektur sieht Scheurer nicht, in der Diskussion verweist John Höpfner auf die Ursprünge wie Friedrich Kiesler oder die von Nicholas Negroponte mitbegründete Architecture Machine Group am MIT (Massachusetts Institute of Technology), und in den nachfolgenden Gesprächen werden Verbindungen zur Pattern Language von Christopher Alexander tangiert.

Doch auch ganz praktische Fragen wurden besprochen, etwa wie man über Jahrzehnte digitale Daten sicher speichern kann, wie ein Architekt dreidimensionale Gebäudemodelle zur Freigabe prüfen kann oder wie es sich mit Haftung und Gewährleistung der digitalen Planungsleistungen verhält. »Ein papierloses Architekturbüro wird es in absehbarer Zeit nicht geben, allein schon weil aus rechtlichen Gründen Pläne und Daten langfristig zugänglich aufbewahrt werden müssen.« so Scheurer.

Mit der Frage, wie man das „digitale Spezialistentum“ auch einer größeren Gruppe von Architekten für ganz alltägliche Aufgaben zugänglich machen könne, lenkte DETAIL Chefredakteur Christian Schittich die Diskussion zurück zum Themas Vorfertigung . Einer der für die Veranstalter schönsten Kommentare zur vierten Architektur-Gesellschaft kam von einem Gast, der sich vorher kaum für das Thema interessiert hatte: »Bisher habe ich die Seiten über parametrische Planung und digitale Fertigung immer überblättert, weil mich dieses Thema im eigenen Büro bisher nicht betrifft. Nach dem heutigen Abend bin ich aber neugierig geworden und ich werde mich in Zukunft stärker dafür interessieren.«
(Frank Kaltenbach)
Die Architektur-Gesellschaft – eine Veranstaltungsreihe von DETAIL – beschäftigt sich mit den Wechselbeziehungen von Architektur und Gesellschaft. Jeden Monat treffen sich 20 Architekten aus diversen Fachbereichen bei Boffi in München und diskutieren gemeinsam ein aktuelles Thema.

Wenn Sie Interesse an einer Teilnahme haben, senden Sie eine E-Mail mit Ihren Kontaktdaten an projekte@detail.de.

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