12.03.2013 popp@detail.de

Wickeln statt weben: Robotergefertigter Forschungspavillon

Im November 2012 realisierten das Institut für Computerbasiertes Entwerfen (ICD) und das Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen (ITKE) der Universität Stuttgart einen temporären bionischen Versuchsbau aus faserbasiertem Verbundmaterial, der zusammen mit Studierenden im Rahmen einer einjährigen Forschungs- und Entwicklungszeit entworfen, geplant und ausgeführt wurde. An der Schnittstelle von Lehre und Forschung untersucht das Projekt die Übertragung biologischer Form- und Materialbildungsprinzipien der Außenskelette von Gliederfüßern (Arthropoden) als Ausgangspunkt für neue Konstruktionsformen in der Architektur. Projekt-Team: Institut für Computerbasiertes Entwerfen, Prof. Achim Menges;
Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen, Prof. Jan Knippers
Standort: Keplerstr. 11-17, D-70174 Stuttgart (Oktober 2012 - Januar 2013)

© ICD-ITKE

Fertigstellung: November 2012
Grundfläche: 29 m²
Rauminhalt: 78 m³
Konstruktionsgewicht: 5,6 kg/m²
Material: Mischlaminat bestehend aus Epoxidharz und 70% Glasfaseranteil + 30 % Kohlenstofffaseranteil Konzeptentwicklung: Manuel Schloz, Jakob Weigele

Systementwicklung & Realisierung:
Sarah Haase, Markus Mittner, Josephine Ross, Manuel Schloz, Jonas Unger, Simone Vielhuber, Franziska Weidemann; Jakob Weigele, Natthida Wiwatwicha; mit der Unterstützung von Michael Preisack und Michael Tondera

Wissenschaftliche Entwicklung & Projektleitung: Riccardo La Magna, Steffen Reichert, Tobias Schwinn, Frédéric Waimer

© ICD-ITKE

Grundlage für dieses Projekt bildet die Entwicklung einer für das Bauwesen hoch innovativen Fertigungsmethode des robotischen Wickelns von Carbon- bzw. Glasfasern und die dazugehörigen computerbasierten Entwurfs- und Simulationsverfahren. Schwerpunkt des Entwurfs war es, die faserbasierte Struktur des biologischen Vorbilds mit faserverstärkten Kunststoffen abzubilden, deren Anisotropie von Beginn an in den computerbasierten
Entwurfs- und Simulationsprozess zu integrieren und daraus neue tektonische Möglichkeiten für die Architektur abzuleiten. Die Integration der Methoden der Formgenerierung, der computerbasierten Simulation sowie robotischen Fertigung erlaubt es ebenfalls, eine hochleistungsfähige Strukturlogik zu entwickeln. Bei einer Spannweite des Pavillons von 8m gelang es eine Schalendicke von lediglich 4mm Laminatstärke zu realisieren. Als biologisches Vorbild diente für die Studenten das Außenskelett des Hummers (Homarus americanus), dessen Exoskelett (die Cuticula) sich aus einem weicheren Teil, der Endocuticula, und dem harten Teil, der Exocuticula, zusammensetzt.

© ICD-ITKE


Eine ausführliche Print-Dokumentation zum Projekt lesen Sie in unserer aktuellen Ausgabe DETAIL 2013/3 zum Thema »Bauen für Kinder«.

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Der nachfolgende Film zeigt den robotischen Faserwickelprozess:

© ICD-ITKE

Die robotische Fertigung des Versuchsbaus erfolgte direkt auf der Baustelle in einer eigens errichteten, wetterfesten Fertigungsumgebung. Durch den auf einer zwei Meter hohen Konsole montierten und dadurch mit einer Reichweite und Arbeitshöhe von jeweils ca. 4,0 m ausgestatteten Roboter wurden die Fasern schließlich auf das von der siebten robotischen Achse in einer kreisförmigen Bewegung angetriebene, temporäre Stahlgerüst abgelegt.

Die Faserablage erfolgte dabei im nassen, d.h. mit Harz getränkten Zustand. Dieser Aufbau ermöglichte es, eine Struktur von annähernd 8,00 m Durchmesser und 3,50 m Höhe aus mehr als 60 Kilometer Faserlänge kontinuierlich zu wickeln. Die Erzeugung der Wickelpfade auf der Grundlage des computergenerierten Geometriemodells, die robotische Bewegungsplanung einschließlich mathematischer Kopplung von externer Achse und Roboter, sowie die Ansteuerung des Roboters selbst konnten in einem eigens entwickelten durchgängigen, digitalen Planungs- und Fertigungsprozess umgesetzt werden. Nach Abschluss des robotischen Faserwickelprozesses und dem anschließenden Tempern des Faser Harz-Verbundes konnte das temporäre Stahlgerüst wieder zerlegt und entnommen werden. Die verbleibende, gerade einmal 4mm dünne Schale bildet eine vollautomatisch hergestellte, jedoch lokal ausdifferenzierte Struktur.


Die Untersuchung und Abstraktion des bionischen Prinzips des Hummers und die
anschließende technische Umsetzung in einem robotisch gefertigten Glas- und Kohlefaserverbundsystem ermöglichen eine gänzlich neuartige und leistungsfähige Tragkonstruktion und Tektonik für die Architektur. Der semitransparente Pavillon wiegt trotz seiner beachtlichen Größe weniger als ca. 320 kg Kilogramm und kann sogar von wenigen Personen getragen werden.
In Zusammenarbeit mit den Projektpartnern aus der Biologie wurden zunächst die Faserorientierungen, der Faseraufbau und die daraus resultierenden Schichtdicken und Steifigkeitsverläufe beim Außenskelett des Hummers untersucht. Die hohe Effizienz und funktionelle Variabilität der Cuticula entsteht durch eine jeweils spezifische Kombination von Form, Faserorientierung und Matrix. Dieses Prinzip wurde auf den Entwurf einer Schalenkonstruktion aus einem robotisch gefertigten Faserverbundsystem übertragen, bei
dem in Harz getränkte Glas- und Kohlenstofffasern kontinuierlich von einem Roboter abgelegt werden und dadurch einen schichtweisen Aufbau erzeugen.

© ICD-ITKE

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