01.08.2016 Bettina Sigmund

Wissenschaftlich entwerfen und gestalten

(Imagebild pixabay.com)

Architekten entwerfen meist intuitiv – also subjektiv. Fachplaner und Ingenieure planen und konstruieren anhand von Fakten – also objektiv. Natürlich ist dies eine sehr vereinfachte Darstellung des komplexen Prozesses der architektonischen Gestaltung. Trotzdem definiert dieses simple Schaubild zwei vollkommen unterschiedliche Perspektiven, die in einem Entwurfs- und Planungsprozess zu einer bestmöglichen Einheit verbunden werden müssen. Im Bauprozess sind es aber nicht nur zwei Akteure, die zu einer Lösung kommen müssen, sondern eine Vielzahl von Beteiligten bringen mit fachspezifischem Wissen auch unterschiedlichste Anforderungskriterien und Überzeugungen ein. In einem normalen Entwurfsprozess geht es bei der Entscheidungsfindung dabei meist weder objektiv, noch emotionslos zu. Die gefundene Lösung ist nicht zwangsläufig die beste, sondern entsteht durch Überzeugungen, Dogmen und dominierende Meinungen. Fabian Schmid befasste sich aufgrund wiederkehrender Herausforderungen bei Forschungsprojekten zu ultraleichten Fassadenlösungen im Rahmen seiner Dissertation am ILEK in Stuttgart mit Vorgehensweisen, Methoden und Werkzeugen für den Planungs- und Gestaltungsprozess. Um zielsicher und früher potente Lösungen eingrenzen zu können, wurde der Entwurfs- und Planungsprozess wissenschaftlich analysiert. Die Methodikforschung soll dabei Antworten auf folgende Fragen geben: Wie kann gewährleistet werden, dass alle relevanten Aspekte gleichermaßen berücksichtigt werden? Wie sind Zielkonflikte und Synergien früher im Planungsprozess zu erkennen? Wie kann erreicht werden, dass die Bewertung und Entscheidungen durch die Beteiligten mit einem ähnlichen Grundverständnis und dem gleichen Grundwissen erfolgt? »Das Bauwesen ist wie viele andere Fachbereiche mit zwei wesentlichen Entwicklungen bei der Lösungserarbeitung konfrontiert: Die technische Komponenten werden komplexer und es sind zunehmend mehr Disziplinen bei der Lösungsfindung beteiligt. Erhöhte Anforderungen an Nachhaltigkeit und Effizienz und daraus resultierende Nachweis- und Rechenverfahren ergänzen und erweitern die bestehenden Abläufe beim Planen«, erläutert Fabian Schmid die Ausgangssituation. Je früher all diese Aspekte in den Entwurfsprozess einfließen, desto früher lassen sich Zielkonflikte und Synergien erkennen, um schlüssigere und überzeugendere Konzepte zu erarbeiten und zu besseren Ergebnissen umsetzen zu können. Die enorme Vielschichtigkeit aller zu berücksichtigenden Aspekte erschwert dies jedoch zunehmend. »Um diese vielfältigen Einflüsse und Gegebenheiten zu strukturieren, richtig zu bewerten und im Prozess zielgerichtet einzusetzen, ist eine methodische und nachvollziehbare Vorgehensweise bei der Lösungsfindung und -umsetzung hilfreich. Dies wird in der Baupraxis jedoch bisher nur teil- oder phasenweise umgesetzt. Zum Umgang mit komplexen Problemstellungen wurden in Wissenschaft und Industrie bereits viele unterschiedliche Modelle als Grundlage für Entwicklungs-, Bewertungs- und Entscheidungsprozesse erarbeitet. Treibende Fachrichtungen sind beispielsweise die Konstruktionstechnik oder die Luft- und Raumfahrttechnik. In diesen Bereichen erfolgt eine systemische Betrachtung der Konstruktionen und Prozesse, um nachvollziehbar und prozesssicher Lösungen umsetzen zu können«, so Fabian Schmid. Im Vergleich zu den genannten Fachrichtungen steht der architektonische Entwurfsprozess viel mehr noch unter der Herausforderung der subjektiven, ästhetischen Lösungsdiskussion bei oftmals begrenzten Ressourcen und finanziellen Mitteln. Unterschiedliche Arbeitsweisen
Die entwickelten Vorgehensweisen und Werkzeuge müssen unterschiedlichen Arbeitsweisen gerecht werden, ohne diese verändern zu wollen. Techniker arbeiten hauptsächlich methodisch von einer Bearbeitungsebene zur nächsten. Gestalter springen meist von Ebene zu Ebene. Um im Team schneller voran zu kommen, bietet sich eine kombinierte methodisch-intuitive Vorgehensweise an. Regelmäßige Workshops bieten die Möglichkeit des breiten Austausches, intensive Arbeitsphasen können mit den fachspezifischen Arbeitsweisen gestaltet werden. Dabei ist wichtig, dass die Ergebnisse der Arbeitsphasen vor jedem Workshop anhand von Systemmodellen aufbereitet und abgeglichen werden. Die Systemmodelle bilden dabei eine konzentrierte und über den Planungsverlauf kontinuierlich eingesetzte Informationsquelle für alle Beteiligten. Um die gewonnenen Erkenntnisse testweise im kleinen Rahmen anwenden zu können, boten sich Forschungsprojekte an, bei denen sowohl Gestalter als auch Techniker involviert waren. Architekten, Bauingenieure und Bauphysiker sowie Textildesigner, Textiltechniker, Maschinenbauer und Physiker waren bei der mehrstufigen Entwicklungsarbeit zur bauphysikalischen Leistungsfähigkeit von ultraleichten, textilen Fassaden beteiligt, so dass in zwei unterschiedlichen Akteursgruppen gearbeitet werden konnte. Damit war auf der einen Seite der erforderliche, tiefgreifende Austausch beispielsweise mit Herstellern und Anwendern möglich und auf der anderen Seite konnten Gestaltungsintentionen in der Diskussion und Ausprägung im Prozess beachtet werden. (Abb.2) Unterschiedliche Gestaltungsoptionen
Die erforderlichen Systemmodelle bilden die prinzipiellen Funktionsweisen der untersuchten Alternativen ab und machen sie vergleichbar. Funktionen lassen sich in Systemen immer getrennt, integriert oder inkludiert umsetzen. Bei der Trennung der Funktionen sind die Effekte eindeutig einzelnen Teilen und Teileverbänden zuzuordnen. Die Funktionsintegration kombiniert zwei oder mehrere Funktionen in einem Bauelement. Die Funktionsinklusion geht darüber hinaus und integriert die Funktionen in einem Element, ohne das die Teilfunktionen weiter im Detail betrachtet werden müssen. Vereinfacht kann dies anhand eines Schaubilds für die Entscheidung eines bestimmten Fassadentypus erläutert werden. (siehe Abb. 3) Durch die Auswertung des Niveaus der Funktionsintegration als Indikator wird schließlich die Leistungsfähigkeit der untersuchten Lösungen anhand objektiv oder subjektiv bewertbarer Kriterien vergleichbar. Interessante Entwicklungstendenzen und leistungsfähige Lösungen lassen sich damit im Prozessverlauf ableiten und prognostizieren. Zur Koordination und kontinuierlichen Aufarbeitung war im Forschungsprojekt ein manueller Abgleich und eine kontinuierliche Aufarbeitung erforderlich. Die entstandenen Arbeitsunterlagen konnten von den beteiligten Akteuren einfach verstanden und eingesetzt werden. Zudem dienten sie als Richtungsgeber und zur nachvollziehbaren Aufarbeitung im Projekt. Langfristig soll aus den entwickelten Grundlagen ein digitales Werkzeug werden – das in Ergänzung zu BIM oder als eigenständiges Werkzeug – die jeweils relevanten Parameter erfasst, aufbereitet und vergleichbar macht. Weitere Informationen zur Forschung am ILEK  QUELLEN: Schmid, Fabian C. (2015): Methodisch Gestalten und systematisch Konstruieren am Beispiel zukünftiger Fassadenlösungen, Wiesbaden: Springer
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