06.10.2012 popp@detail.de

35 Jahre Ausstellungspraxis – Winfried Nerdinger zieht Bilanz

Literatur:
Architektur im Museum
Herausgegeben von Uwe Kiessler, Förderverein des Architekturmuseums der TU München, 344 Seiten mit zahlreichen Zeichnungen und Fotos, Format 17 x 24 cm, Hardcover, 39 Euro


Ausstellung

Am 27. September 2012 eröffnete Winfried Nerdinger seine letzte Ausstellung in der Pinakothek der Moderne: "Der Architekt - Geschichte und Gegenwart eines Berufsstandes".
Die Ausstellung widmet sich dabei den Fragen: Wie stellt sich der Architekt in den unterschiedlichen Epochen dar? Wie definiert er sich selbst? Welche Stellung hat er in den jeweiligen Gesellschaften? Anhand von zahlreichen Skulpturen, Gemälden, Zeichnungen, Fotos, Modellen und Filmen aus unterschiedlichsten Jahrhunderten wird dem Besucher die Entwicklung des Berufsstandes erläutert. Öffnungszeiten
Täglich außer MO 10.00 – 18.00, DO 10.00 – 20.00

Eintrittspreise
10,00 € | ermäßigt 7,00 €, Sonntagseintritt 1 Euro Weitere Informationen zur Ausstellung "Der Architekt - Geschichte und Gegenwart eines Berufsstandes"

Film zur Ausstellung "Wendepunkte im Bauen"
DETAIL: Es vergingen weitere zwölf Jahre bis letztendlich das Architekturmuseum gegründet wurde zu dessen Direktor Sie 1989 ernannt wurden. Die Ausstellungsfrequenz erhöhte sich jedoch dadurch zunächst nicht.

Nerdinger: Wir waren von Anfang an in anderen Museen zu Gast, weil wir weder die Räume noch die Mittel hatten, um eigene Ausstellungen zu machen. Erst 1987 kam es zu einem Wettbewerb für das Gelände auf dem sich heute die Pinakothek der Moderne befindet. Ursprünglich sollte dort die Fakultät für Maschinenbau der TU untergebracht werden. Der damalige Präsident wies auf die Öffentlichkeitswirksamkeit der Architektursammlung hin. So wurden wir ins Raumprogramm für den Neubau aufgenommen. Als anstelle des Maschinenbaus 1992 der Wettbewerb für die Pinakothek der Moderne kam, waren wir glücklicherweise bereits im Raumprogramm verankert. Danach dauerte es allerdings nochmals zehn Jahre, bis der Bau eröffnet werden konnte, weil die Staatsregierung zunächst der Meinung war, das Museum sei zwar wünschenswert, aber nicht unbedingt notwendig, die Bürger müssten sich entsprechend beteiligen, was letztlich dann der Fall war. Das war schon eine gewisse Durststrecke.

Ausstellungsplakate Architekturmuseum München 2004–2005

Vom fast vergessenen Archiv zur unverzichtbaren Architektur-Instanz: Es war ein langer und mühsamer Weg bis das Münchner Architekturmuseum vor zehn Jahren endlich auch physisch Realität wurde. Schrittweise nahmen die Ideen Gestalt an, mit Beharrlichkeit wurden sie vorangetrieben. Verantwortlich in fast allen Bereichen: Initiator, Wegbereiter und Direktor in Personalunion, der Architekt und promovierte Kunsthistoriker Winfried Nerdinger. Mit der soeben eröffneten Ausstellung „Der Architekt – Geschichte und Gegenwart eines Berufsstandes“ verabschiedet sich ein passionierter Sammler und Analytiker. Gewichtige, aber auch schwierige Aufgaben warten bereits. DETAIL sprach mit Winfried Nerdinger über ein Berufsleben zwischen Architektur und Baugeschichte, über die Bedeutung historischer Zusammenhänge und über zukünftige Konzepte gegen das Vergessen.

»Man muss die Strukturen verstehen.....«: Winfried Nerdinger mit einem Selbstportrait des NS-Architekten Hermann Giesler bei der Pressekonferenz zur aktuellen Ausstellung »Der Architekt - Geschichte und Gegenwart eines Berufsstandes« im Architekturmuseum der Pinakothek der Moderne in München.
Ab 1. Oktober setzt der »Noch-Direktor« des Architekturmuseums seine Aufklärungsarbeit als Gründungsdirektor des Münchener NS-Dokumentationszentrums fort. Foto: Frank Kaltenbach

DETAIL: Herr Professor Nerdinger, seit nunmehr 35 Jahren beleuchten und analysieren Sie in ihren Ausstellungen die unterschiedlichen Aspekte des Architektenberufs in seiner ganzen Vielfalt. Was fasziniert Sie so sehr am Beruf des Architekten?

Nerdinger: Ich habe selbst Architektur studiert und das Diplom erworben. Auf der einen Seite muss der Architekt künstlerische Begabung haben und gestalten, andererseits muss er sich mit der technischen Umsetzbarkeit auseinandersetzen. Hinzu kommen die Bereiche Geschichte, Vermessung, die Auseinandersetzung mit dem Bauherren, mit der Gesellschaft, mit der Umwelt. Es ist ein riesengroßes Themenfeld, das der Architekt bearbeiten und beachten muss.

DETAIL: Gab es Aspekte, die Sie vorrangig interessiert haben?

Nerdinger: Nein, es war gerade diese Vielgestaltigkeit. Nach dem Abitur wusste ich eigentlich gar nicht so genau, was ich studieren sollte, weil mich vieles interessiert hat. Zunächst habe ich sogar Philosophie, Anglistik und Geschichte studiert, erst dann wechselte ich an die TU München um Architektur zu studieren, speziell aus dem Grund, weil sich hier das Praktische mit der Theorie verbindet, weil man sieht was man macht und am Ende ein Ergebnis erzielt.

DETAIL:
1979, acht Jahre nach Ihrem Diplom in Architektur, promovierten Sie in Kunstgeschichte. Ihre beiden Professionen tauchen auch im Titel Ihrer aktuellen und letzten Austellung „Der Architekt – Geschichte und Gegenwart eines Berufsstandes“ auf – ein Zufall?

Nerdinger: Man überlegt sich natürlich, was man nach einer so langen Tätigkeit als Abschlussaustellung macht. Ich wollte einen großen Überblick geben, habe mich mein ganzes Leben darum bemüht, Zusammenhänge zu erfassen, Dinge im größeren Kontext zu sehen. Beispielsweise bin ich ein leidenschaftlicher Sammler von Handbüchern, Enzyklopädien, Lexika und möchte zu jedem Thema immer auch einen Überblick gewinnen. Ich habe es immer als falsch empfunden, nur  einen Aspekt zu behandeln, ohne zu wissen, wo dieser genau verortet ist. Es bietet sich also an das Thema, das einen ein Leben lang beschäftigt hat, in einem großen historischen Zusammenhang mit möglichst vielen Facetten darzustellen. Hinzu kommt, dass es nach meinem Kenntnisstand in der deutschsprachigen Literatur kein adäquates Werk gibt, in dem man den Verlauf der Geschichte dieses Berufs nachschlagen kann.

Ausstellungsplakate Architekturmuseum München 2002–2004

DETAIL: Dort haben Sie auch 1977 Ihre erste Ausstellung über den Architekten Friedrich von Thiersch kuratiert. Konnten Sie damals bereits erahnen, dass Sie das Thema Ausstellungen so lange begleiten würde?

Nerdinger: Nein, natürlich nicht. Das hat sich so ergeben, schrittweise haben sich immer wieder neue Türen geöffnet. Erst allmählich ist daraus das heutige Architekturmuseum entstanden. Ich habe ganz klein begonnen. Die Sammlung war im Zwischengeschoss der damaligen Bibliothek der Fakultät angesiedelt, ohne Geld, ohne Personal, ohne irgendetwas. Erst langsam hat sich das verändert.

Winfried Nerdinger führt durch die Friedrich-von-Thiersch-Ausstellung 1977, Foto: Archiv Architekturmuseum

DETAIL: Wie kam es, dass Sie sich schließlich ganz der Kunst- und Baugeschichte zuwandten. War es nie ein Thema für Sie selbst zu bauen?

Nerdinger: Ich habe kurz nach dem Diplom für einige Freunde Wohnhäuser gebaut, habe aber bereits während des Studiums gemerkt, dass meine Neigung mehr zur Reflexion, zur historischen Einordnung geht und zur Analyse insbesondere. Ich habe während des Studiums eine studentische Stelle und direkt nach dem Diplom eine Assistentenstelle am Lehrstuhl für Kunstgeschichte bekommen, war dann fünf Jahre lang Assistent für Kunstgeschichte. In dieser Zeit habe ich meine Promotion über den Bildhauer Rudolf Belling erarbeitet. Erst 1975 fand ich zurück zur Architektur und konnte als Mitarbeiter der damaligen Architektursammlung, dem heutigen Architekturmuseum, beide Interessengebiete miteinander verbinden.
DETAIL: Das klingt nach mühsamer Überzeugungsarbeit. Durch Ihre vielen Ausstellungen und Publikationen hatten Sie sich längst einen hervorragenden Ruf und internationale Anerkennung erarbeitet. Trotzdem sind Sie München immer treu geblieben.

Nerdinger: Ich war zwei Mal auf dem Sprung. 1985 bekam ich einen Ruf an die McGill University in Montreal. Die damalige Hochschulleitung der TU wollte mich unbedingt halten und hat für mich daraufhin eine eigene Professur für Architekturgeschichte neu eingerichtet. Sonst wäre ich sicher gegangen. 1989 erhielt ich einen Ruf nach Frankfurt an das Deutsche Architekturmuseum als Nachfolger von Heinrich Klotz. Daraufhin bekam ich einen eigenen Etat angeboten. Ich hatte also die Wahl, gehe ich nach Frankfurt und übernehme ein großes Haus oder baue ich weiterhin das auf, was ich begonnen hatte. Ich habe mich dafür entschieden mein eigenes Haus zu Ende zu führen und es hat sich gelohnt, denn die Pinakothek der Moderne ist ein sehr schöner Ausstellungsort.

DETAIL: Hat sich Ihre Ausstellungspraxis durch die eigenen Räumlichkeiten geändert?

Nerdinger: In eigenen Räumen konnten wir die Ausstellungsfrequenz deutlich erhöhen. Früher habe ich höchstens ein bis zwei Ausstellungen pro Jahr gemacht. In der Pinakothek waren es in zehn Jahren 42 Ausstellungen, also etwa vier pro Jahr. Das ist ein ziemlicher Arbeitsaufwand. Man wird in gewisser Weise zum Macher, obwohl ich nebenher immer auch noch unterrichtet habe. Die Art der Ausstellungen hat sich nicht grundsätzlich verändert.

Alvar Aalto Symposium 1994, Foto: Klaus Kinold

DETAIL: Gibt es einen roten Faden, der sich durch die Jahre zieht?

Nerdinger:
Ich habe von Anfang an Ausstellungen gemacht, die auf Vermittlung von Architektur angelegt waren, keine Spezialausstellungen nur für Architekten. Es ging immer darum etwas das man nicht ausstellen kann, nämlich den Bau selbst, in entsprechender Form darzustellen. Deshalb ist es immer wichtig Modelle, Filme, Fotografien um dieses Gebäude herum zu arrangieren, damit der Eindruck des Bauwerks in der Ausstellung vermittelt werden kann, auch die Probleme, die mit einem solchen Bau verknüpft sind. Insofern haben wir das, was ich 1977 begonnen habe schrittweise immer weitergeführt.

Ausstellungsplakate Architekturmuseum München 2006–2007

DETAIL: Welche persönliche Bilanz ziehen Sie nach 35 Jahren Ausstellungspraxis? Gab es Themen, die Ihnen besonders wichtig waren oder die Sie gerne noch bearbeitet hätten?

Nerdinger: Ich hätte schon noch gerne einige Ausstellungen verwirklicht, habe aber sehr viel von dem realisieren können was mir wichtig war. Es gab einige Ausstellungen, die mir besonders am Herzen lagen und die mir inhaltlich wichtig waren wie „Bauen im Nationalsozialismus“ oder „Ort und Erinnerung – Nationalsozialismus in München“. In der Ausstellung „Architektur wie sie im Buche steht“ konnte ich meine Interessengebiete Architektur und Literatur sehr schön miteinander verknüpfen. Persönlich sehr wichtig waren mir auch die Ausstellungen zu Architektur und Film in Israel, zu Frei Otto und zur Geschichte der Rekonstruktion. Ich habe grundsätzlich nur Ausstellungen gemacht, die ich selber für interessant und wichtig hielt, weil sie Anregungen geben zum Weiterdenken, zum kritischen Reflektieren von Themen.

Exkursion nach Moskau und Leningrad mit der TU München 1989, Foto: Regina Prinz

DETAIL: So gesehen war es sicher von Vorteil, dass Sie in München geblieben sind und hier kontinuierlich Ihre Ziele verwirklichen konnten.

Nerdinger: Das ist sicher richtig. Wenn ich zurückblicke kann ich sagen, dass ich immer absolut freie Hand hatte. Ich konnte immer die Ausstellungen machen, die ich selbst für wichtig hielt. Es war nie Druck in irgendeiner Weise, von der Hochschule sowieso nicht, dort geht es um Forschung und Wissenschaft, noch von irgendeinem Geldgeber. Ich war nie von Sponsoren oder Politikern abhängig, musste Ausstellungen nie nach populistischen oder quantitativen Kriterien konzipieren, was leider an anderen Orten passiert.

DETAIL: 2006 wurden Sie als erster nicht praktizierender Architekt mit dem Bayerischen Architekturpreis ausgezeichnet. Hat der Preis für Sie einen besonderen Stellenwert?

Nerdinger: Ich habe mich natürlich gefreut, dass die Arbeit eines Architekturvermittlers und Historikers Anerkennung findet. Auch an meiner eigenen Fakultät habe ich mitbekommen, dass man als Historiker schon etwas am Rande steht. Die bauenden Architekten, die Entwurfslehrstühle haben eine andere Dominanz als ein Historiker. Dass es doch einmal anerkannt wurde, welche Bedeutung diese Arbeit hat, freut einen natürlich.

Ausstellungsplakate Architekturmuseum München 2008–2009

DETAIL: Bereits am kommenden Montag beginnt Ihre neue Tätigkeit als Gründungsdirektor des NS-Dokumentationszentrums in München.

Nerdinger:
Meine Aufgabe dort ist ganz klar vorgegeben. Als Gründungsdirektor soll und werde ich die Dauerausstellung in diesem Neubau über die Geschichte des Nationalsozialismus mit Schwerpunkt München einrichten. Das ist wirklich eine gewichtige und ehrenvolle, aber sicher auch schwierige Aufgabe.

Ausstellungsplakate Architekturmuseum München 2010–2011

DETAIL: Die Bewegungsführung innerhalb des Gebäudes führt den Besucher von oben nach unten, man gräbt sich sozusagen in die Thematik.

Nerdinger: Das besondere am NS-Dokumentatioszentrum ist, dass es genau an der Stelle des „Braunen Hauses“, also der ehemaligen Parteizentrale steht. In direkter Nachbarschaft stehen noch heute einige wichtige architektonische Zeitzeugen. Die Konzeption sieht vor, dass diese Bauten und Außenräume mit einbezogen werden. Wenn es beispielsweise um die Erhebung zur Hauptstadt der Bewegung geht, wird man sich innerhalb des Gebäudes an einer Stelle befinden, wo man auf das ehemalige Parteiviertel schauen kann. Die Einbeziehung und Wirkung des authentischen Ortes ist ein zentrales Thema des Konzeptes. Die Menschen verschwinden, die Zeitzeugen verlassen uns, vieles verändert sich, aber der Ort bleibt. Man kann immer sagen: „Genau hier ist es gewesen, das ist der Ort an dem das Münchner Abkommen unterzeichnet wurde. Das ist keine virtuelle Fiktion, hier wird nichts vorgegaukelt oder nur reproduziert.“

DETAIL: Bei Ihren neuen Aufgaben wünschen wir Ihnen viel Erfolg. Vielen Dank für das Gespräch. Das Gespräch mit Winfried Nerdinger führte Peter Popp.

Ausstellungsplakate Architekturmuseum München 2011–2012

DETAIL: Wie möchten Sie dieses Thema vermitteln?

Nerdinger: Ich habe selber das NS-Dokumentationszentrum angestoßen, schon 1988. München war Hauptstadt der Bewegung, die NS-Ideologie ist hier zum großen Teil entstanden, hier wurde die Partei gegründet. Insofern hat die Stadt München eine besondere Verantwortung sich mit dieser Geschichte, die zu einem Weltbrand geführt hat auseinanderzusetzen. Es war lange Zeit so, eigentlich auch noch heute, dass man im öffentlichen Raum nirgendwo an diese Zeit erinnert wurde. Mein Anliegen war immer, dass man für zukünftige Generationen einen Ort in dieser Stadt schafft, wo informiert und aufgeklärt wird, wie es dazu kommen konnte und auch lernt, dass das nie wieder passieren darf. Man muss die Strukturen verstehen, die dazu geführt haben, warum das gerade in München passiert ist. Das soll auf eine ganz nüchterne, rationale Art erläutert werden, natürlich mit moderner Technik, um auch die Jugendlichen zu erreichen.
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