03.05.2014 Bettina Sigmund

Aktiv in die Zukunft: Das Prinzip Aktivhaus

Intelligente Gebäude kommunizieren selbstlernend, erzeugen und verteilen Energie und übernehmen Verantwortung für die bestehende Umgebung. Klingt nach R2-D2, Star Wars und Science-Fiction? Nein, das sind F87, P12 und B10 – Willkommen in der Gegenwart. Erklärtes Ziel des Vorhabens „Aktivhaus“ ist, unsere Gebäude für die Zukunft zu rüsten. Was genau das bedeutet, erklärt Dr.-Ing. Architekt Christian Bergmann von Werner Sobek in Stuttgart. Wer hinter dem Begriff Aktivhaus das Gegenstück zum Passivhaus vermutet, liegt nicht ganz richtig. Vielmehr ist darunter eine Weiterentwicklung zu verstehen.

Die Wohngebäude F87 (links) und R128, beide Werner Sobek, Stuttgart. Bilder alle: Werner Sobek, Stuttgart

Die Kritik von Forschern und Fachleuten am Passivhausstandard steckt bereits in der Bezeichnung. Alle Bemühungen sind darauf ausgerichtet, einen Gebrauchsgegenstand zu entwickeln, bei dem sich Energieverbrauch und -erzeugung des einen Gebäudes die Waage halten. Die Bewertung von Passivhäusern ist stark und einseitig auf die Nutzungsphase beschränkt. Der berechnete Nullenergieverbrauch des geschlossenen Systems birgt jedoch die Gefahr, sich auf diesem Zustand auszuruhen. Die bislang vernachlässigte Beziehung zwischen dem einzelnen Gebäude und seiner Umgebung war Ausgangspunkt und Ansporn für die Entwicklung zukunftsfähiger, kommunizierender Konstruktionen, die Verantwortung über ihre eigenen Grenzen und Außenwände hinaus übernehmen können.

Aufbau und Komponenten des Wohngebäudes F87

Anhand von drei aktuellen Projekten von Werner Sobek werden die Schwerpunkte des ehrgeizigen Vorhabens deutlich: F87 war nicht der erste Versuch, ein Gebäude zu konzipieren, das mehr kann als nur eine gute Performance währende der Nutzungsphase abzuliefern. Die Initialzündung liegt bereits einige Jahre zurück im Jahr 2000. Das Wohnhaus R128 ist energetisch autark und kann vollständig in seine Einzelteile zerlegt und recycelt werden. Es funktioniert aber noch gänzlich für sich allein und bezieht die Umwelt nicht mit ein. Mit dem prototypischen Wohnhaus F87, realisiert in Berlin, nimmt das unbewegliche Haus – die Immobilie – Kontakt zur Umgebung auf. Die Mobilität wird ein Teil des Konzeptes. Der einfache Entwurf setzt vor das zweigeschossige geschlossene Wohnhaus einen offenen Rahmen als Park- und Aufladeplatz für ein E-Mobil. Die Energie, die das Fahrzeug benötigt, wird im Haus erzeugt. Tatsächlich produzieren Photovoltaikmodule in Dach und Fassade 170 % des benötigten Eigenbedarfs des Gebäudes. Überschüssige Energie wird in das Stromnetz eingespeist. Ein kompakter Energiekern mit allen für Steuerung, Speicherung und Verteilung erforderlichen Komponenten ist mittig zwischen dem privaten Wohnteil und dem offenen, die Mobilität repräsentierenden Bereich angeordnet. Zur Optimierung der Erzeugung und der Verteilung der Energie werden verschiedene Faktoren berücksichtigt. So „lernt“ das Haus aus dem Verhalten seiner Bewohner und bezieht weitere verfügbare Informationen mit ein wie beispielsweise Wettervorhersagen
Ein weiteres Projekt – P12 in Neu-Ulm – nimmt sich der Fragestellung an, ob sich ein derartiges Experiment auch auf bestehende Gebäude übertragen lässt. Das „Rohmaterial“ bildet eine typische Wohnzeile mit Baujahr 1930. Ein Treppenhaus erschießt jeweils zwei Wohnungen auf zwei Etagen. Die Tragstruktur besteht aus Ziegelmauerwerk unter einem konventionellen Holzdachstuhl. Obwohl die Ausgangssituation von Neubau und Bestand gegensätzlicher nicht sein könnte, bleibt das erklärte Ziel: die Erzeugung und Verteilung von Energie nicht nur zur Verbesserung der eigenen Bilanz, sondern zusätzlich zur Unterstützung der Umgebung. Auch das klassische Konzept der Energiegewinnung durch solare Einträge in Fassade und Dach unterscheidet sich nicht grundlegend vom Neubauprojekt. Die eigentliche Innovation besteht hier im Prinzip der Tafelbauweise. Um möglichst wenig in den Bestand einzugreifen, wird die Tragstruktur mit Ausnahme des Dachstuhls beibehalten. Module zur Energiegewinnung und Verteilung werden als vorgefertigte, gedämmte Elemente vor die bestehende Wand gesetzt.

Das aktive Bestandsgebäude P12

Das in der Fertigstellung befindliche Projekt B10 kann als Weiterentwicklung der vorangegangenen Vorhaben verstanden werden. Es verknüpft die Erfahrungen aus dem Effizienzhaus Plus in Berlin mit der Intention, den Gebäudebestand mit Mobilität und nachhaltiger Energieerzeugung zu verbinden. Für das vielversprechende Vorhaben stellt die Stadt Stuttgart ein seit dem Krieg brachliegendes Grundstück in der Weißenhofsiedlung zur Verfügung. Der temporäre Bau soll hier während einer zweijährigen Monitoringphase bewohnt, ausgewertet und optimiert werden. Der einfache Baukörper wird größtenteils im Werk gefertigt und vor Ort in nur zwei Tagen aufgebaut. Im Inneren befinden sich kompakte Module für Haustechnik, Küche und Nasszelle. Der Wohn- und Arbeitsbereich kann dank beweglicher Trennwände variabel gestaltet werden. Die als einzige Seite offene Straßenfassade kann bei Bedarf komplett geschlossen werden. Dadurch geht in Leerstands- oder Abwesenheitszeiten weniger Energie verloren. Die erzeugte Leistung entspricht etwa 200 % des Eigenbedarfs. Durch Vernetzung mit der Weißenhofsiedlung profitiert das denkmalgeschützte Ensemble von dem „Gast“. Auch hier verbessert eine selbstlernende Gebäudeautomation den  Wirkungsgrad während der Nutzungsphase.

Das Aktivhaus B 10

Das Prinzip Aktivhaus
Das Prinzip des Aktivhauses basiert auf drei zentralen Forderungen, die Gebäude in der Zukunft erfüllen müssen: 1. Die Häuser der Zukunft erzeugen mehr Energie, als sie selbst verbrauchen.
2. Die Gebäude reagieren sensibel auf individuelle Parameter bei der Nutzung und setzen Veränderungen in Bezug auf die energetische Performance um.
3. Sie kommunizieren mit anderen Energieerzeugern, Speichern und Verbrauchern mit dem Ziel der energetischen Autarkie. „Projekte wie B10 zeigen Lösungsansätze für die Herausforderungen, die durch Ressourcenknappheit, Energiewende und klimatische Veränderungen auf uns zukommen“, so Bergmann. „Bezeichnend ist auch der Ort, an dem B10 steht: Im Jahrhundertprojekt Weißenhofsiedlung wurden neue und wegweisende Architekturen und Ideen umgesetzt und ausprobiert. Ihre Entwicklungen sind heute vielleicht zum Teil überholt, aber jede einzelne war ein wichtiger Schritt nach vorne. An diese Tradition der Weiterentwicklung, der Innovation und des Lernens aus bisherigen Erfahrungen knüpfen wir mit B10 bewusst an.“ Weitere Informationen zum Aktivhaus B10 Vortrag von Dr.-Ing. Architekt Christian Bergmann, Werner Sobek Stuttgart, im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Die Zukunft des Bauens“ von Detail research und der Forschungsinitiative Zukunft Bau des BMUB und BBSR am 13. März 2014 an der Universität Stuttgart zum Thema „Energieeffizientes Bauen“.
Projektbeteiligte
Bauherr: E-Lab Projekt GmbH, Stuttgart
Architektur: Werner Sobek, Stuttgart
Energiekonzept: WSGreenTechnologies 
Interface: Werner Sobek Design  
Gebäudesteuerung: alphaEOS, Stuttgart
Elektromobilität: Daimler AG 
Konstruktion: SchwörerHaus KG, Hohenstein 
Monitoring: ILEK, Universität Stuttgart
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