13.03.2014 Jakob Schoof

Architekturweltreise in sieben Etappen: „Sensing Spaces“ in London

Eine neue Ausstellung in der Royal Academy of Arts in London verhandelt Grundsätzliches: Sieben raumfüllende Installationen international bekannter Architekten befassen sich mit der Wirkung von Gebäuden und Räumen auf den Menschen. Ort: Royal Academy of Arts, Burlington House, Piccadilly, London
Dauer: bis 6. April 2014

Foto: James Harris © Royal Academy of Arts, London

Architekturausstellungen unterliegen einem Dilemma: Sie können notgedrungen nur Repräsentationen des Gebauten – also Fotos, Zeichnungen, Modelle und Texte – zeigen, aber nicht die Architektur selbst. Durch diesen Mangel an unmittelbarer Erfahrbarkeit unterscheidet sich ausgestellte Architektur beispielsweise von einem Picasso, Giacometti oder Gursky, bei dem Kunstwerk und Ausstellungsgegenstand in eins fallen.

Es gibt natürlich Wege, dieses Dilemma zu umschiffen, doch sie sind meist raumgreifend und kostspielig: Begehbare Rauminstallationen können die Atmosphäre von Gebäuden wenigstens im Ansatz erlebbar, Materialien begreifbar und die sinnliche Wirkung von Architektur erfahrbar machen.

Mit ihrer Ausstellung „Sensing Spaces“ verfolgt die Royal Academy of Arts in London dieses Konzept der etwas unmittelbareren Architekturvermittlung. Sie lud sieben international bekannte Architekten – vom ambitionierten Nachwuchsbüro bis zum Pritzker-Preisträger – ein, um Architekturphänomene im Maßstab 1:1 auszuloten. Konkrete Vorgaben gab es dabei nicht, außer dass die Installationen in die Ausstellungsräume der Akademie im Barockbau des Burlington House in London passen sollte. Die Hoffnung der Ausstellungsmacher lautete, mit „Sensing Spaces“ ein möglichst breites Architekturpublikum anzusprechen. Zumindest was dessen Altersspektrum angeht, scheint ihr dies gelungen: Selten wurden in einer Architekturausstellung so viele Kinder gesehen, und selten wurden diese – und nicht nur sie, auch die Erwachsenen – gegenüber den Exponaten so „handgreiflich“ wie hier. Doch dazu später mehr.
Die ganze Bandbreite zeitgenössischer Architektur
Die Auswahl der Architekten mag auf den ersten Blick etwas willkürlich erscheinen, doch das Ergebnis lässt sie als Glücksgriff erscheinen: Grafton Architects aus Irland, Diébédo Francis Kéré aus Burkina Faso, Eduardo Souto de Moura und Alvaro Siza aus Portugal, Pezo von Ellrichshausen aus Chile, Li Xiaodong aus China und Kengo Kuma aus Japan. Die Architekten repräsentieren nicht nur zwei Generationen und stammen aus fast allen Teilen der Welt, ihre Installationen spiegeln auch die ganze Bandbreite der Architektur wider – zwischen intellektuell-verkopft und lebensnah, schwer und filigran, partizipativ und exklusiv, brutal und subtil, vielschichtig und banal.

Foto: James Harris © Royal Academy of Arts, London

Mauricio Pezo und Sofia von Ellrichshausen, mit durchschnittlich 40 Jahren die Jüngsten im Feld, haben etwa einen voluminösen Holztisch in einen der größten Ausstellungssäle platziert, der sich beim Näherkommen als Aussichtsplattform entpuppt. Hinauf gelangt man über Wendeltreppen in den „Tischbeinen“ - doch die einzig neue Perspektive, die sich von oben eröffnet, ist die Nahansicht von blattvergoldeten Zahnfriesen und Engelsbüsten sowie wenig filigranen Stromschienenstrahlern unter der neobarocken Stuckdecke.

Reflexionen zur Architekturgeschichte
Neue Perspektiven nicht durch Ortswechsel, sondern durch Abstraktion will Eduardo Souto de Moura im Nachbarsaal eröffnen. Verglichen mit Pezo von Ellrichshausen nimmt sich seine Intervention regelrecht bescheiden aus: Er ließ die Profile der Türlaibungen zwischen den Sälen aus nur 5 Zentimeter dünnem Hochleistungsbeton nachformen. Die filigrane Anmutung dieser Architekturelemente spiegelt sich indessen nicht in ihrem Gewicht wider: Jede der Betonlaibungen wiegt mehr als eine Tonne.

Foto: Jakob Schoof

Foto: James Harris © Royal Academy of Arts, London

Eher in die Nachkriegsmoderne – und hier speziell auf die Bauten Le Corbusiers und Louis Kahns – weist hingegen die zweiteilige Installation von Grafton Architects zurück. Sie ist zugleich die einzige, die sich ausschließlich über den Köpfen der Besucher abspielt. Schwer und leicht, hell versus dunkel. Kunstlicht versus Tageslicht sind die Gegensatzpaare, mit denen sich die beiden irischen Architektinnen befasst haben: Schwer anmutende „Deckenbalken“ aus verputzten Spanplatten geben dem ersten Ausstellungssaal trotz seiner Tageslichtfülle eine eher gedrückte Atmosphäre. Im zweiten verliert sich ein Lichtschacht aus dem gleichen Material nach oben hin im Halbdunkel. Zwei versteckt angebrachte Scheinwerfer heben seine Konturen plastisch hervor; abgesehen davon ist der Raum völlig abgedunkelt.

Asiatische Atmosphären
Es sind jedoch weniger die Europäer, die dieser Ausstellung ihren Stempel aufgedrückt haben. Die atmosphärisch überzeugendsten Installationen sind zweifellos jene von Li Xiaodong und Kengo Kuma. Beide haben sich auf je eigene Weise mit den Bautraditionen ihrer Heimatländer befasst – ebenso wie dies bereits Souto de Moura und Grafton Architects mit denen Europas taten. Vor allem Kuma gelingt es, mit buchstäblich geringsten Mitteln die Atmosphäre traditioneller japanischer Wohnhäuser heraufzubeschwören, die Junichiro Tanizaki in seinem 1933 erschienenen Essay „Lob des Schattens“ so meisterhaft beschrieben hat.

Foto: James Harris © Royal Academy of Arts, London

Ein dreidimensionales, filigranes Flechtwerk aus millimeterdünnen, gebogenen Bambusstäben füllt die beiden abgedunkelten Ausstellungssäle. Die einzigen Lichtquellen stecken im Boden – genau dort, wo auch die Bambusstäbe verankert sind. Das einzige weitere Gestaltungsmittel, dessen sich Kuma bedient, sind gezielt eingesetzte Duftstoffe – im ersten Raum liegt ein leichter Holzduft, im zweiten ein Hauch von Tatami-Mattenstroh. Beide sind jedoch so subtil, dass die Duftnoten kaum auseinanderzuhalten wären, würde nicht die Exponatbeschriftung eigens auf sie hinweisen.

Foto: Jakob Schoof

In der Installation des letztjährigen Pritzker-Preisträgers Li Xiaodong scheint der Raum Kopf zu stehen. Das liegt vorwiegend an der ungewohnten, flächigen Beleuchtung durch einen Glasboden. Nach oben hin verliert sich der Raum dagegen im Halbdunkel. Auf diesem Boden aus Licht durchschreiten die Besucher ein Labyrinth aus Zweigen, die Li samt Bast und Borke zu einem modularen Wandsystem gefügt hat. Im Herzen des Labyrinths öffnet sich, durch eine Spiegelwand verdoppelt, eine mit grobem Schotter gespiegelte Freifläche – der erste große und lärmerfüllte Kinderspielplatz in dieser Ausstellung.

Partizipation für alle Altersgruppen
Am meisten gespannt durfte man auf den Ausstellungsbeitrag von Diébédo Francis Kéré sein. Der in Berlin lebende Architekt ist bislang vor allem durch die Bauten in seinem Heimatland Burkina Faso international bekannt geworden. Konsequent bedient sich Kéré dabei lokaler Natur- und Humanressourcen – will heißen: Er baut Schulen, Wohnhäuser und Museen aus Lehm und örtlich vorkommendem Naturstein und bindet in den Bauprozess so weit als möglich die örtliche Bevölkerung ein. Doch wie lässt sich dieses Prinzip mitten in London umsetzen? Würde Kéré einen Lehmhütte im Burlington House errichten oder eher versuchen, Partizipation und Ressourcenbewusstsein in den europäischen Kontext zu übersetzen?

Diébédo Francis Kéré hat sich für die letztgenannte Option entschieden. Er entwarf eine tunnelartige Konstruktion aus kreuzweise ineinandergesteckten Wabenplatten aus Polypropylen und gab den Ausstellungsbesuchern Hunderte meterlanger, bunter Kunststoff-Strohhalme an die Hand, um diesen in Eigenarbeit zu verzieren. Das Ergebnis scheint himmelweit von der erdenschweren Architektur entfernt, für die Kéré sonst bekannt ist. Eher wirkt die prekäre Tunnelkonstruktion wie ein bizarrer Mix aus Slumarchitektur, Kölner Karnevalswagen und jenen temporären Festarchitekturen und Triumphbögen aus Pappmachee, die Barockbaumeister ihren Herrschern zu Hochzeiten, Thronjubiläen und militärischen Triumphzügen errichteten.

Foto: Jakob Schoof

Und doch ist diese auf den ersten Blick so banal wirkende Installation zugleich jene in der Ausstellung, die die meisten Fragen aufwirft über den Sinn und Zweck und den Produktionsprozess der Architektur. Wie auch die Beiträge von Kengo Kuma und Li Xiaodong zeigt Kérés Intervention, welch enormen Zugewinn für die Architektur die in den vergangenen zwei Jahrzehnten eingesetzte Globalisierung des Architekturdiskurses bedeuten kann, wenn daran alle Regionen gleichberechtigt teilnehmen und ihre je eigenen Sichtweisen und kulturellen Traditionen einbringen. Zum unbestrittenen Publikumsliebling in der Ausstellung ist der knallbunte Kunststofftunnel ohnehin avanciert. Das zeigt nicht nur der Ehrgeiz, mit dem sich jung und alt hier dem Basteltrieb hingeben, sondern auch die Dutzende bunter Strohhalme, die vor allem die jüngsten Ausstellungsbesucher bis in den hintersten Winkel der Ausstellungsräume hinein – und selbst in den Cafés in der Umgebung - hinterlassen haben. Weitere Informationen: www.royalacademy.org.uk
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