25.06.2012 Maier@detail.de

Bauen im Bestand – Expertengespräch

»Wir können gar nicht mehr alles selber wissen, aber Architekten müssen die richtigen Fragen stellen, um zu Ergebnissen zu kommen, die umsetzbar, wirtschaftlich und werterhaltend sind.«

Darüber herrscht Einigkeit: Bauen im Bestand wird ein immer größerer, aber auch komplexerer Teil der Arbeit von Architekten. Die Hochschule Biberach hat daher den Master-Studiengang »pbb | Planen und Bauen im Bestand« ins Leben gerufen. Welche neuen Fähigkeiten den Planern abverlangt werden und worin die Reize des Bauens im Bestand liegen, darüber unterhielt sich Hans-Ulrich Kilian, Professor für Baukonstruktion und Entwerfen an der Hochschule Biberach, mit Wolfgang Riehle, Präsident der Architektenkammer Baden-Württemberg.

Wolfgang Riehle, Prof. Hans-Ulrich Kilian (v. l.), Foto: Carmen Mundorff, Architektenkammer Baden-Württemberg

Bauen im Bestand wird immer wichtiger. Muss der Schwabe sein altes Credo bald neu formulieren: Schaffe, schaffe, Häusle umbaue? Riehle: Darauf deutet Vieles hin. Unsere Städte sind doch im Wesentlichen gebaut. Flächen sind knapp und schützenswert. Die demografische Entwicklung legt nahe, dass wir keinen zusätzlichen Bedarf an Wohnraum haben werden, sondern einen anderen: energieeffizient, barrierefrei, in multifunktionalen Quartieren der kurzen Wege. Die Architektenkammer vertritt darum eine klare Position: Wir müssen unsere Städte von innen heraus weiterentwickeln, Brachen beleben, Leerstände beheben, Bestehendes umnutzen und schonend nachverdichten. Die spannende Frage in der Architektur der nächsten zehn Jahre lautet darum: Wie gelingt uns die Revitalisierung urbaner Räume? Eine Antwort: durch gekonntes Planen und Bauen im Bestand. Kilian: Ich gehe davon aus, dass künftig drei von vier Bauleistungen auf bestehende Gebäude entfallen. Das Land Baden-Württemberg steckt schon heute rund 80 % seiner Bauinvestitionen in Bestandsprojekte. Politische Vorgaben und Anreize verändern auch das Verhalten der privaten „Häuslebauer“: Der Neubau wird zur Ausnahme, die Nachverdichtung in gewachsenen Gebieten zur Regel. Und der Trend geht vom Land zurück in die Stadt. Worin liegt für Sie der besondere Reiz am Bauen im Bestand? Riehle: Als ich 1979 ins Berufsleben einstieg, war die Architektur immer noch dominiert vom Wiederauf- und Neubau. Unter Kollegen hieß es oft abfällig „Bauen im Bestand? Das ist Schwarzbrot!“. Dem kann ich nur entgegnen: Richtig! Denn Schwarzbrot ist gehaltvoll, schmackhaft und für fast jeden Belag passend. Für mich ist Bauen im Bestand die hohe Lehre der Behutsamkeit: Es geht darum, die besondere Qualität eines Gebäudes in seinem jeweiligen baulichen Umfeld zu erkennen, in einen Dialog aus Alt und Neu einzutreten und etwas Bestehendes in einen weiteren Lebenszyklus zu überführen ohne es einfach zu konservieren. Kilian: Und das Umfeld, das Quartier, die Stadt, muss ich dabei als spannendes Ganzes verstehen, das ständig in Bewegung ist. Oft sind es Lebenskünstler, die alte Viertel wiederentdecken: die Dichter und Maler in Paris, die Medienschaffenden in Berlin oder die Urban Gardener in Detroit. Solche Prozesse machen sich zunehmend auch Stadtplaner zu Nutze, um durch die Ansiedlung kreativer Milieus urbane Räume zu beleben. Welche Herausforderungen bringt das Thema Bauen im Bestand mit sich?
Kilian: Der Kommunikationsaufwand für Architekten und Planer steigt. Bei Bestandsprojekten müssen wir verschiedensten Anforderungen und Ansprüchen gerecht werden – und darum noch aufmerksamer zuhören, erklären, überzeugen und vorantreiben als bei Projekten vom Reißbrett. Das Beispiel einer Schulsanierung unter Betrieb macht das deutlich: Vertragen sich Unterricht und Baulärm, sodass ein zügiger und kostengünstiger Umbau möglich ist? Wie lassen sich Sicherheitsanforderungen und Denkmalschutz vereinbaren? Was ist pädagogisch gewünscht, was ökonomisch machbar? Riehle: Bauen im Bestand ist ein Stück weit immer eine Reise ins Ungewisse. Was erwartet uns unter doppelten Böden, in alten Schächten, unter Tapetenschichten? Meistens spannende Baugeschichte, manchmal böse Überraschungen. Besonders herausfordernd ist die Integration moderner Technik in alte Strukturen: Das Gebäudeklima, die Energieeffizienz, die Rezyklierbarkeit von Baustoffen und die clevere Entflechtung von Technik und Gebäude spielen eine wichtige Rolle. Das Centre Pompidou in Paris mit seinen freiliegenden Kabel- und Versorgungsschächten ist hier ein radikales Beispiel. In manchen Projekten haben wir mit bis zu 50 Gewerken zu tun – vom Gipser bis zum Dendrochronologen. Wir können da gar nicht mehr alles selber wissen, aber Architekten müssen die richtigen Fragen stellen, um zu Ergebnissen zu kommen, die umsetzbar, wirtschaftlich und werterhaltend sind. Manchmal brauchen wir da auch den Mut zum Nein: Nicht jede alte Scheune eignet sich zum Begegnungszentrum. Mit dem neuen Masterstudiengang „pbb | Planen und Bauen im Bestand“ reagieren die Architektenkammer und die Hochschule Biberach auf diese Entwicklungen. Was ist das Besondere daran? Kilian: Gutes Bauen im Bestand heißt für mich, kulturelle Kontinuität vom Grundstein bis zur Türklinke zu gewährleisten. Zentral ist dafür die ganzheitliche Betrachtung der Stadt und ihrer architektonischen, sozialen und historischen Gegebenheiten. Das kommt im Architekturstudium häufig zu kurz und bedarf auch einer gewissen praktischen Erfahrung. Wir wollen die Analyse-, Dialog- und Planungsfähigkeiten der Studierenden stärken und Aha-Erlebnisse vermitteln – durch spannende Inhalte und lebendige Methoden. Riehle: Die Stadt braucht Jahresringe, erst die machen sie lebendig und lebenswert. Dieser Studiengang will darum den Blick für verdeckte Schönheiten schärfen und ein Gespür für vorhandene Architektur fördern. Der derzeit vieldiskutierte Inklusionsgedanke lässt sich gut in die Architektur übersetzen: Begreift die Vielfalt und Unterschiedlichkeit als Normalität! Akzeptiert Eigenarten! Nutzt viele Wege ans Ziel! Als eine wichtige Grundlage dafür sehe ich die Kenntnis historischer Bauweisen und Techniken. Nur wer Bestehendes verstehen und bewerten kann, kann Ideen entwickeln und Risiken minimieren. Nur wer den alten Ziegel- und Holzbau versteht, kann diesen mit modernen Bauweisen energetisch sanieren. Was sind für Sie lehrreiche Tops und Flops? Kilian: Da fallen mir drei ganz unterschiedliche Beispiele ein. Erstens die historisch korrekte Restaurierung Eichstätts und die damit im Dialog stehende Ergänzung von Neubauten durch den Stadtplaner Karljosef Schattner. Zweitens Peter Zumthors dynamische Verwebung von Alt und Neu im Diözesanmuseum Köln. Und drittens den Mut von David Chipperfield, im Neuen Museum Berlin Altes konsequent alt zu belassen. Riehle: Die Elbphilharmonie in Hamburg zeigt, dass methodische Patzer zu Beginn im Verlauf immer teuer werden. Die umstrittenen Pläne für das Stadtschloss in Berlin machen deutlich: Ein künstlicher Hybrid wird sich kaum mit Leben füllen lassen. Und die aktuelle Diskussion ums Stuttgarter Staatstheater unterstreicht: Bauherren, Nutzer und Architekten müssen frühzeitig miteinander reden, ihre Interessen klar benennen und gemeinsam lösungsorientiert planen. Wer sind denn potenzielle „Bestands-Planer und -Bauer“? Wie schätzen Sie deren berufliche Perspektiven ein? Kilian: Unser Studiengang richtet sich an erfahrene Neugierige ebenso wie an junge Einsteiger aus Architektur und Ingenieurwissenschaften. Mich freut aber besonders, dass auch angrenzende Disziplinen Interesse zeigen. Diese interdisziplinäre Mischung an Studierenden wird den neuen Studiengang sehr lebendig machen. Riehle: Als Architektenkammer sagen wir unseren Mitgliedern auch: „Such´ dir deine Nische!“. Bauen im Bestand ist eine solche Nische mit allerbesten Zukunftsperspektiven. Ich bin mir sicher: Künftige Architektengenerationen werden hier viel Spaß und volle Auftragsbücher finden. Wolfgang Riehle ist seit 1998 Präsident der Architektenkammer Baden-Württemberg. Dem Studium an der Universität Stuttgart folgte 1979 der Eintritt in das väterliche Architekturbüro Eugen Riehle. Seit 1991 ist er Partner in der Sozietät Riehle+Assoziierte Architekten und Stadtplaner. Hans-Ulrich Kilian ist Professor für Baukonstruktion und Entwerfen an der Hochschule Biberach. Dem Architekturstudium in Stuttgart folgte 1979 die Anstellung im Büro Berger Hauser Oed in Tübingen. 1984 wurde er Partner im Büro Kilian+Kilian, ab 1998 K+H Architekten.
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