28.02.2017 Cordula Vielhauer

»Bei uns war alles Mies«

Dirk Lohan, Foto: Lichthalle Krefeld

Unter den Großen der Architekturszene gibt es wenige, mit denen man sofort warm wird. Dirk Lohan gehört zu den Ausnahmen. Der Enkel Mies van der Rohes und lange Zeit dessen engster Mitarbeiter führt ein international erfolgreiches Architekturbüro in den Vereinigten Staaten mit Aufträgen von Asien bis Südamerika. Trotz seines Erfolges und des großen Namens hat sich der 78-jährige eine fast jugendliche Offenheit und Begeisterungsfähigkeit bewahrt, mit der er seiner Umgebung begegnet. Der gebürtige Deutsche pendelt häufig nach Berlin, unter anderem als Berater David Chipperfields, mit dem er an der Renovierung der Neuen Nationalgalerie arbeitet, deren Entwurf und Ausführung er seinerzeit mitbetreut hatte. Wir trafen Dirk Lohan in Krefeld und sprachen mit ihm über Westberlin in den Sechzigern, den M20-Wettbewerb und darüber, was Donald Trump für die Architektur bedeutet.

Herr Lohan, nachdem das Verseidag-Gelände über Jahre in einer Art Dornröschenschlaf lag, ist das hier ja fast eine Art Wiederentdeckung...

Das ist es auch für mich. Ich kenne das Projekt nur aus Büchern, aus Philipp Johnson’s kurz nach dem Zweiten Weltkrieg erschienenen Buch.* Aber wirklich gesehen habe ich es eigentlich nie. Es ist erstaunlich, wie neu das alles hier aussieht. Als wenn es erst vor ein paar Jahren gebaut worden wäre. Dabei ist es beinahe 90 Jahre alt!

Aber die Häuser Lange und Esters haben Sie früher schon besucht?

Ja, da war ich öfters. Direkt nach meinem Abitur in Süddeutschland habe ich meine erste Architekturreise gemacht. Ich war auf der Interbau in Berlin.** Und ich war damals auch hier in Krefeld. Denn ich hatte mich entschieden, Architektur zu studieren.

Hatte diese Entscheidung etwas mit Ihrem Großvater zu tun?

Vielleicht indirekt. Heute weiß ich, dass meine Mutter es sich immer gewünscht hatte, doch das war mir damals nicht bewusst. Mies van der Rohe war mir natürlich schon ein Begriff. Bereits zu meiner Geburt war unsere Wohnung komplett mit Mies-Möbeln eingerichtet. Bei uns war alles Mies. Ich habe wunderbare Erinnerungen an meine frühe Kindheit. Mies habe ich zum ersten Mal 1952 gesehen, als er in Deutschland war. Nach dem Abitur bin ich nach Chicago gegangen und habe am IIT studiert, das Mies damals leitete. Er verließ das Institut, und ich ging nach München, um dort mein Studium abzuschließen. Danach war mir jedoch klar: Ich will zurück nach Amerika.

Sie wurden dann einer von Mies’ engsten Mitarbeitern in Chicago. Erinnern Sie sich noch daran, wie es zum Auftrag für die Neue Nationalgalerie kam?

Ich erinnere mich sehr genau: Mies und ich saßen in Aachen im Quellenhof. Da reiste ein Werner Düttmann aus Berlin an und frug ihn, ob er nicht ein Museum in Berlin bauen wolle. Das hat er sofort bejaht. Als der Auftrag für die Nationalgalerie bearbeitet wurde, war ich 28 Jahre alt und der Repräsentant von Mies – unter lauter gestandenen älteren Herren. Manchmal wurde ich dann gefragt: »Herr Lohan, wie alt sind Sie eigentlich?« Da habe ich gesagt: »Ich bin 32.« Ich wusste, wenn man unter 30 ist, zählt das nicht. Als ich dann dreißig wurde, habe ich gesagt: »Jetzt bin ich dreißig.« (lacht)

Hatten Sie damals das Gefühl, dass das ein besonderes Gebäude ist?

Ja, das hatte ich. Es war ja mein »Erstwerk«, das erste Projekt, an dem ich intensiv beteiligt war, viele Dinge im Gespräch mit Mies gelöst, aber selber gezeichnet habe. Das war schon etwas Besonderes.

Was war das damals für eine Situation in Berlin?

Wissen Sie, damals, das war Westberlin. Da gab es nicht so viel Geld. Die hatten eine kleine Sammlung, aber sie wollten Mies unbedingt. Er war schon in den fünfziger Jahren eingeladen worden, an der Interbau teilzunehmen. Dafür wollte er ein Gebäude wie am Lake Shore Drive bauen, mit Stahl und Glas. Als er Bilder schickte, wurde gesagt: Das geht so nicht mit den deutschen Bauvorschriften. Da meinte er: Dann mache ich nicht mit. Alvar Aalto, Le Corbusier – alle waren da, nur Mies nicht. Und dann kam zehn Jahre später diese Möglichkeit.

Sie sind ja anlässlich der Renovierung der Neuen Nationalgalerie häufig in Berlin. Wie ist Ihre Zusammenarbeit mit David Chipperfield Architects?

Die Zusammenarbeit mit David Chipperfield Architects ist sehr gut. Ich bewundere dieses Büro, das sich ja spezialisiert hat – zumindest das Berliner Büro – auf solche Projekte wie die Renovierung des Neuen Museums oder jetzt der Neuen Nationalgalerie, in München das Haus der Kunst. Man spürt einen großen Respekt für das Alte. Aber wenn man etwas Neues machen muss, dann soll es auch nicht so aussehen, als hätte Mies das gemacht. Das finde ich richtig.

Heute Abend wird die Ausstellung für den Wettbewerb des Erweiterungsbaus der Neuen Nationalgalerie eröffnet, das so genannte M20. Haben Sie sich den Entwurf schon angeschaut von Herzog & de Meuron?

Nein. Ich habe ihn mir angeschaut, aber noch nicht wirklich studiert. Mich würde auch interessieren, was andere vorgeschlagen haben. Denn es ist ja wirklich kein einfacher Bauplatz dort. Ich habe natürlich auch daran gedacht, mich zu beteiligen. Aber ich weiß, dass in der ersten Phase Hunderte mitmachen, und das wollte ich dann nicht. Aber dieses Giebelhaus, das Herzog & de Meuron dort vorgeschlagen haben, interessiert mich, die »Kunstscheune«, wie es die Leute nennen. Das ist typisch berlinerisch, einem Gebäude sofort einen Spitznamen zu geben.

Auch wenn Architekten eher als unpolitisch gelten, würde uns Ihre Meinung zur aktuellen politischen Situation nach der Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten interessieren. Mies ist ja emigriert aus Deutschland, weil er damals nicht so bauen konnte, wie er wollte...

Ja, ich habe auch letztens gesagt, ich würde jetzt wieder zurück emigrieren. (lacht) Aber man weiß nicht, was man diesem Mann glauben kann. Man muss sehen, was er wirklich tut. In Chicago gibt es ein großes Gebäude, 75-80 Geschosse hoch, mit Büros unten, einem Hotel, und ganz oben Luxuswohnungen. Das ist der Trump Tower. Und tatsächlich ist es ihm gelungen, seinen Namen »Trump« an die Fassade schreiben zu dürfen. Die Buchstaben sind so hoch wie das ganze Gebäude hier.

Und die Mauer, die er zwischen den USA und Mexiko bauen will? Das wäre ja eine enorme Masse, eine gewaltige physische Dimension?

Ja, das sind ein paar tausend Kilometer. Aber er modifiziert bereits das, was er gesagt hat. Nämlich, dass er zum Beispiel auf schwierigem Gelände keine Mauer bauen will.

Aber mit seiner Sprache ruft er sehr starke Bilder auf.

Ja, und die einfacheren Menschen zieht das an, weil es so klar ist. Aber Sie wissen ja, dass er nicht die Mehrheit der Stimmen hatte. Es ist nicht die ideale Form von Demokratie, dass jemand Präsident wird, der nicht die Mehrheit der Stimmen hat. Das finde ich nicht richtig. Aber so ist unser System.

Sie fühlen sich heute als Amerikaner?

Ja, ich habe die amerikanische Staatsbürgerschaft. Und nachdem ich nun drei Viertel meines Lebens in den USA verbracht habe, fühle ich mich als Amerikaner.

Das ist sicher auch eine Parallele zu Mies. Gibt es eigentlich ein Vermächtnis, das Ihr Großvater Ihnen mitgegeben hat?

Ein direktes Vermächtnis kann man nicht sagen. Denn er hat eigentlich nie direkt Einfluss genommen. Aber ich habe gemerkt, dass ihm meine Gegenwart angenehm war, dass er gerne mit mir gearbeitet und sich mit mir unterhalten hat. Ich habe ja auch sieben Jahre lang jede Woche ein Interview mit ihm geführt, die Aufnahmen liegen im Museum of Modern Art. Einmal war ich in der Modellbauwerkstatt. Da schaute Mies, der dort sonst nie war, zu mir hinein und sagte: »Na, Masterbuilder!« Das habe ich natürlich als Kompliment angenommen. »Na« ist ja deutsch. Er sprach kein perfektes Englisch. Wenn wir über amerikanische Projekte gesprochen haben, sprachen wir englisch. Aber wenn es um seine Geschichte oder seine Erinnerungen an Deutschland ging, sprachen wir plötzlich automatisch deutsch.

Herr Lohan, ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch!
*Anlässlich der großen Mies-Ausstellung im MoMA 1947 erschienen (Anm. d. Red.)

**Internationale Bauausstellung im Hansaviertel, 1957
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