Berlusconi, Brunelleschi und Bucky Fuller....

Massimiliano Fuksas spricht über Baukunst, die gesellschaftliche Verantwortung des Architekten und den ehemaligen Ministerpräsident Italiens.

Massimiliano Fuksas; Foto: Frank Kaltenbach, München

Herr Fuksas, als international tätiger Architekt sprechen Sie mehrere Sprachen – in welcher Sprache sollen wir denn das Interview führen?

Meine Mutter war Italienerin,  mein  Vater halb Pole halb Deutscher.  Als Kind habe ich oft meine Ferien in Salzburg verbracht also spreche ich auch ein wenig deutsch, mein englisch ist aber besser.

Sie sind einer der erfolgreichsten Architekten Italiens, und das obwohl Sie sich seit Jahren sogar öffentlich gegen Silvio Berlusconi äußern. Wie kommen Sie zu Ihren Aufträgen?

Sie können sich denken, dass ich als Berlusconi-Kritiker keine Direktaufträge vom Italienischen Staat bekomme, also akquiriere ich die Mehrzahl meiner Bauten über gewonnene Wettbewerbe.

Haben Sie Ihren Widersacher je persönlich getroffen?

Für die Messe Mailand habe in nur 26 Monaten ein ganzes Stadtquartier mit 1 Mio Quadratmeter gebaut. Als sich Berlusconi zur Eröffnung angemeldet hatte habe ich entschlossen selbst nicht hinzugehen. Ich konnte es einfach nicht. Vor diesem Hintergrund verstehen Sie vielleicht auch den Titel »less estetics, more etics«, den ich als Direktor der Architekturbiennale 2000 ausgegeben habe. Viele fragten mich damals: Hast du was gegen Ästhetik? Dabei richtete sich der Titel nicht ausschließlich auf die Architektur, sondern auch auf allgemeine gesellschaftliche und politische Verhältnisse. Im Nachhinein war es der richtige Titel zur richtigen Zeit.

Die Anzahl und Dimensionen Ihrer Bauten in Italien sind dafür sehr beachtlich!

Alles Wettbewerbserfolge, dagegen kann selbst ein Silvio Berlusconi nichts unternehmen. Mit der Presse sieht das schon anders aus: Als ich den Wettbewerb für das höchste Hochhaus Italiens in Turin gewonnen hatte, stand in den Zeitungen: »das Projekt hat gewonnen«, nicht der Architekt, von Fuksas ist dann keine Rede.

Massimiliano Fuksas; Foto: Frank Kaltenbach, München

Dennoch treten Sie regelmäßig im Fernsehen auf. Der Komödiant Maurizio Crozza persifliert Sie sogar als Kunstfigur »Massimiliano Fufass«!

Ja bei der breiten Bevölkerung in Italien bin ich eben sehr berühmt, sie lieben mich.

Gefallen sie sich in dieser Rolle des Stars?

Aber ja. Sehen Sie: Es geht dabei nicht nur um meine Person. Die Popularität von Architekten bringt auch das Bewusstsein für Architektur unter die Leute.
Schon in Zeiten der Renaissance riefen die Leute Brunelleschi auf der Straße zu: »Wie geht’s, was macht das Projekt?«. Genau so fragen mich die Leute heute, wenn ich z. B. im Café sitze.

Was erzählen Sie im Fernsehen über Architektur?

Bei meinen Auftritten geht es nicht primär um Architektur, sondern um den aktuellen Zusammenbruch von Kultur und Ethik. Wenn man als Architekt Einfluss auf die Gesellschaft nehmen möchte, genügt es nicht ganz akademisch schöne Häuser zu bauen. Mann muss offensiv auf die Öffentlichkeit zugehen.  Und schließlich sind wir bereits 7 Milliarden Menschen auf der Erde, da gibt es auch noch andere Themen außer Architektur. Schließlich leben wir in einer postkapitalistischen Gesellschaft, die noch rücksichtsloser ist als der Kapitalismus – dagegen kämpfe ich an!

Massimiliano Fuksas; Foto: Frank Kaltenbach, München

Sie haben Büros in verschiedenen Ländern, werden Sie weiter expandieren?

Der eigentliche Grund damals nach Paris zu gehen war unser aktueller Premierminister. Inzwischen hatte ich Büros in Wien, Frankfurt und jetzt sogar in China. Da ich aber keine Partner habe, sind meine persönlichen Ressourcen begrenzt. So haben wir das Büro in Frankfurt wieder aufgegeben, was mich besonders bewegt hat, da mein Verhältnis zu Deutschland sehr gut ist.

Admirant Entrance Building, Eindhoven 2003-2010 Foto: Moreno Maggi, Mendoza

Viele Ihrer neuesten Bauten folgen komplexen Geometrien wie das geschwungene Dach der Messe in Mailand oder der Shopping Arkade MyZeil in Frankfurt. Haben Sie Ihre Architektursprache den neuen Möglichkeiten  des Computers angepasst?

Ich habe mich schon mit dieser Disziplin der Mathematik beschäftigt, lange bevor das parametrische Entwerfen mit Computerprogrammen Einzug in die Architektur gehalten hat. Bereits in den 1960er Jahren hat Luigi Moretti über parametrische Architektur und mathematische Forschung zur Stadtplanung publiziert – er stellte komplexe Berechnungen an obwohl es damals noch gar keine PCs gab!

Heute muss man als Architekt trotz Computer den Entwurf selbst bestimmen, wie gehen Sie dabei vor?

Geometrisch komplexe Formen können im Prinzip ganz einfach sein: Wenn man z.B. zwei Ellipsen wie bei meinen Glaskörpern für den Spirituosenherstellers Nardini nimmt, ist die wichtigste Entscheidung, wie sie zueinander stehen.
Wenn Sie meine Bauten besuchen, werden Sie merken, dass ich Körper immer so nahe aneinander stelle, dass man zunächst nicht weiß ob sie sich berühren oder nicht. Es bleibt immer ein möglichst kleiner Spalt, unabhängig ob es sich dabei um zwei eckige Bürotürme handelt oder kleine ellipsenförmige Pavillons.

MyZeil Einkaufszentrum, Frankfurt 2002-2009

Foto: Karsten Monnerjahn, Köln

Sie haben wieder ein großes Projekt in Shenzen, was ist der Unterschied beim Bauen in China und Deutschland?

Bauen ist überall schwierig. Das betrifft nicht nur China. Ich hatte Anfang der 1990er Jahre schon in Shanghai  gemeinsam mit Richard Rogers und Toyo Ito einen Städtebauentwurf für Pudong gemacht, am Ende haben die Chinesen alle drei Entwürfe zusammengewürfelt ohne die Autoren zu nennen. Dann habe ich lange nichts von China gehört. Irgendwie hat man sich dort dann aber doch an mich erinnert und wir haben den Wettbewerb für den Flughafenterminal in Shenzen gegen Foster, Ito und andere bekannte Büros gewonnen. Sie müssen sich unbedingt die Baustellenbilder abschauen, ich war erst wieder letzte Woche dort.

Auf den Rendering ähnelt das Gebäude einem Flugzeug, ist diese plakative, beinahe postmoderne Bildhaftigkeit beabsichtigt?

Die Symbolik ist einerseits wörtlich andererseits aber auch nicht. Welche Assoziationen das Gebäude hervorruft ist mir gar nicht so wichtig. Mir geht es vielmehr um das Prinzip der Metamorphose: Die Form verwandelt sich über die enorme Länge des Gebäudes. Man könnte sagen sie beginnt als Fisch oder Vogel und verwandelt sich in ein Flugzeug oder umgekehrt. Andere Interpretationen sind aber genauso möglich.

Die Stahlkonstruktion des Terminalgebäudes ist als Bienenwaben-Geometrie, also aus Sechsecken aufgebaut, die Flächen der Zeilgalerie aus Dreiecken zusammengesetzt. Was ist der Grund für die Sechsecke?

Die Idee für den Flughafen ist eine organische komplexe Struktur zu schaffen, Triangulaturen, also Gitternetze aus Dreiecken sind nicht organisch. Für organische Strukturen muss man Geometrien wählen, die auch Buckminster Fuller entwickelt hat. Das können Fünfecke sein oder Sechsecke. Einer der Gründe für diese Geometrie war, dass hier unterschiedliche Formen zusammentreffen. Diese räumlichen Verschneidungen konnten wir mit der Bienenwabe gut bewältigen.
Hier sehen Sie Baustellenbilder sind das nicht schöne Schattenspiele und großartige Räume?

Aber sind solche Schatten überhaupt zweckmäßig in einer Flughafenhalle, blenden Sie nicht?

Breites Grinsen und Achselzucken.

Neue Messe, Mailand-Rho 2002-2005

Foto: Archivio Fuksas

Sie arbeiten mit den besten Ingenieuren zusammen.

Jörg Schlaich habe ich über die Messe in Mailand kennengelernt, sein Büro sbp waren die Prüfingenieure der Stahlkonstruktion der freigeformten Stahlgitterschale des Dachs.  In seinem Büro haben wir Thorsten  Helbig kennen gelernt. Er hat uns bei der komplexen Stahl-Glaskonstruktion der MyZeil-Galerie in Frankfurt unterstützt, die ganz ähnlich ist wie das Dach in Mailand. Seitdem arbeiten wir überwiegend mit Knippers Helbig.

Welchen Anteil am Entwurf haben Sie und welchen die Tragwerksplaner?

Alles ist von mir (lacht).

Terminal 3, Shenzen Bao’an International Airport, 1.Bauabschnitt 2008-2012

Foto: Studio Fuksas

Nun ist der Flughafen ein Großprojekt, gleichzeitig bauen Sie auch in sehr überschaubaren Größenordnungen bis hin zum Produktdesign. Welchen Unterschied macht für Sie der Maßstab?

Wissen was ich mache? Jedes Mal wenn ich an einem Großprojekt gearbeitet habe, kümmere ich mich noch am selben Tag um kleine Projekte wie eine Kirche mit 1200 Quadratmeter und dann entwerfe ich Produktdesign, wie das Besteck für Alessi. Wenn ich das nicht tun würde, würde ich verrückt werden. Ich habe schon immer mit den unterschiedlichsten Maßstäben gearbeitet.
Ich arbeite an ca. 20 Projekten gleichzeitig. Ich beschäftige mich morgens mit den Bauten für die Messe in Shanghai, dann wechsle ich in einen anderen Raum meines Büros, wo wir  für Armani in Tokio ein kleines Hochhaus entwerfen – ich liebe diese Simultanität.
Wichtig ist aber immer auch das Spiel mit dem Maßstab. Michelangelo war ein Meister darin: Die große Eingangshalle in den Uffizien wird komplett vom Antritt der Treppenanlage ausgefüllt, man verliert völlig das Gefühl wie groß der Raum eigentlich ist. Oder etwa  Bramante: Er setzt inmitten eines viel zu kleinen Hofes des Palazzos die monumentale Typologie eines Rundtempels. Dieses Temoietto wurde weltberühmt, die Überraschung kommt aber erst vor Ort, wenn man sieht wie klein dieses »Tempelchen« tatsächlich ist und dennoch den Kontext repräsentativ erscheinen lässt.

Wohnungsbau Lyon Confluence 2005-2010

Foto: Philippe Ruault, Nantes

Welche Bedeutung haben für Sie die Materialien Ihrer Gebäude? Haben Sie ein Lieblingsmaterial?

Sichtbeton war die erste große Liebe meines Lebens! Schon in den 1970er Jahren haben wir viel mit Beton experimentiert. Wenn also heute jemand kommt und möchte ein Gebäude aus Beton, muss ich nicht lange recherchieren, wir können auf eigene Erfahrungen zurückgreifen.
Aber natürlich hängt die Materialwahl vom Kontext und von der beabsichtigten tektonischen Wirkung ab. Manchmal ruhen Baumassen statisch aufeinander oder ich frage: Warum lassen wir sie nicht so weit wie möglich auskragen oder auf nur wenigen filigranen Stützen scheinbar schweben? In Lyon habe ich eine irritierende Spannung zwischen Schwere und Leichtigkeit durch eine silbern glänzende Gebäudehülle aus Edelstahl und Aluminium angestrebt, in die nicht nur die Dächer, sondern auch die Fassaden eingepackt sind. Vor Jahren haben wir dieses Prinzip mit stumpfem, vorpatiniertem, grünen Kupfer eingesetzt.
(blättert auf seinem I-Pad):
Hier an dieser Kapelle, die bereits 25 Jahre alt ist, kann man eigentlich alle Aspekte meiner Architektur erklären: Entscheidend ist die Dramaturgie des Raums: Im Italienischen nennen wir das »Interstizio«. Das wird übersetzt mit  »Zwischenraum« oder »Spalt« – es bedeutet aber viel mehr. Gemeint ist der Wechsel zwischen Enge und Weite – ein Konzept des Barock, das in der römischen Kultur ihren Ursprung hat. Um diese räumliche Idee so klar wie möglich zu gestalten, ist der gesamte Bau aus einem einzigen Material: Cortenstahl. In den letzten Jahren ist diese rostige Oberfläche wieder richtig in Mode gekommen, aber damals vor 25 Jahren war das eine Innovation.

Armani FIFTH Avenue/56th Street , NY 2007-2009

Foto: Ramon Prat

In kleinen Projekten sind die Details wichtiger. Wer macht bei Ihnen die Details, haben Sie ein Partnerbüro für die Ausführung?

Ich entwerfe alle Details selbst, aber ich erzähle es niemandem. Sehen Sie diese Treppe im Armani Shop in New York? Alles dreht sich um Gleichgewicht. Ich machte eine Skizze, dann bauten wir ein Modell und die Treppe wurde vom Modell weg gebaut.

Aus welchem Material ist die Treppe gemacht?

Lacht. Wissen Sie wo wir die Treppe bauen ließen? Obwohl sie so groß ist? ist In Italien! Die Amerikaner sagten: um diese Treppe zu bauen, benötigen wir fünf Jahre, wir benötigten sie aber in einem Monat! Was würde sie kosten? Der Preis der italienischen Firma lag um ein Vielfaches niedriger als das Angebot der ortsansässigen Firmen in New York. Die Konstruktion besteht aus Stahl, auf die glasfaserbewehrter Beton aufgespachtelt wurde. In New York schließlich haben die Arbeiter aus Italien die Oberfläche perfekt auf Hochglanz poliert.

Kirche St. Paul, Perugia, Foligno 2001-2009

Foto: Moreno Maggi, Mendoza

Außer kommerziellen Bauten gestalten Sie auch Sakralräume. Was ist dabei das wichtigste?

Das wichtigste ist immer das Licht. Dabei muss man drei unterschiedliche Qualitäten von Licht unterscheiden: das direkte Licht, das indirekte Licht und natürlich das magische Licht, das man nicht richtig erklären kann, wo man nicht einmal merkt wo es her kommt, das aber dazu führt dass man sich gerne an einem Ort aufhält.

Massimiliano Fuksas; Foto: Frank Kaltenbach, München

Ihre Gebäude unterscheiden sich stark voneinander. Gibt es trotz dieser Unterschiedlichkeit gemeinsame Elemente, die man als »typisch Fuksas« bezeichnen könnte?

Sehen Sie vielleicht ist das auch ein Grund für meinen Erfolg: Ich habe immer versucht, unverwechselbar zu sein, damit mich andere nicht kopieren können und immer konsequent versucht, zu vermeiden, einen eigenen Stil auszubilden.
Ich bin von der Kunst her zur Architektur gekommen. Ich möchte mit meiner Architektur experimentieren, Neues ausloten und mich nicht ständig selbst wiederholen. Deshalb wirken meine Gebäude nicht modisch und sind zeitlos, manchmal sogar ein wenig ihrer Zeit voraus.

Massimiliano Fuksas; Foto: Frank Kaltenbach, München

Gerade kommen Sie von der Baustelle der »Wolke«, eine kleine runde Stahlstruktur in einer großen Halle. Den Wettbewerb haben Sie bereits vor 12 Jahren gewonnen aber erst nächstes Jahr wird sie fertig. Würden Sie den Entwurf heute anders machen?

Nein, wozu auch? Der Entwurf ist immer noch zeitgemäß, niemand wird dem Projekt das Alter seiner Entstehung ansehen. Woher beziehen Sie Ihre Inspiration?

Ich habe in meinem Leben in verschiedenen Städten gelebt und zwar immer im Zentrum. Obwohl ich in vielen Städten Büros habe, bevorzuge ich  Rom als Hauptquartier und ich habe mich gefragt, woran das liegt. Und wissen Sie, worin der wesentliche Unterschied zwischen den Städten dieser Welt besteht? Es ist die Quantität des Himmels, den man über sich wahrnimmt: In Berlin scheint er unendlich, in Paris ist er gut sichtbar. In Rom jedoch kann man den Himmel nur aus engen Straßenschluchten als einen schmalen Schlitz wahrnehmen. Die Stadt ist wie eine Skulptur, in die Lichtstrahlen eindringen. Wenn ich heute zurückblicke, und mir überlege, was ich in 35 Jahren  als Architekt gemacht habe, komme ich zu dem Schluss, an nur einem einzigen Projekt gearbeitet zu haben: Das räumliche Erlebnis von Rom in zeitgenössische Architektur zu übertragen.

Vielen Dank für das Gespräch

Das Interview mit Massimiliano Fuksas führten Frank Kaltenbach und Christian Schittich anlässlich des Symposiums »Seismographen der Architektur« am 20.10.2011 in München.

Massimiliano Fuksas; Foto: Frank Kaltenbach, München

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