23.05.2012 Linder@detail.de

Das Architekturmodell – Werkzeug, Fetisch, kleine Utopie

Text und Bilder: Frank Kaltenbach »Die Zeichnung ist die Sprache des Architekten«, lautete das Diktum der großen Architekturausstellungen im DAM in den 1980er Jahren. Dass seit der Einführung der Modellfotografie das dreidimensionale Modell die Zeichnung als wichtigstes Kommunikationsmedium abgelöst hat, ist nur eine von vielen Erkenntnissen der aktuellen Megashow. Aus den insgesamt 1240 Modellen der hauseigenen Sammlung hat Kurator Oliver Elser die prägnantesten ausgewählt und weitere 200 aus aller Welt zusammengetragen. Unter den 300 selbstgebastelten oder von Profimodellbauern minutiös gefrästen, gelaserten oder im 3D-Drucker generierten architektonischen Handschriften finden sich nicht nur die Arbeitsspuren eines Frei Otto, Rem Koolhaas oder Peter Zumthor, sondern auch Entdeckungen, die selbst die Fachwelt verblüffen. Ort: Deutsches Architekturmuseum (DAM), Schaumainkai 43, 60596 Frankfurt am Main
Dauer: 25. Mai bis 16. September 2012

»Unsere Motivation, eine Ausstellung über das Architekturmodell zu machen lag einfach darin, dass es bisher noch niemand gemacht hat«. Diese Antwort von Oliver Elser, dem Kurator der aktuellen Ausstellung »Das Architekturmodell - Werkzeug, Fetisch, kleine Utopie« scheint genauso lapidar wie überraschend – ist doch das dreidimensionale physische Modell auch in Zeiten der perfekten Computer-Renderings der eigentliche Anziehungspunkt der meisten Architekturausstellungen. Und dennoch wird der Wert des Modells als der Architekturzeichnung ebenbürtiges Original erst seit kurzem erkannt. Wie im Vorwort von Peter Cachola Schmal des äußerst empfelenswerten Katalogs nachzulesen ist, landete das Originalmodell von Mies van der Rohes Toronto Dominion Center, noch 1969 kurz nach seinem Tod, im Müll und war für immer für die Nachwelt verloren. Für Heinrich Klotz, den späteren Gründungsdirektor des DAM war dieser Verlust Ansporn genug, um von nun an in aller Welt Architekturmodelle zusammenzutragen. Das 1979 gegründete DAM wurde 1984 in einer Gründerzeitvilla eröffnet, die Oswald Mathias Ungers mit seiner modellhaften archetypischen Rasterarchitektur zu einer Ikone der Architekturgeschichte ausgebaut hatte.

1240 Modelle sind inzwischen im Archiv des DAM zusammengekommen, aus denen der Kurator die 102 Relevantesten ausgewählt hat. Weitere 200 stammen aus dem MOMA New York oder dem FRAC Centre Orléans. Auch wenn der Rundgang im Erdgeschoss mit einem großen Holzmodell des Mailänder Doms und einer Gipsversion des Tempietto von Bramante beginnt, kann das Modell des DAM von Oswald Mathias Ungers (OMU) als Haus im Haus im Haus und das Haus am Checkpoint Charlie seines Schülers Rem Koolhaas (OMA Office for Metropolitan Architecture), als Auftakt der Ausstellung gesehen werden, die nach vier Ebenen mit dem Haus im Haus im Maßstab 1:1 ihren Abschluss findet.

Haus am Checkpoint Charlie der Berliner Mauer, Rem Koolhaas OMA. Die Holzkiste der Verpackung ist Teil des Gesamtkunstwerks Haus in der Box und wird wie ein Fetisch gleichberechtigt mit dem eigentlichen Modell präsentiert.

Ebenfalls im Erdgeschoss ein Tisch, der Arbeitsmodelle in unterschiedlichen Maßstäben zeigt. Das Modell als Werkzeug. Die Präsentation des Prada Aoyama Shops in Tokio von Herzog & de Meuron wirkt wie ein Tisch im Architekturbüro und erinnert an die große Retrospektive No 250 der Basler Architekten im Schaulager in Basel. Bemerkenswert auch die Arbeitsmodelle von Frei Otto, anhand derer er experimentell die optimale Form und statische Kräfte ermittelt hat.

Eine spezielle Spielart der Modellbautechnik ist das hinterleuchtete Modell wie dieses Beispiel der Gläsernen Fabrik in Dresden von Henn Architekten.

Das Lego Haus von Herzog & de Meuron ist auch bisher in der ständigen Ausstellung zu sehen gewesen und zeigt als abstrahierte Urhütte eine Variante, die die Architekten in der Realität als graues Sichtbeton-Einfamilienhaus in Leyden oder als grob behauenes braunes Eingangshäuschen des Schaulagers in Basel umgesetzt haben.

Das Modell als kleine Utopie wird anhand städtebaulicher Visionen der 1960er Jahre illustriert. Die Bandbreite reicht von den metabolistischen Metropolen eines Arata Isozaki, Walter Jonas oder Jean Louis Chanéac bis zu den Türmentwürfen für Frankfurt von Christoph Mäckler Anfang der 1980er Jahre.

Jean-Louis Chanéac, auch eine Wiederentdeckung einer biomorphen Architektur vor dem Computerzeitalter. Gezeigt wird die Ville cratère aus dem Jahre 1963. Das Modell stammt aus dem Fundus des FRAC Centre Orléans, das sich besonders um die Stadtutopien der 1960er Jahre bemüht.

Stadt aus Raumzellen von Wolfgang Döring.

Hochhausentwurf von Christoph Mäckler für Frankfurt in Anlehnung an den russischen Konstruktivisten El Lissitzky.

Gegenüber den Stadtutopien stehen drei Ikonen der Hochhausarchitektur der 1950er Jahre: Das Dreischeibenhaus in Düsseldorf von HPP Hentrich Petschnigg & Partner, das originale Bronzemodell des Seagram Building von Mies van der Rohe und Philip Johnson in New York und das Originalmodell des ihm gegenüberstehenden Lever Building mit der weltweit ersten Curtain Wall. Über Pappmodelle von Aldo Rossi, Bleiabgüsse von Gottfried Böhm und realistische Modelle von Friedensreich Hundertwasser kreist der Besucher um den Innenhof mit dem Modell von La Villette von Rem Koolhaas, OMA.

Der Eingang zum ersten Schullin Juweliergeschäft in Wien von Hans Hollein ist als Arbeitsmodell aus Pappröhren im Maßstab 1:1 aufgebaut, ergänzt um ein kleines Modell und ein Foto.

Auch unter der Rubrik Nazi-Architektur wird das Holzmodell eines Parteigebäudes um den von Paul Bonatz geplanten neuen Münchner Hauptbahnhof mit Fotos in den historischen Kontext gestellt. Hitler lies ganze Straßenzüge als Gips oder Holzmodelle bauen, die ihm zur Kulisse seiner Kamerafahrten dienten. Doch schon in den 1920er Jahren vor den Nationalsozialisten dienen Gipsmodelle primär als Fotomodell. Bei der Sternkirche von Otto Bartning wurde sogar der Grundriss erst nach dem Modell gezeichnet.

Das Material als Fetisch: Peter Zumthors Kolumba-Museum zeigt in perfekter Holzarbeit die Kraft des Materials und den vom Architekten angestrebten monolithisch homogenen Ausdruck des Gebäudes. Aufschlussreich die Gegenüberstellung mit dem Stelenfeld in Berlin von Peter Eisenman und einem Originalmodell von Mies van der Rohe.

Im Zentrum dieses Geschosses steht der Wettbewerbsbeitrag des Parc de la Villette von Rem Koolhaas, OMA. Obwohl der Wettbewerb von Bernhard Tschumi gewonnen und realisiert wurde, sind die Fotos des OMA-Beitrags weitaus mehr verbreitet, diente der Entwurf zahlreichen Architekten als Vorbild. Mit einem Augenzwinkern kann der räumliche Kontext in den der Kurator das Modell gestellt hat gelesen werden: Wie ein Übervater blickt Oswald Mathias Ungers mit den vier quadratischen Augen seiner Museumsarchitektur auf seinen Schüler Koolhaas herab.

Das oberste Geschoss widmet sich zeitgenössischen Positionen des Modellbaus und neusten Forschungsergebnissen. Christian Kerez verblüfft mit der Einfachheit der Mittel bei seinen konzeptuellen Varianten aus Maschendraht oder Sperrholz vom daumengroßen Minimodell bis zu tischgroßen durchschlitzten Europaletten. Räumlich aufschlussreich auch die ineineandergesteckten Wohnungstypologien des Kölner Bretts von bk+, eher konventionell und an Frank Lloyd Wright erinnernd das Wandrelief der Biosphäre von Barkow Leibinger.

Ganz auf das Material als Fetisch reduziert ist das Modell von Bernd Kniess, das nichts vom Maßstab und Funktion preisgibt.

Der heimliche Hauptdarsteller der Ausstellung und Kulminationspunkt des Rundgangs ist jedoch das Haus im Haus im obersten Geschoss. Die Architektur wird zum Modell. Im Innern von Ungers Haus im Haus sind die eigentlichen Stars der Ausstellung repräsentiert. Nicht die berühmten Architekten, sondern die oft namenlosen Modellbauer. Hier sind in einer Werkstattumgebung die traditionellen Modellbautechniken einem computergesteuerten 3D-Drucker gegenübergestellt. Die in dieser Form einzigartige Ausstellung gibt einen umfassenden Überblick über die wesentlichen Aspekte des Modellbaus. Zusätzlich ist sie eine Zeitreise durch die letzten 90 Jahre Architekturgeschichte, die selbst für den profundesten Kenner Überraschungen zu bieten hat. Eine böse Überraschung brachte die intensive Erforschung des eigenen Bestands für das Team des DAM beim Gipsmodell des Einsteinturms von Erich Mendelsohn: Die Untersuchung im Computertomografen zeigte, das es sich bei dem Exponat nicht, wie jahrzehntelang geglaubt, um ein seltenes Original aus den 1920er Jahren handelt, sondern um einen Abguss mit der nach dem Kriege vereinfachten Außentreppe aus den 1950er Jahren.

Als offizieller Auftakt bildet das Tempietto von Bramante, eines der berühmtesten Bauwerke der Architekturgeschichte, den Blickfang für die ankommenden Besucher. Schließlich erlebt der Modellbau in der Renaissance den ersten Höhepunkt, mit großmaßstäblichen Holzmodellen der Kirchen, Theater und Paläste. Der Ursprung des Architekturmodells liegt jedoch Jahrtausende zurück: Aus sämtlichen Kulturen von Ägypten bis China sind Keramikmodelle oder deren Abbildungen überliefert.

Vielleicht die größte Entdeckung der Recherchen des Teams um Oliver Elser ist der spiralförmige Hochhausentwurf von Conrad Roland aus den Jahren 1963/64, den der Architekt 24 Jahre bei einer Spedition eingelagert und ohne 3-D Computermodell entworfen hatte.

Besonders verblüffend ist die Ähnlichkeit mit dem 2011 fertiggestellten Absolute World Towers bei Toronto des Chinesischen Architekturbüros MAD. Die 151 bzw. 178 Meter hohen Marylin Monroe Türme wurden im Juni 2012 mit dem Preis der Best Tall Buildings in the America ausgezeichnet.

Hochhausentwurf von Conrad Roland 1963/64

Weitere Infos: www.dam-online.de
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