17.08.2016 Jakob Schoof

Das Für und Wider der Shoppingtempel: Ausstellung »World of Malls« in München

Foto: Thomas Meyer

1951 wurde sie errichtet und 1994 wieder abgerissen, weil die Architektur nicht mehr zeitgemäß schien und ihr der Ankermieter fehlte: Die »Shopper’s World« in Framingham/Massachusetts ist die älteste von rund zwei Dutzend Malls und innerstädtischen Einkaufspassagen, die das Architekturmuseum München in seiner neuen Ausstellung zeigt. Die Ausstellungsbesucher flanieren an einer langen, durch einen Spiegel scheinbar ins Unendliche ausgedehnten Reihe von »Schaufensternischen« vorbei, in denen die Kuratoren die einzelnen Projekte präsentiert haben. Genau genommen, erinnert die Szenografie damit eher an eine kleinteilige Ladenzeile als an die aus den USA importierten, riesigen Shoppingkomplexe, deren Erfindung gemeinhin dem emigrierten österreichischen Stadtplaner Victor Gruen zugeschrieben wird.

Unter (freien) Architekten sind Malls bis heute eigentlich ein Nicht-Thema, zumal sich Gestaltungsfreiheit bei ihrer Planung allenfalls auf die Außenhülle erstreckt. Das Innere wird von den Hausarchitekten der Mallbetreiber meist generalstabsmäßig durchorchestriert. Bei ihren Kritikern gelten die Großkomplexe als Kaufkraft-Staubsauger, die die Innenstädte veröden lassen. Schlimmstenfalls – wenn sie überdimensioniert oder am falschen Standort geplant sind – werden sie selbst zu riesigen Nutzungsruinen, die nach wenigen Jahren wieder abgerissen oder mit öffentlichen Subventionen künstlich am Leben gehalten werden.

Was macht Malls erfolgreich, was lässt sie scheitern?
Für all diese (Vor)Urteile liefert die Ausstellung Beispiele und Gegenbeispiele zuhauf – nicht nur bei den gezeigten Objekten, sondern auch in den Videointerviews mit Architekten, Betreibern, Stadtplanern und Bürgern, die die Projektschau ergänzen. Schiere Größe, das vorweg, scheint weder eine Garantie für den Erfolg noch für das Scheitern von Malls zu sein. Die erste große deutsche Mall »auf der grünen Wiese« – das Main-Taunus-Zentrum in Sulzbach bei Frankfurt (1964) – galt wirtschaftlich als Erfolg und hatte kaum negative Auswirkungen auf die umliegenden Kleinstädte, wenn man dem Urteil der Ausstellungsmacher glauben darf. Auch das CentrO in Oberhausen 30 Jahre später hat seinen Betreibern viel Freude gemacht. Den Oberhausener Stadtvätern vermutlich weniger, denn diese dürfen sich seither mit grassierendem Leerstand in der Innenstadt herumplagen.

Mitunter scheitern Malls aber auch selbst – am eklatantesten vielleicht das »Schwabylon« in München nach Entwürfen von Justus Dahinden, das schon sechs Jahre nach seinem Bau 1979 wieder abgerissen wurde. Andere sind da weniger konsequent: Der Direktor der New South China Mall in Dongguan, eines seit 10 Jahren fast leerstehenden Riesenkomplexes mit 600.000 m2 Verkaufsfläche, prognostiziert in einem Video immer noch die baldige Wiederauferstehung des Shopping- und Vergnügungstempels. Bis es soweit ist, wird der chinesische Staat wohl noch einige Millionen in den Unterhalt der Immobilien stecken müssen.

Von Suburbia zurück in die Innenstadt
Victor Gruens erste Malls in den Vorstädten der USA waren reine, vollklimatisierte Innenwelten. Ihre äußere Gestaltung war seinerzeit praktisch kein Thema. Ab den 70er-Jahren eroberte der Bautypus dann schrittweise auch die Innenstädte, und um so wichtiger wurde seine Fassadengestaltung und maßstäbliche Gliederung. Zu welch unterschiedlichen Lösungen das führen kann, zeigen in der Ausstellung Projekte wie Jon Jerdes postmoderne »Horton Plaza« in Houston/USA oder der »Aldar Central Market« von Foster + Partners in Abu Dhabi, der mit seinen engen Gassen und luftdurchlässigen Ziegelfassaden stark an die Architektur der Niedrigenergiestadt Masdar City erinnert.

Noch stärker als in den USA und Asien stellt sich bei europäischen Malls die Herausforderung, Innenstädte sinnvoll »weiterzubauen«. Dieser Herausforderung sind längst nicht alle Mall-Betreiber gewachsen, wie Hilde Léon vom Büro leonwohlhage im Interview berichtet. Trotzdem gibt es auch hierfür gelungene Beispiele. Am ungewöhnlichsten wohl das Outlet-Center Bad Münstereifel, wo Investoren große Teile der Innenstadt eines alten Fachwerkstädtchens aufkauften und mit Textilgeschäften neu belebten. Man mag sich darüber mokieren, dass hier nun auch die gleichen Kettenläden auftauchen wie überall – doch der vorangegangene, jahrelange Leerstand der Häuser war mit Sicherheit die schlechtere Alternative. Und selbst heftig umstrittene Innenstadt-Malls wie die Braunschweiger Schloss-Arkaden mit ihrer rekonstruierten Stadtschlossfassade (2007) erfreuen sich mittlerweile großer Beliebtheit.

Foto: Jakob Schoof

Foto: ECE Projektmanagement GmbH & Co. KG

Foto: Gruen and Associates

Foto: The Jerde Partnership

Foto: Pietro Paolini/TerraProject

Foto: Seph Lawless

Foto: Thomas Mayer

Foto: Thomas Meyer

Foto: Thomas Meyer

Die Neuerfindung der Mall im Amazon-Zeitalter
Kein Zweifel: Die Malls haben den innerstädtischen Einzelhandel gehörig aufgemischt – und dabei nicht immer alles zum Besseren verändert. Aber unter dem Druck von Amazon & Co. sind sie auch selbst einem hohen Innovationsdruck unterworfen. Das reine innerstädtische Einkaufszentrum, so die ehemalige Münchener Stadtbaurätin Christiane Thalgott, hat heutzutage praktisch ausgedient. Daher suchen die Betreiber ihr Heil verstärkt im Erlebnischarakter der Häuser, in – manchmal recht aufgesetzt wirkenden – Events und in Themen-Malls. Eine solche entsteht derzeit nach Entwürfen von J. Mayer H. und Partner in Berlin. Das »Volt« soll nach seiner Fertigstellung die erste stehende Indoor-Surfwelle weltweit in einem Einkaufszentrum beherbergen. Der Münchener Eisbach lässt grüßen.

Ein anderer, beliebter Nutzungsmix ist derjenige von Kunst und Shopping, den die japanischen Kaufhäuser mit ihren Galerien schon seit Jahrzehnten praktizieren. Auch andernorts setzt er sich inzwischen durch, wie unter anderem das »Bikini« in Berlin, die Aishti Foundation in Beirut oder die K11 Art Mall in Shanghai belegen.

Wer hat das Sagen in den Innenstädten?
Wie kann es also gelingen, die »stadtfeindlichen Objekte« (Hilde Léon), die Malls ihrem Naturell nach immer noch sind, wirklich in die Städte zu integrieren statt sie dort einfach nur abzusetzen? Wie viel Einkaufsfläche ist genug, und ab wann werden Malls zu Waffen in einem »Kalten Krieg der Städte« (Eckhard Brockhoff), bei dem es nur noch darum geht, Kaufkraft voneinander abzuziehen?

Eine klare Antwort auf die Frage liefert auch die Münchener Ausstellung nicht, allenfalls Anhaltspunkte. In einem animierten Erklärvideo stellen die Ausstellungsmacher – etwas holzschnittartig – die Prinzipien der »alten« Mall-Planung (Stadtverwaltung gibt Investoren freie Hand, da sie sich Steuern und Arbeitsplätze erhofft) jenen einer neuen, partizipativen Planungskultur gegenüber. Dabei werden die Belange von Anwohnern, Stadtverwaltung und Gewerbetreibenden (im Idealfall) sorgfältig gegeneinander abgewogen. Gern hätte man mehr erfahren, wie diese Prozesse im Einzelnen funktionieren. Vielleicht lohnt hier ein Blick über die Grenzen in die Niederlande und nach Großbritannien. Dort nämlich, so der Stuttgarter Stadtplaner Franz Pesch, kooperieren Städte und Mall-Betreiber von Anfang an – mit durchaus vorzeigbaren und stadtverträglichen Ergebnissen. In Deutschland dagegen, so Pesch, stünden bei den Centerplanungen immer noch eher die Interessenskonflikte zwischen Investoren und Bürgerschaft im Vordergrund. 
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