08.05.2008

Deckensanierung Olympiaschwimmhalle

STATISCHE BERECHNUNG
Formfindung und geometrische Randbedingungen

Grundlage für die Formfindung der neuen Membrangeometrie war ein 3-D-Aufmaß der Bestandskonstruktion, das im September 2003 von der Technischen Universität München durchgeführt wurde. Das Modell, das die bestehende Dachfläche sowie sämtliche Abhängungen und Einbauten mit über 130 000 Punkten definierte, wurde mit Hilfe NURBS-Modellierung analysiert, um aus der Punkteschar eine genäherte Freiformfläche als Grundlage für die Bewertung der Membranformfindung zu entwickeln (Bild 2).
Mit Hilfe der festen Randbedingungen der Hochpunkte, Tiefpunkte und des Randanschlusses wurde darauf aufbauend eine kraftgesteuerte Hochpunkt-Formfindung durchgeführt. Die neue Form wurde geglättet und iterativ optimiert, um im Endzustand die ursprüngliche Geometrie innerhalb geringer Toleranzen wiederzugeben. Die durch das geänderte Tragverhalten der neuen Konstruktion bedingten Abweichungen zur Bestandsgeometrie konnten auf +0,20 m (nach oben) bzw. -1,50 m (nach unten) begrenzt werden. Damit wurden zum einen Kollisionen der Membran mit dem darüber liegenden Seilnetz verhindert, zum anderen wurde der Innenraum in seiner ursprünglichen Gestalt nahezu erhalten. Da der Lastabtrag für Eigengewicht und Vorspannung ausschließlich über die Hoch- bzw. Tiefpunkte sowie den Randanschluss erfolgt (vgl. unten), hatten die Kleeblätter keinen Einfluss auf die Formfindung. Ein weiteres Kriterium für die Formfindung war, dass durch den Vorspannungszustand ein Schlaffwerden der Membran unter Last ausgeschlossen werden musste, um insbesondere bei nach außen gerichteten Lasten ein Beulen der Kleeblatt-Abhängungen zu vermeiden. Tragverhalten und statisches Modell
Die abgehängte Decke ist ein Flächentragwerk. Die für den zweiaxialen Lastabtrag erforderliche antiklastische Krümmung wird durch den umlaufenden Randanschluss an das Seilnetz sowie die Anschlüsse an die vorhandenen je zwei Hoch- bzw. Tiefpunkte gewährleistet. Die ursprüngliche Konstruktion trug sowohl ständige als auch veränderliche Lasten über die Anschlüsse an den Hochund Tiefpunkten sowie den Randanschluss ab. Zusätzlich dienten die 218 druckschlaffen Abhängungen (Kleeblätter) zur Aufnahme des Eigengewichtes und veränderlicher (nach innen gerichteter) Lasten. Das Tragverhalten der neuen abgehängten Decke unterscheidet sich davon maßgeblich: Durch die erhöhten Festigkeiten aktueller Membranmaterialien können Eigengewicht und Vorspannung sowie nach außen gerichtete Lasten aus windinduziertem Unterdruck im Dachzwischenraum und windinduziertem Überdruck in der Schwimmhalle ausschließlich über die Hoch- und Tiefpunkte sowie den Randanschluss abgetragen werden. Die Anzahl der erforderlichen Kleeblätter zur Aufnahme von nach innen gerichteten Lasten aus windinduziertem Überdruck im Dachzwischenraum sowie windinduziertem Unterdruck in der Schwimmhalle konnte darüber hinaus auf 73 reduziert werden. Der neue Beleuchtersteg wurde aus acht ca. 11 m langen Einfeldträgern zusammengesetzt. Die Segmente sind an den Verbindungspunkten durch je zwei Seile direkt vom Seilnetz abgehängt. Nahe dem Aufstieg wurde der Steg am Mast M2 längsund querfest angeschlossen. Somit konnte die Anzahl der erforderlichen Durchdringungen für die Abhängung der Beleuchterstege von über 100 auf 20 reduziert werden.

Bild1: Die Olympiahalle in erneuertem Zustand.

KONSTRUKTION
Membrantragwerk
Die Membran der parallel zugeschnittenen Regelbereiche besteht aus PVC-beschichtetem Polyestergewebe TYP II mit einer Bruchfestigkeit von 84 kN/m in Kettrichtung, die Membran der Radialbereiche aus PVC-beschichtetem Polyestergewebe TYP IV mit einer Bruchfestigkeit von 150 kN/m in Kettrichtung (Bild 4). Entgegen der ursprünglichen Ausführung mit zahlreichen Schnürenstößen wurde die Membran aus zwei großen Teilen zusammengesetzt, die durch einen Klemmplattenstoß verbunden sind. Der umlaufende Randanschluss erfolgte, wie in der ursprünglichen Lösung, kontinuierlich über Rundstäbe mit einer Länge von 1,50 m in Membrantaschen, die mit offenen Spiralseilen Ø 10 mm im Seilnetz rückverankert wurden. Die definierte Vorspannung der Membran wird über Spannen der Rückverankerungen mit Spannschlössern aufgebracht. Der gleichmäßige Abstand zum Seilnetz wird mit Spreizen aus Rundstäben gewährleistet, die über Traversen auf dem Seilnetz abgestützt sind. An den Hochpunkten ist die Membran über Aluminium-Klemmplatten an Stahlringe Ø 273 mm mit 5,00 m (H1) bzw. 4,00 m (M2) Durchmesser angeschlossen. Die Ringträger sind mit offenen Spiralseilen Ø 22 mm von den Gratseilen der Dachkonstruktion abgehängt. Die horizontale Stabilisierung erfolgt über geneigte Abspannseile sowie die umlaufende Membran. Der Anschluss in den Tiefpunkten wurde ebenfalls über Aluminium- Klemmplatten an die Fassadenkonstruktion der Tiefpunkte mit 5,00 m (T1) bzw. 7,00 m (T2) Durchmesser ausgeführt. Die Lasten wurden in bestehenden Schwerlastfundamenten (T1) bzw. in der Stahlbetonkonstruktion der Tribünen (T2) verankert. Die Ausführung der Kleeblätter orientiert sich stark an der Bestandskonstruktion: Zur Vermeidung von Spannungsspitzen in der Membran mussten die Abhängungen möglichst flexibel ausgeführt werden. Um die erforderliche Elastizität mit der zugehörigen Festigkeit zu gewährleisten, wurde Federstahl 1200/1350 WNr. 1.8159 als Rundstahl Ø 25 mm eingesetzt. Die Kleeblätter sind mit offenen Spiralseilen Ø 10 mm über Traversen vom Seilnetz abgehängt. Durch Verkehrslasten verformen sich die Kleeblätter bei einem Durchmesser von 1,30 m um ca. 50 mm. Die konstruktiven Anforderungen an die Durchdringungen der Abhängungen der Beleuchterstege sind vielfältig: Das Detail muss zunächst einen dichten Raumabschluss zwischen Innenraum und Dachzwischenraum gewährleisten. Zusätzlich müssen Differenzverformungen bis zu 1,00 m zwischen Seilnetz und Membran sowie baupraktische Toleranzen aufgenommen werden können. Der Anschluss erfolgte mit einer flexiblen Tülle aus Membranmaterial, die über einen Klemmring mit der Membran verbunden ist. Die Differenzverformungen zur Abhängung werden über ein passgenaues, verschiebliches PVC-Rohr ermöglicht. Die transluzente Wärmedämmung aus Polyestervlies wird durch auf die Membran aufgeschweißte Stege aus Membranmaterial in einzelne (für die Belüftung separat ansteuerbare) Kammern getrennt. Auf den Stegen ist die Abdichtung aus ETFE-Folie über Aluminium-Klemmprofile befestigt. In den geneigten Bereichen dienen die Stege zusätzlich zur Lagesicherung.

Bild3a: Spannungen in Kettenrichtungen

Bild3b: Schussrichtung LF1

Beleuchtersteg
Die Stahlkonstruktion der Beleuchterstege besteht aus beidseitigen Längsträgern IPE 220, die durch Querträger IPE 100 und Geländerpfosten T 50 zu einem Trogquerschnitt ergänzt werden. An den Längsträgern sind außenseitig Laschen zum Anschluss der Beleuchtungselemente angeordnet. Die einzelnen ca. 11,25 m langen Segmente sind als Einfeldträger gelenkig verbunden und an diesen Verbindungen durch Abhängungen offene Spiralseile Ø 10 mm vom Seilnetz abgehängt. Der Anschluss an das Seilnetz erfolgt wie bei den Kleeblättern über Traversen. Sämtliche im Innenraum eingesetzten Stähle wurden für die Korrosivitätskategorie C5 ausgelegt, alle Edelstähle sind gemäß Zulassung für chloridhaltige Atmosphären geeignet.

Bild4: Tiefpunkt T1, Innenraum

Lastannahmen, Tragverhalten, statische Berechnung
Für die statische Berechnung wurde das Gesamtsystem samt Randbedingungen als 3D-FE-Flächenmodell analysiert. Berücksichtigt wurden drei maßgebliche Lastfallkombinationen:
• LF0: Eigengewicht und Vorspannung
• LF1: LF0 + Überdruck im Dachzwischenraum + Unterdruck im Innenraum
• LF2: LF0 + Unterdruck im Dachzwischenraum + Überdruck im Innenraum Die Bemessungswindlasten wurden durch theoretische Abschätzungen und numerische Simulationsberechnungen ermittelt. Das Tragverhalten der Membran zeigt, dass sich für abwärts gerichtete Lasten der Lastfälle LF0, LF1 zwischen den Hochpunkten ein Zugband ausbildet (Bilder 3a und 3b). Die Lasten aus LF2 werden hauptsächlich zu den Tiefpunkten und zum umlaufenden Rand abgetragen. Die Abtragung der Lasten aus LF0 und LF2 erfolgte direkt durch die Membran an die Hoch- bzw. Tiefpunkte sowie den Randanschluss. Für die Abtragung der Windlasten aus LF1 war die Anordnung zusätzlicher Abhängungen (Kleeblätter) erforderlich. Die Anzahl und Position der erforderlichen Kleeblätter wurde anhand der Membranspannungen und der Auflagerkräfte ermittelt. Die zulässigen Auflagerkräfte der Kleeblätter wurden anhand der Tragfähigkeit der bestehenden Verbindungsmittel im Seilnetz bestimmt. Die Verträglichkeit der neuen Belastungssituation für das bestehende Seilnetz und die Unterbauten wurde anhand vergleichender Untersuchungen der Bestandskonstruktion nachgewiesen. Der Nachweis der Stahlkonstruktion wurde nach DIN 18800 Ausgabe 11/1990 geführt. Der Nachweis der Membrankonstruktion erfolgte auf Grundlage der Untersuchungen von Minte nach der Methode der A-Faktoren.

Bild2: Bestandsmodell aus 3D-Aufmaß der TU München

Autoren des Artikels:
Knut Göppert, Sebastian Linden Schlaich Bergermann + Partner

Bild5: Beleuchtersteg vor der Deckensanierung

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