10.02.2007

Der Streit um die Berliner Museumsinsel


Ein Haus, komponiert aus wiederverwendeten Ziegeln und großen Glasflächen – gleich gegenüber dem Berliner Kulturheiligtum, der Museumsinsel. Ein Skandal? Im Gegenteil. Das Galeriegebäude „Hinter dem Gießhaus“ für Heiner Bastian, das David Chipperfield derzeit verwirklicht, gehört zu den interessantesten Neubauprojekten Berlins.

Mit seiner klassisch ruhigen Formensprache ist es prägnant, ohne dominant zu sein. Und vermittelt einen guten Eindruck davon, wie der britische Architekt es versteht, moderne Architektur in historische Umgebung einzufügen.

Längst gehört Chipperfield zu den global players der Architekturszene. Umfasste seine Werkübersicht in der spanischen Architekturzeitschrift „El Croquis“ 2001 gerade mal 200 Seiten, so sind es in der jüngsten Auflage bereits über 500. Chipperfields Entwürfe sind in Japan und China ebenso gefragt wie in Amerika und Europa. Im vergangenen Jahr stellt er das international beachtete „America’s-Cup-Gebäude“ am Hafen von Valencia fertig, das mit seinen weit auskragenden Terrassen wie die Brücke eines Ozeanriesen wirkt. Aber auch in Deutschland war Chipperfield zuletzt mit seiner Erweiterung des Literaturarchivs in Marbach erfolgreich. Gerade wurde sein Entwurf für das Kultur- und Kongresszentrum Würth mit dem ersten Preis der Jury bedacht.

Trotz dieses weltweiten Engagements betont Chipperfield im Gespräch, dass das Neue Museum in Berlin das geistige Zentrum seiner Arbeit bildet. Seit 1997 ist er mit dem stark beschädigten Baudenkmal auf der Museumsinsel befasst, 2009 soll es wiedereröffnet werden – nach über sechzig Jahren als Ruine. Dann können sich die Besucher ein Bild von dem differenzierten Restaurierungskonzept machen, das auf die ganz unterschiedlichen Erhaltungs- und Zerstörungszustände des Hauses eingeht, in dem Chipperfield auf die Substanz jedes einzelnen Raumes reagiert. Die Geschichte des Bauwerks und seine etappenweise Zerstörung sind für Chipperfield dabei wichtiger Bestandteil des Museums: „Man kann nicht so tun, als sei nichts geschehen, und das Gebäude rekonstruieren, ganz so, als wäre es nie beschädigt gewesen.“

Gegen die Rekonstruktionsbefürworter, die sich eine Kopie des Stülerbaus wünschen, setzte Chipperfield sein Konzept einer differenzierenden Restaurierung durch: „Es wäre viel einfacher gewesen, eine Kopie des Gebäudes zu schaffen, statt seine Geschichte behutsam zu bewahren.“ Eine ähnlich konsequente Haltung im Umgang mit Denkmalen würde man sich auch bei anderen Welterbestätten wünschen. Doch stattdessen dominiert in Deutschland derzeit die Neigung zu Rekonstruktionen, die die süffige Bildwirkung von Denkmalen in den Vordergrund stellt anstatt einer behutsamen Erhaltung der Denkmalsubstanz.

Heftig umstritten ist derweil allerdings das neue Eingangsgebäude der Museumsinsel, die James-Simon-Galerie, die Chipperfield direkt vor dem Neuen Museum plant. Sieht doch der Denkmalpfleger Michael Petzet, Weltpräsident des einflussreichen „International Council on Monuments and Sites“ (ICOMOS), durch den Neubau die „visuelle Integrität“ der Museumsinsel in Gefahr.

Von Jürgen Tietz
Quelle: Tagesspiegel vom 06.02.2007 >> mehr unter Tagesspiegel.de
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