02.04.2014 Katinka Johanning

Die Farben Indiens auf Beton: »Le Corbusier. Béton Brut und der unbeschreibliche Raum«

Eine neue DETAIL-Publikation dokumentiert Le Corbusiers besonderen Umgang mit Sichtbeton. Anhand unterschiedlicher Projekte eröffnet die analytische Betrachtung der Entstehung von Raum eine neue Sichtweise auf seine letzten und wichtigen Arbeiten. Überlegungen zum Einsatz von Baustoffen stehen dabei ebenso im Fokus, wie Fragen der Optik, sowie zur Verwendung von Farben und letztlich die Auswirkung ihrer Verbindungen auf die Wahrnehmung.

Für die Fassade des 1955 eingeweihten Justizpalasts in Chandigarh benötigt Le Corbusier für die Auswahl der geeigneten Farben mehrere Jahre und ist doch mit dem Ergebnis zunächst nicht zufrieden.

»Für Farbliebhaber ist der Eingang prächtig und nicht deprimierend«, antwortet Pierre Jeanneret auf Le Corbusiers Vorwürfe, die Farben am Justizpalast von Chandigarh entsprächen ganz und gar nicht seinen Anweisungen, sie hinterließen einen geradezu deprimierenden Eindruck: »Ich bin extrem besorgt und betrübt, solche Farben zu sehen. Ich habe nie die Anweisung zu ihrer Verwendung erteilt […]«, hatte Letzterer im Oktober 1962 in einem Brief an seinen Cousin Pierre Jeanneret verärgert festgestellt. Das Gebäude gehört zu den monumentalen Regierungsbauten, die Le Corbusier auf Wunsch des indischen Ministerpräsidenten Jawaharlal Nehru für Chandigarh entwirft, die nach seinem Masterplan angelegte neue Hauptstadt des indischen Punjab. Le Corbusier hat diesen negativen Eindruck anhand von Fotografien gewonnen, die ihm sein Cousin nach Paris gesandt hat. Diese geben jedoch die auf der Baustelle in Indien verwendeten Farben nicht korrekt wieder, sondern verzerrt, wie ihm Jeanneret nach einem Abgleich der Aufnahmen mit den Originalfarben vor Ort versichert.

Entwurfsskizzen, 24-25 April 1951 (Le Corbusier. Œuvre complète 1946-52, Zürich,1953)

Le Corbusiers heftige Reaktion zeigt die Bedeutung, die das Gestaltungsmittel Farbe für ihn besitzt, sowohl beim Innen- als auch beim Außenbereich des 1951 bis 1955 errichteten Justizpalasts. Er erwägt und verwirft verschiedene Kombinationen, darunter auch Grün, Weiß und Rotorange, die Farben der indischen Flagge. Schließlich zieht sich die Auswahl aller Farben für das Gebäude über mehrere Jahre hin: Während die brises-soleil und Wandnischen der Fassade bereits in den fünfziger Jahren gestrichen werden, trifft Le Corbusier endgültige Entscheidungen für den Eingangsbereich erst Anfang der sechziger Jahre. 
Auch in technischer Hinsicht will er bei der Auswahl nichts dem Zufall überlassen. Er sucht nach Farben, die lichtresistent und stabil auf dem Beton sein sollen und außerdem besonders geeignet für das intensive Licht Indiens. Die Baustelle des Justizpalasts ist also zugleich ein Test, um herauszufinden, welche Farben sich für die Anwendung auf Beton besonders eignen. Zunächst favorisiert Le Corbusier Matroïl-Farben, die er erstmals Anfang der fünfziger Jahre beim Bau der Unité d'Habitation in Marseille verwendet hat und seitdem immer wieder an seinen Gebäuden einsetzt: »Der rohe Stein, der béton brut und die weiße Kalkfarbe werden hell aufscheinen, sobald das Gebäude mit den Matroïl-Farben gestrichen ist.« Doch Probleme beim Import führen dazu, dass er sich beim Justizpalast für Latexfarben aus England entscheidet.

Schließlich werden 1962 - lange nach der Einweihung des Gebäudes im Jahr 1955 - im Eingang die Latexfarben in Grün, Gelb und Rot verwendet. Ihre Leuchtkraft kontrastiert auffallend mit den Fassadenbereichen in unbehandeltem Sichtbeton. Mit diesen kräftigen Tönen spielt Le Corbusier vielleicht auch auf die indische Tradition der Stofffärberei an: Sie erinnern in gewisser Weise an große Teppiche oder Vorhänge, wie Le Corbusier sie auch im Inneren seiner Bauten von Chandigarh einsetzt und wie er sie mit der indischen Tradition verbindet.

Fotos: Christian Schittich


Text Katinka Johanning,
nach Roberto Gargiani

Nach Roberto Gargiani, Anna Rosellini:
Le Corbusier. Béton Brut und der unbeschreibliche Raum (1940 -1965). Oberflächenmaterialien und die Psychophysiologie des Sehens.

Das Buch erscheint am 4. April in der Edition DETAIL. Bis zum 31. Mai 2014 kann es zum Subskriptionspreis von 98,00 Euro bestellt werden.

Baustellenfoto © Fondation Le Corbusier

Der Haupteingang 2013

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