26.07.2009

Die Klimazonen der Welt in einem Gebäude

Vielen Bremern ist das grandiose Scheitern des „Space Center“ noch in schlechter Erinnerung. Mehr Erfolg durch höheren wissenschaftlichen Anspruch soll nun das „Klimahaus 8° Ost“ in Bremerhaven bringen. Darin können die Besucher alle Klimazonen der Welt erleben und selbst Klimaexperimente anstellen. Das Klima- und Energiekonzept des Neubaus stammt von Transsolar.
Als „eines der größten wissensbasierten Freizeitangeboten in Europa“ bezeichnen die Betreiber das neue „Klimahaus Bremerhaven 8°Ost“ mit seinen rund 11.500 m2 Ausstellungsfläche. Beraten durch das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, das Max-Planck-Institut für Meteorologie und das Deutsche Wetterinstitut haben sie eine Erlebniswelt realisiert, die die Themen Klima und Klimawandel auch physisch spürbar macht. Der größte von vier Ausstellungsbereichen, die „Reise“, entführt die Besucher in die unterschiedlichen Klimazonen, die sich entlang des achten Grads östlicher Breite aufreihen. Die regenreiche norddeutsche Tiefebene, die Gebirgswelt der Schweiz, die Sahelzone, die Tropenwälder Kameruns und schließlich die Eiswüste der Antarktis werden hier nicht nur durch entsprechende Kulissen, Pflanzen- und Tierwelt vermittelt, sondern eben auch durch entsprechend klimatisierte Räume und lebensecht nachgestellte Wetterphänomene.

Drei weitere Ausstellungsbereiche ergänzen den Rundgang: In „Elemente“ können Besucher Klimaexperimente an 100 interaktiven Exponaten selbst durchführen. In „Perspektiven“ werden das Klima unserer Vergangenheit, Gegenwart und die Auswirkungen auf die Zukunft dargestellt, in „Chancen“ Handlungsmöglichkeiten offengelegt. Zum Beispiel kann der Besucher hier in Themenkammern spielerisch testen, wie er seinen persönlichen CO2-Ausstoß senken kann.
Für den Gebäudeentwurf in Form einer amorphen, verglasten „bubble“ zeichneten Klumpp Architekten und Städteplaner aus Bremen sowie agn Architekten + Generalplaner aus Ibbenbüren verantwortlich. Das Klima- Lüftungs- und Energiekonzept steuerte das Münchener Büro von Transsolar bei. Es gelang den Ingenieuren, interne Lasten und Kältebedarf im Gebäude so weit zu senken, dass die Ausstellungsbereiche Elemente, Perspektiven, Chancen und das Foyer ganz ohne mechanische Kühlung auskommen. Die großflächige Glashülle bewirkt in diesem Fall keine Überhitzung der Ausstellungsräume: Diese sind vom Fassadenraum abgekoppelt.

Dennoch benötigt das Klimahaus Energie – aufgrund der Vielzahl an Exponaten und Multimediastationen sogar mehr als vergleichbare andere Ausstellungsbauten. Das Gebäude ist aufgrund seines hohen Installationsgrads ganzjährig ein Kühlfall; der Heizwärmebedarf dagegen vergleichsweise gering. Dennoch betragen die flächenspezifischen Leistungen für Medien und Kunstlicht nur 40 W/m2 statt üblicherweise 65 W/m2. Hierdurch wurde es möglich, rund ¾ der Räume in „Elemente“ und „Perspektiven“ mittels Betonkernaktivierung zu heizen und kühlen. In den übrigen Bereichen kommen Kühldecken zum Einsatz, die auch tagsüber ständig von Wasser durchströmt werden müssen. Als Wärmesenke für das System dient das Erdreich unter dem Gebäude: 464 der insgesamt 770, rund 20 Meter tief in den Untergrund reichenden, Fundamentpfähle wurden als Energiepfähle mit Rohrschlangen belegt. Alles in allem stellt das Energiepfahlfeld eine Spitzenkühlleistung von rund 270 kW zur Verfügung. Im Winter liefert es über den gleichen Mechanismus Wärme zur Vorerwärmung der Zuluft.

Schematische Darstellung einiger Elemente des Klima- und Energiekonzeptes für den Ausstellungsbereich im Sommerfall

Die einzigen Bereiche, die maschinelle Klimatechnik benötigen, liegen im Bereich „Reise“: Anders lassen sich die Hitze der Sahara oder die Kälte der Antarktis heute auch mit modernster Technik noch nicht simulieren. Für diese Bereiche bezieht das Klimahaus Fernwärme aus dem Bremerhavener Müllheizkraftwerk. Sie wird über eine Absorptionskältemaschine auch zur Kühlung der Aquarien und über ein Desiccant Cooling System zur Kühlung der Zuluft herangezogen.
Der Strombedarf des Gebäudes wird größtenteils mit zertifiziertem Ökostrom gedeckt. Eine im Bereich der „Plaza“ in das Isolierglas der Dachverglasung integrierte Solaranlage aus monokristallinen PV-Zellen liefert darüber hinaus den gesamten Strombedarf des Ausstellungsbereichs „Chancen“. Ihre Spitzenleistung beträgt 37 kW; ferner reduzieren die schwarzen Zellen die Sonneneinstrahlung in der Plaza auf unter 20% und wirken so gleichzeitig als Sonnenschutz.

Schematische Darstellung einiger Elemente des Klima- und Energiekonzeptes im Längsschnitt

Die Fassadenkonstruktion
Die geschwungene Fassade des Gebäudes erstreckt sich über eine Länge von 125 Metern und eine Breite von 83 Metern. Bei einer Höhe von 30 Metern ergibt sich so eine Fassadenfläche von fast 10.000 Quadratmetern. Realisiert wurde die Glashülle durch die Roschmann Group als Schuppenstruktur mit eigens für das Projekt entwickelter Aluminium-Rahmenkonstruktion. Die vertikalen Fassadenfugen wurden mit einem eingeklebten pilzförmigen Silikonprofil geschlossen.
Insgesamt wurden 3860 Glasscheiben verbaut, die alle in Größe und Form unterschiedlich sind. Jedes der Elemente hat vier verschiedene Seitenlängen und Winkel. Zur Belüftung des Gebäudes wurden 94 speziell entwickelte Lüftungsflügel in die Fassaed eingebaut, die ebenfalls der geschuppten Fassadenkontur folgen mussten.

Der innere Baukörper des Klimahauses dagegen in Ortbeton und Trockenbauweise erstellt. Seine Außenwände bestehen aus einer Metallständerkonstruktion, beplankt mit zementgebundenen Bauplatten vom Typ „Aquapanel Cement Board Outdoor“ und einem mineralischen Wärmedämmverbundsystem. Die nichttragenden Zwischenwände wurden aus Aquapanel Cement Board Indoor von Knauf Perlite und Gipskartonplatten hergestellt.

Der Innenkörper des Gebäudes war in der Bauphase absehbar für mindestens ein Jahr den Einflüssen von Witterung und Windlasten ausgesetzt, bevor die Außenkonstruktion aus Glas und Aluminium fertig gestellt werden konnte. Durch den Gebäudestandort in Küstennähe waren besondere klimatische Bedingungen zu berücksichtigen wie Windstärken, Luftfeuchtigkeit und Salzgehalt der Luft. Die Planer entschieden sich daher für ein Material, das den klimatischen Bedingungen während der Bauphase Stand hält und eine schnelle Schließung des Baukörpers ermöglicht. Außerdem mussten die bis zu 21 Meter hohe Innenwände ohne Geschossdecken besonderen statischen Anforderungen gerecht werden.

Für die Beplankung war daher ein leichtes Material erforderlich, das überdies eine anspruchsvolle Wärme- und Schalldämmung bot. Die Innenwandmaterialien müssen in einzelnen „Klimazonen“ ständig Temperaturen von 35 °C und 70 Prozent Luftfeuchtigkeit widerstehen. Nicht zuletzt spielte auch die Flexibilität und leichte Formbarkeit der Materialien in der Bauphase eine wichtige Rolle: bei der Konstruktion des Bereiches „Sardinien“ die Wand sowohl horizontal wie vertikal gekrümmt, und zwar nicht in einem bestimmten Radius, sondern als undefiniertes Flächenstück. Die Zementbauplatten ermöglichen schnell und einfach plane, robuste und stoßfeste Oberflächen, die auch die gewünschten Rundungen und Wölbungen bis zu einem Meter Radius zulassen. „Das Biegen der Zementbauplatten erfolgte ohne weitere Vorbereitungen direkt auf der Baustelle“, so Fachbauleiter Stefan Lagleder von der ausführenden Firma Lindner. „Jede einzelne Platte konnte so an die jeweilige Wölbungsanforderung angepasst werden.“

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