17.12.2012 Cordula Vielhauer

Digitales Origami – magma architecture im Gespräch

Das Berliner Büro magma architecture entwirft Architektur und Ausstellungsdesign. In seinen Projekten – wie dem Masrah-Al-Qasba-Theater im arabischen Schardscha – geht es unter anderem um die Übertragung kontextspezifischer Eigenschaften in eine moderne Architektursprache. Das Experimentieren mit neuen Materialien und der Einsatz computergestützter Verfahren wird hier ergänzt durch das Abgleichen der Entwurfsergebnisse mittels zahlreicher Arbeitsmodelle. Der Computer und die ihm angeschlossenen Maschinen werden so als Werkzeuge in einem Formfindungsprozess eingesetzt, der ständig zwischen analog und digital oszilliert. Wir besuchten Lena Kleinheinz und Martin Ostermann von magma architecture in ihrem Atelier in Berlin und sprachen mit ihnen über das Modell als Ideengeber, digitales Origami und die Hand als Maßstab.

Lena Kleinheinz und Martin Ostermann von magma architecture (vor einem Modell des von ihnen entworfenen Schießzentrums für die Olympischen Spiele 2012 in London)

DETAIL: Gerade wurde euer Masrah-Al-Qasba-Theater mit dem LEAF Award ausgezeichnet. Das für die Olympiade in London dieses Jahr fertig gestellte Schießzentrum ist für den Mies-van-der-Rohe-Preis nominiert. Bei beiden Projekten arbeitet ihr auf sehr plastische Art mit Textilien. Gibt es einen Zusammenhang in der Form eurer Entwürfe und der Wahl der Werkzeuge dafür?

Martin Ostermann: Ja, es gibt tatsächlich einen Unterschied zu anderen Büros, die oberflächlich betrachtet vielleicht mit ähnlichen Formen arbeiten wie wir, diese aber in Beton gießen. Wir arbeiten viel mit Textilien, weil diese Materialien wie geschaffen sind für organische Formen. Die Elastizität, die man für unsere Formen braucht, wohnt diesem Material inne. Es entspricht nicht unserem Architekturverständnis, einem Material eine Form aufzudrücken, die dessen spezifische Eigenschaften nicht berücksichtigt. Deshalb arbeiten wir zum Beispiel auch mit einem Lasercutter und nicht mit einem 3D-Plotter. Ein Plotter oder 3D-Drucker würde uns starre Formen liefern, die im Vorfeld klar definiert sein müssen. Wir wollen aber experimentieren – gerade mit der Form. Deshalb benutzen wir flexible Materialien wie Nylonstoffe, Drahtgeflechte oder Papier. Mit Papier zu arbeiten, ist zwar anders, als mit Textil zu arbeiten, je nach Modellmaßstab kommt es diesem Material aber schon näher.

Masrah-Al-Qasba-Theater in Schardscha, Foto: Torsten Seidel

Lena Kleinheinz: In den kleinmaßstäblichen Modellen, wie 1:200, können wir das Papiermodell als Gesamtstruktur bauen; sobald wir stärker ins Detail gehen, im Maßstab 1:20 zum Beispiel, übernimmt das Papier dann die Aufgabe des Tragwerks, über das sich ein Stoff spannen lässt.

Martin Ostermann: 
Auch konstruktive Entscheidungen lassen sich am Modell leichter überprüfen. Bei unserer Ausstellung „Try and Error“ ging es darum, tatsächlich mit Papier zu arbeiten. Die Ausstellungswände waren aus Papier, das waren lauter geknickte Flächen. Für die Statik haben wir damals mit Buro Happold zusammen gearbeitet. Der Statiker dort meinte: Es funktioniert doch im Modell. Also funktioniert es auch in der Realität. Das ist ein weiterer Grund, warum wir so gerne mit Modellen arbeiten.

Arbeitsmodell

Ausstellung "Trial and Error"

DETAIL: Und wie setzt ihr den Lasercutter im Rahmen des Modellbauens ein?

Martin Ostermann:
Wir nutzen den Lasercutter tatsächlich als Entwurfswerkzeug. Mit ihm können wir die oft komplizierten Muster, die den Tragstrukturen unserer Entwürfe zu Grunde liegen, direkt ausschneiden und dann weiterverarbeiten. Das spart enorm viel Zeit, denn solche Muster von Hand mit dem Cutter auszuschneiden, dauert sehr lange.

Lena Kleinheinz:
Die eigentliche Arbeit des Entwerfens besteht ja darin, die Form zu entwickeln. Unsere Formen entstehen ja nicht allein aus dem Raumprogramm und sind in den seltensten Fällen rechtwinklig. Bei uns verläuft der Entwurfsprozess immer parallel zwischen Computermodell und physischem Modell, das wir auch in die Hand nehmen können.

Schießzentrum für die Olympischen Spiele 2012 in London

Martin Ostermann: Manche Entwurfsentscheidungen entstehen tatsächlich im Prozess des Modellbauens. Bei diesem Modell zum Beispiel, das eigentlich nur ein Gitter werden sollte,  haben wir beim Herausbrechen der Flächenteile zwischen dem Gitter gemerkt, dass es besser aussieht, wenn man ein paar Flächen stehen lässt. Das hätten wir am Computer gar nicht gesehen. Solche Momente entstehen allein beim Modellbau.

Lena Kleinheinz:
Und diese Dachkonstruktion kann man nun tatsächlich so ausführen, wie sie hier steht. Wir könnten jetzt hingehen und die Einzelteile entsprechend aus Stahl lasern und falten lassen. Das würde gehen. Das würde halten.

DETAIL
: Und die Daten dafür hättet ihr dann auch schon?

Lena Kleinheinz:
Im Prinzip ja. Firmen, die im 3D-Modelling nicht so stark sind, kommen häufig auf uns zu und fragen uns, ob wir ihnen die Schablonen liefern können. Das ist zwar manchmal haftungstechnisch kompliziert, aber eigentlich freut es uns, dass dadurch im Architekturbüro etwas entsteht, das den Entwurf komplett beschreibt: Vom Arbeitsmodell bis zum fertigen Bauelement können wir mit dieser Technik alles entwickeln.

Arbeitsmodelle

DETAIL: Der Lasercutter ermöglicht euch also eine Art digitales Origami?

Lena Kleinheinz:
Ja, ich habe ja eine Zeitlang in Tokio gearbeitet. Dort wurde fast alles mit der Hand gezeichnet und geschnitten. Die Japaner haben ganz andere Werkzeuge als wir und ganz andere Materialien: feinere Pappen und schärfere Cuttermesser. Hinzu kommt, dass sie nicht mit so langen Reißschienen hantieren wie wir. Dort wird mit ganz kleinen, aber sehr präzisen Linealen und Dreiecken gearbeitet, alles ist wenig größer als die eigene Hand. In Japan gibt die menschliche Hand den Maßstab der Werkzeuge vor, nicht der Modellmaßstab.

Entwurfsmodell

DETAIL: Arbeitet ihr eigentlich auch mit BIM?

Martin Ostermann:
Beim Schießzentrum in London haben wir mit BIM gearbeitet, aber dabei gemerkt, dass die Programme einfach noch nicht weit genug sind. Die gängigen Programme eignen sich zwar für Standard-Lösungen, aber so individuelle Konstruktionen wie unsere können damit schwer umgesetzt werden. Wir haben uns damit auseinandergesetzt und uns das auch intensiv zeigen lassen, uns aber letztlich dagegen entschieden, weil die Programme einfach noch nicht weit genug sind für unsere Anforderungen.

Schießzentrum für die Olympischen Spiele 2012 in London

DETAIL: Ich war gerade auf einer Konferenz, bei der unter anderem ein komplexes geometrisches Gebäude – das Nationalmuseum in Quatar von Ateliers Jean Nouvel – vorgestellt wurde, das komplett mit BIM realisiert wird...

Martin Ostermann: Vielleicht arbeiten sie dort mit Firmen zusammen, die ebenfalls über die entsprechenden Programme verfügen, das ist sonst nämlich oft ein weiteres Problem. Bei so einem Prestigeprojekt spielen die Kosten vielleicht auch keine so große Rolle. Die Ingenieure sind natürlich immer ganz begeistert von BIM. Aber ein planendes Ingenieurbüro ist eben auch noch lange keine ausführende Firma.

Arbeitsmodell

Büroausbau für die Filmproduktionsfirma Nexus

DETAIL: Und wie steht mit so einem Modell hier: Das Muster habt ihr im Computer gezeichnet und vom Lasercutter ausschneiden lassen. Verformt habt ihr diese Fläche aber mit der Hand. Wie bekommt ihr dieses Modell jetzt wieder in den Rechner?

Lena Kleinheinz: Wir zeichnen natürlich auch 3D-Modelle, die wir an die Hersteller weiter geben. Es stellt sich immer die Frage, wann man einen Hersteller mit ins Boot holt innerhalb des Entwurfsprozesses. Manchmal sollte man das früh tun, gerade wenn es um Neuentwicklungen geht. Manche Lösungen ergeben sich ja erst im Gespräch mit dem Hersteller. Sicher schränkt einen das auch ein, was die Auswahl vergleichbarer Angebote angeht, deshalb muss man das vorher genau mit dem Auftraggeber besprechen. Aber für uns ist es gut, weil wir dadurch auch frühzeitig anfangen können, 1:1-Mock-Ups zu bauen. Wenn ein Hersteller zum Beispiel sagt, seine Werkzeuge lassen nur eine Biegung von 40 Grad zu, können wir das an dieser Stelle des Entwurfsprozesses schon berücksichtigen und gemeinsam Lösungen entwickeln, die sowohl der Form als auch dem Produktionsprozess gerecht werden. Je früher wir solche Einschränkungen kennen, desto besser können wir mit ihnen arbeiten.

Martin Ostermann: Vor ein paar Jahren war es fast noch nicht möglich, solche textilen Konstruktionen, wie wir sie entwerfen, am Computer zu zeichnen. Heute geht das viel einfacher. Bei unserer Ausstellung „Head  in“ vor ein paar Jahren haben das einige versucht und sind gescheitert. Heute geht das. Wir geben so viel wie möglich vor bei unseren Entwürfen. Beim Schießzentrum war eine der wichtigsten Vorgaben zum Beispiel der Verlauf der Nähte. Die sieht man nämlich. Deshalb ist es wichtig, dass die Nähte nicht irgendwie verlaufen – nämlich so, wie es gerade für die Stoffbahnen passt, sondern so, wie es dem Krümmungsverlauf entspricht. Dafür mussten wir aber auch wissen, in welcher Breite der Stoff zur Verfügung steht. Und deshalb haben wir die Nähte schon bei den ersten Renderings visualisiert.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Cordula Vielhauer.


Weitere Informationen zu den Architekten: www.magmaarchitecture.com

Ausstellung "Head in"

Schießzentrum für die Olympiade 2012 in London

Arbeitsmodell

Büroausbau Nexus, London

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