03.05.2009 Tom Madlener

Ein Interview mit KieranTimberlake

Seit vielen Jahren schon beschäftigen sich KieranTimberlake (Philadelphia) mit nachhaltigem Bauen. Sie haben einige mit LEED Platinum, dem höchsten amerikanischen Umweltsiegel, zertifizierte Bauten, etwa das Yale University Sculpture Building oder die Sidwell Friends Middle School verwirklicht – ebenso experimentelle Projekte wie das Loblolly House oder das Cellophane House.
Thomas Madlener sprach mit James Timberlake und Richard Maimon über den aktuellen Stand nachhaltiger Architektur in den USA und über mögliche zukünftige Entwicklungen.

James Timberlake und Richard Maimon von KieranTimberlake

Wie bewerten Sie die gegenwärtige Haltung zur nachhaltigen Architektur in den USA, und wie hat sich diese entwickelt?
JT: Es gab hier in den letzten Jahren einige Entwicklungen, die allen die Augen geöffnet haben. 140 US-Dollar etwa für ein Barrel Öl ändern Haltungen ganz beträchtlich – vielen, die sich vorher nicht darum gekümmert haben, wurde klar, dass sie einiges bewirken können. Vor allem im vergangenen Jahr ist das Thema Nachhaltigkeit stark ins öffentliche Bewusstsein gerückt. In den USA verursachen Gebäude fast 50% der Energiekosten. Dies zwingt Bauindustrie und Architekten, endlich umzudenken.
Führt dies zu neuen ganzheitlichen Entwürfen, oder werden einfach grüne Elemente über etablierte Konzepte gestülpt?
JT: Wir glauben, dass dies ganzheitlich und effektiv angegangen werden sollte, dass es nicht nur um grüne Accessoires -gehen sollte, um Ornamente, die zeigen, wie grün man denkt.
RM: Doch hilft uns Architekten dieser Umweltaspekt, auch zu -einer neuen Ästhetik zu finden?
RM: Ich glaube, die meisten Architekten denken zurzeit, sie könnten ein Umweltsiegel bekommen, wenn sie einfach eine Reihe von Punkten abarbeiten – und die Bauherren ebenfalls. Aber dies ändert sich. Architekten wird jetzt klar, dass sie in der Verantwortung stehen, und immer mehr Bauherren begreifen, dass umweltgerechte Gebäude bei den Nutzern, bei Kuratorien und in der Öffentlichkeit gut ankommen. Vielleicht schon in fünf, sicherlich aber in zehn Jahren werden wir in den USA nicht mehr über Auszeichnungen für Grünes Bauen sprechen, sondern diejenigen an den Pranger stellen, die es nicht praktizieren. Die Menschen werden sich ändern, weil sie sich nicht blamieren möchten.
Stehen nun die Leute in ihren Augen tatsächlich hinter einer nachhaltigen Architektur – oder ist es eher ein Vermarktungstrick?
JT: Das traf vor einigen Jahren zu, zumindest bei Architekten. Auf der Bauherrenebene ist es teils noch anders. Bei Bauträgern und Projektentwicklern ist es im Wesentlichen noch ein Element der Vermarktung. Doch in der Bevölkerung halten es viele inzwischen für schick, etwa ein umweltfreundliches Auto zu kaufen. Dieser Coolness-Faktor spielt eine Rolle, aber auch die Faktoren Marketing und Akzeptanz sind wichtig sowie Menschen, die tatsächlich bewusst handeln. Damit ist das Thema auf verschiedenen Ebenen in der Öffentlichkeit angekommen. Und sehr bald wird es keine Mode mehr sein, sondern die neue Art und Weise, wie wir uns verhalten und leben sollten. Doch das wird wohl noch eine Generation dauern.
Wird sich die Finanzkrise negativ auf nachhaltige Architektur auswirken, weil nun einfach billige Lösungen gefragt sind?
JT: Über diese Fragen haben wir auch viel nachgedacht, bei manchen Budgetgesprächen ist das durchaus Thema. Die Finanzkrise, im Zusammenspiel mit Ölpreisen, die erst ins Unermessliche steigen und dann wieder stark fallen, hat tatsächlich zu manchem Meinungsumschwung geführt. Andererseits kann man Bauherren meiner Ansicht nach jetzt viel leichter überzeugen, dass diese Situation sich so schnell nicht ändern wird und dass sie bei den Entscheidungen den gesamten Lebenszyklus und nicht nur die Baukosten im Auge behalten sollten.

Bauteile und Materialien des Cellophane House und deren Recyclingfähigkeit

Denken Projektentwickler auch so?
JT: Nicht unbedingt. Allerdings ist bei rein spekulativen Bauvorhaben Stillstand eingetreten, da es derzeit kaum günstige Kredite gibt. Investorenprojekte im Bau werden noch fertiggestellt, doch werden in den nächsten zwei Jahren kaum neue begonnen werden.
RM: Das führt zur Sorge, ob Produkt- und Systemhersteller noch in neue Technologien investieren können. Können Firmen, die Haustechniksysteme entwicklen, noch das gleiche Geld investieren, wenn die Verkaufszahlen zurückgehen? In der Photovoltaik etwa gab es sprunghafte Entwicklungen – geht es entsprechend weiter? Kann sie auf breiter Front marktgängig gemacht werden?
Welcher Strategie sollten Architekten folgen? Sollten sie weiter Neuland betreten oder sollten sie eher versuchen, kostengünstige Low-Tech-Lösungen anzustreben, die auch funktionieren?
JT: Wenn sie kurzfristig denken, wählen sie die kostengünstige Low-Tech-Lösung, aber wenn sie clever sind, werden sie weiter Neues versuchen. Leider sichert vielen Architekten Massenware zu geringen Honorarsätzen das Überleben. Da fällt es schwer, das Thema Nachhaltigkeit voranzutreiben. Andererseits ist jeder in der Verantwortung, jeden Bauherren zu fragen, was die Ressourcen für ein spezielles Projekt erlauben.
Wir sind in der sehr glücklichen Lage, Bauherren wie die Sidwell Friends School zu haben, die zu uns kommt, um ein Gebäude mit LEED-Platin-Status zu verwirklichen (Abb. 10, 11). Oder die Yale University, die in 23 Monaten ein Gebäude mit mindestens LEED-Silber oder -Gold errichten will. Wenn wir dann demonstrieren, dass sie unter diesen Vorzeichen den Platin-Status übertreffen können, sehen sie darin eine gute Investition (Abb. 7–9). Wir hatten auch das Glück, mit dem Loblolly House (Abb. 5, 6) und dem Cellophane House (Abb. 1, 2) sehr experimentelle Projekte verwirklichen zu können.
Wir betreiben Forschung, informieren auf breiter Ebene und messen Gebäudedaten im Betrieb – bei derzeit fünf Gebäuden. Das Auswerten der Messungen entwickelt sich für uns zu einem wichtigen Werkzeug, wir lernen viel daraus.

Wie entwickelte sich bei KieranTimberlake die Forschung?
JT: 1999/2000 zogen Steve Kieran und ich Bilanz und überlegten, was dem Büro noch fehlte – es war eine Investition in die Zukunft. Fast jeder Industriezweig betreibt Forschung und Entwicklung, man reinvestiert einen Teil der Gewinne. Dabei geht es um das Thema Wachstum, um Teilhabe, um die Förderung des Intellekts und die Motivation unserer Mitarbeiter – letztlich um die Nachhaltigkeit der Firma.
RM: 2001 wurde uns der Latrobe-Fellowship-Preis des American Institute of Architects (AIA) in Washington verliehen. Wir hatten eine Arbeit eingereicht, die mit Blick auf andere Industriezweige untersucht, wie etwa die Automobilindustrie, die Flugzeugindustrie und der Schiffsbau zu solch hochwertigen Produkten kommen. Wir wollten von ihnen lernen: Warum sind gerade Gebäude, die nicht einmal mobil sind, in den USA so rückständig? Warum ist die Qualität so schlecht und sind die Baukosten so hoch, warum ist die Produktivität so gering, während sie in jedem anderen Industriezweig zugenommen hat?
Mit dem Preisgeld konnten wir eine Forschungsabteilung aufbauen, die sich nicht zwingend mit konkreten Projekten auseinandersetzen muss. Heute betreibt das Team unter der Leitung einer Direktorin unabhängige Forschung, die Projekte wie das Cellophane House ermöglicht; sie bearbeiten spezielle Forschungsaufträge oder Forschung als Teil unserer Projekte – zu Themen wie neue Materialien, Lebensdauerbilanzen, Recyclinganteile, Energiemodelle, technische Gebäudeausrüstung etc. Wir haben auch eine Werkstatt, in der wir Bauteile im Maßstab 1:1 herstellen und prüfen können.
Dies findet Anerkennung bei bestimmten Bauherren. Mittlerweile kommen Bauherren, denen Innovation ein besonderes Anliegen ist, gezielt zu uns.
JT: Jetzt diskutieren wir nicht mehr nur über Formen und Oberflächen, wir gehen weitaus mehr in die Tiefe.
Dabei praktiziert KieranTimberlake seit der Gründung vor fast 25 Jahren nachhaltiges, verantwortungsvolles Bauen. Vor 16 Jahren, lange vor den LEED-Umweltstandards, verwirklichten wir beispielsweise mit der West Middle School einen pragmatischen Entwurf, der nachhaltige Materialien aus der Region sowie Farben und Materialien mit geringen Emissionen und langer Lebensdauer verwendet (Abb. 3).

War es damals schwer, den Bauherrn zu überzeugen?
JT: Es war sehr leicht, den Bauherrn zu überzeugen, weil es um Schulkinder ging. 16 Jahre später geht es bei der Sidwell Friends School ebenfalls darum, Kindern und Eltern zu erklären, wie ein Gebäude funktioniert und wie es mit der Umwelt inter-
agiert. Dieses Mal allerdings viel konsequenter (Abb. 10, 11).
RM: Unsere frühen Bauherren waren fast ausschließlich gemeinnützige Bildungseinrichtungen, die wissen, dass sie das Gebäude lange Zeit besitzen und erhalten werden. Somit bekommen nachhaltige Themen einen hohen Stellenwert.
JT: Viele unserer frühen Arbeiten waren Sanierungen. Wir mussten uns dabei mit Lebenszykluskosten von Systemen auseinandersetzen. Diese Sensibilität übertrugen wir dann auf neue Gebäude. Wir befassten uns auch immer mit integrierten Systemen, wie etwa Doppelfassaden als Teil eines Haustechnikkonzepts.
Wir entwickelten mit Permasteelisa die erste klimaaktive Doppelfassade in Nordamerika für die Levine Hall der University of Pennsylvania (Abb. 4). Hier mussten wir allerdings einen hohen Überzeugungsaufwand leisten.
Wo sehen Sie weitere Verbesserungsmöglichkeiten in der Zukunft?
JT: Ich glaube, das nächste große Thema wird programmatischer Natur sein. Bisher forderten Architekten, Bauherren und Nutzer immer mehr Wachstum, immer mehr Luxus. Unsere Gebäude sollten jedoch einfacher und flexibler werden – um Kosten zu senken, aber auch um neue Systeme zu integrieren. Was Nachhaltigkeit im Moment kompliziert und teuer macht, ist, dass sowohl Programme als auch technische Systeme unglaublich komplex sind. Doch Letztgenannte müssen klar identifizierbar sein, um sie im Laufe des Lebenszyklus ersetzen zu können.
Wie wird sich das Thema Nachhaltigkeit in Zukunft entwickeln?
JT: Krise und Katharsis sind manchmal gut. Man wird gezwungen, das ständige Aufrüsten neu zu überdenken. Heute wird weit mehr über Nachhaltigkeit diskutiert als noch vor zwei Jahren.
RM: Bereits vor der Krise nahm die Durchschnittsgröße amerikanischer Eigenheime ab, die sich seit 1970 zu beinahe peinlicher Größe aufgebläht hatten.
JT: Über die nächsten zehn Jahre wird die Frage, wie wir unsere Ressourcen verwalten, entscheidende Bedeutung erlangen.
Es würde mich nicht überraschen, wenn man die Jahre zwischen 2000 und 2015 einmal auf eine Stufe mit den gesellschaftlichen Umbrüchen der 60er stellen würde. Hätte sich damals der gesellschaftliche Dialog nicht verändert, hätten wir 2009 keinen afroamerikanischen Präsidenten. In Bezug auf die Umweltthematik glaube ich, dass die tatsächlichen Auswirkungen unserer Zeit erst in zwanzig Jahren deutlich sichtbar sein werden.

Loblolly House, Taylors Island, Maryland 2006

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