17.04.2011 Jakob Schoof

Eine Renaissance auf Raten

Drei Jahrzehnte lang sprach in Europa und Nordamerika niemand mehr von Solarenergie. Entsprechend mühsam war der Neubeginn. Teil 6 unserer Jubiläumsserie blickt zurück auf die Jahre nach der Ölkrise, den Eskapismus der frühen Öko-Architektur und die „Wintergartenmode“ der 80er- und 90er-Jahre.

In den 50er- und 60er-Jahren schien ein langgehegter Menschheitstraum Realität zu werden: Energie in unerschöpflichen Mengen, konkurrenzlos günstig und überdies in ihrer saubersten, vielseitigsten und praktischsten Form – als Elektrizität. Die Begeisterung für die Atomenergie war auf dem Höhepunkt angelangt, die Risiken der neuen Energieform wurden systematisch verdrängt. In einigen Regionen der USA erreichten die Strompreise ein Rekordtief von 2 Cent je Kilowattstunde. Von Solarenergie sprach niemand mehr; den letzten verbliebenen Forschungsprogrammen wurden die staatlichen Mittel entzogen.

Die Wiederentdeckung des solaren Bauens in den 70er- und 80er-Jahren stand unter anderen Vorzeichen als die Experimente der ersten Jahrhunderthälfte: Ihre Triebkräfte waren nicht mehr vorrangig ökonomischer und ingenieurtechnischer Natur, sondern mit einem Wandel des Weltbildes verbunden. Die fortschreitende Vergiftung der Umwelt, die Ölkrise von 1973 und der allmähliche Anstieg der Arbeitslosenzahlen erschütterten den Glauben in ungebremstes Wachstum und immerwährenden technischen Fortschritt.

Gemeinsam mit der noch immer realen Gefahr eines Nuklearkriegs ergaben sie ein Bedrohungsszenario, dem viele Zeitgenossen durch einen neuen Eskapismus zu entfliehen suchten. Die Arche Noah wurde zum neuen Leitbild – auch in der Architektur. Den künstlichen Kapselwelten von Archigram, Haus-Rucker-Co. und anderen setzten die ersten „Öko-Architekten“ der 70er-Jahre ihre eigene Vorstellung von Überlebenskapseln entgegen – eine, in der nicht nur der Mensch, sondern buchstäblich die gesamte Schöpfung Platz finden sollte.
Nebenbei bemerkt: Viel später scheiterte diese Idee in Form der „Biosphere 2“ spektakulär. Der autarke Glasbau war in der Wüste von Arizona errichtet worden, um die Energie- und Stoffkreisläufe zwischen Mensch und Umwelt im kleinen Maßstab nachzubilden. Die Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt sollten später für eine Besiedlung ferner Planeten genutzt werden. Doch es gelang nie, ein lebensfähiges Gleichgewicht zwischen den im Glashaus lebenden Arten herzustellen.

Buckminster Fullers Vision einer Glaskuppel über Manhattan

"Biosphere 2" in Oracle/Arizona (1987-1991)

Wohnen im Gewächshaus oder im Erdhügel, so lauteten zwei der Leitbilder, die in den oft noch experimentellen Solar- und Ökobauten der 70er-Jahre ihren Widerhall fanden. Das Ziel der Energieeffizienz ging in einer übergeordneten Vision der Einbettung des Menschen und seiner Behausung in die Kreisläufe der Natur auf. Dazu gehörten die Forderungen nach geringstmöglichen Emissionen und gesunden Baumaterialien sowie eine formale Verschmelzung von Architektur und Natur.

Doch auch die zeitgenössischen, eher ingenieurtechnischen Lösungsversuche für ein solarenergetisch optimiertes Bauen haben ihre Wurzeln in den 70er-Jahren. Eine der ersten Architekturzeitschriften, die sich mit dem Thema „Solares Bauen“ befasste, war die französische L´Architecture d´aujourdhui in ihrer Ausgabe vom September 1977. „Quelle architecture solaire“ – welche Solararchitektur? – fragte die Redaktion auf der Titelseite der Zeitschrift und unterschied in ihren Beiträgen drei konzeptionelle Ansätze des solaren Bauens. Erstens die „Solarisierung“ herkömmlicher Bauformen des Industriezeitalters – allen voran des frei stehenden Einfamilienhauses – durch Solarkollektoren, wie diese in den USA der 30er und 40er Jahre üblich gewesen war. Zweitens die „bioklimatische“ Herangehensweise, bei der ganze Gebäude durch Ausrichtung zur Sonne, große Glasflächen oder Kollektoren auf der Südseite, fensterarme und gut gedämmte Nordseiten und Nutzung der inneren Speichermassen solar optimiert wurden. Und drittens den Ansatz einer radikal „energieautarken“ Architektur, die seinerzeit noch ganz in den Anfängen steckte.

Titelseite der September-Ausgabe 1977 von "L´Architecture d´aujourd´hui". (Das Titelbild zeigt den Entwurf eines solar betriebenen Krematoriums von Frederick Fisher)

Interessant ist die Definition des Begriffs „solares Bauen“, den L´Architecture d´aujourdhui verwendet: „Gebäude, die insbesondere – aber nicht ausschließlich – Solarenergie zu ihrer Beheizung, Klimatisierung und/oder Belüftung verwenden“. Über Photovoltaik findet sich im ganzen Heft (noch) kaum ein Wort – mit Ausnahme eines visionären Projekts von Emilio Ambasz für das Informatikzentrum „Las Promesas“ in Mexiko City. Das Areal sollte nach Süden hin durch eine geneigte, gigantische (28 m hohe und 150 m lange) Wand abgeschlossen werden, in die Photovoltaikzellen integriert werden sollten.

Architekt: Emilio Ambasz

Entwurf für das Informatikzentrum "Las Promesas" in Mexiko City (Modellaufnahme)

Drei von vielen realisierten Beispielen der Solararchitektur jener Jahre verdienen an dieser Stelle eine nähere Betrachtung: Schon 1967 errichtete Jacques Michel im französischen Odeillo in den Pyrenäen zwei solare Versuchshäuser, bei denen fast die gesamte Südfront als „Trombe-Wände“ ausgeführt war. Diese Form des solaren Luftkollektors, bei dem eine Glasscheibe vor einer dunkel gestrichenen Südwand mit hoher Speichermasse angeordnet wird, hatte der Amerikaner Edward Morse schon 1881 patentieren lassen. Populär gemacht wurde sie jedoch erst ab 1964 durch den französischen Ingenieur Félix Trombe – und eben durch Jacques Michel.

Wohnhaus in Odeillo/Frankreich (1967) (Architekt: Jacques Michel)

Formal verwandt, aber auf einem völlig anderen Funktionsprinzip aufgebaut ist das „Sunscoop“-Haus in Santa Fe von David Wright (1974). Hier dient die gesamte verglaste Südfront der direkten Gewinnung von Sonnenwärme für die Innenräume. Als thermischer Speicher dienen die massiven Wände und Zwischendecken des Gebäudes. Nachts wird die Südfassade durch große, gedämmte Faltläden verschlossen und das Haus so vor Auskühlen geschützt. Zum gleichen Zweck dienen die gut gedämmten Außenwände im Westen, Norden und Osten. Eine im Freigelände vor dem Haus angebrachte Solaranlage versorgt das Gebäude mit Warmwasser.

"Sunscoop"-Wohnhaus in Santa Fe/USA (1974) (Architekt: David Wright)

Ein frühes Beispiel der auf Autonomie zielenden Solararchitektur war das „Zero Energy House“, das drei Institute der Dänischen Technischen Universität 1976 in Lyngby bei Kopenhagen errichteten. Zwei je 60 m2 große, aus 30-40 cm starken gedämmten Sandwichpaneelen errichtete Gebäudehälften sind durch ein großes, verglastes Atrium miteinander verbunden. In dessen vertikaler Südfront erzeugen 42 m2 thermische Solarkollektoren Warmwasser für das Gebäude. Letzteres wird bei einer Temperatur von 43 °C in einem 30 Kubikmeter großen unterirdischen Tank gespeichert. Sowohl die Abluft als auch das Abwasser sind an eine Wärmepumpe angebunden, die die Abwärme zur Beheizung des Gebäudes nutzt. Ganz „zero energy“ war dieses Haus jedoch bei weitem nicht: Im ersten Betriebsjahr wurden 730 kWh Energie für den Betrieb der Wärmepumpe und der Belüftung gebraucht. Verglichen mit einer damals üblichen Beheizung via Gas oder Kohle bedeutete das immerhin eine Energieeinsparung von rund 60 Prozent.

"Zero Energy House" in Lyngby/Dänemark (1976) (Architekt: Institut für Baukonstruktion der Dänischen Technischen Universität, Knud Peter Harboe)

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