28.04.2014 Jakob Schoof

Enzyklopädie einer Bewegung: Ausstellung „Behind the Green Door“ in Kopenhagen

Das Dänische Architekturzentrum (DAC) zeigt eine ebenso unterhaltsame wie nachdenklich stimmende Bestandsaufnahme des nachhaltigen Bauens anhand von 600 Objekten. Auf die Frage, was Nachhaltigkeit in der Architektur eigentlich bedeutet, kann und will aber auch die Ausstellung keine Antwort geben.

Ort: Dansk Arkitekturcentrum (DAC), Strandgade 27B, Kopenhagen
Termin: bis 25. Mai 2014

Foto: Jakob Schoof

Man darf unterstellen, dass den Ausstellungskuratoren die Doppelbödigkeit ihres Titels bewusst war: Wer bei Google die Worte „Behind the Green Door“ eingibt, erhält erst einmal keinerlei Hinweise auf eine Architekturausstellung, aber allerlei Links zu einem Pornofilm aus den frühen 70er-Jahren. Mit seiner gleichnamigen Mammutschau strebt das belgische Designer- und Architektenkollektiv Rotor jedoch das genaue Gegenteil jener Projektpornografie an, die heutzutage in vielen Internetmedien im Bereich der Architektur betrieben wird – immer auf der Suche nach den neuesten, aufsehenerregendsten Bildern, während Inhalte oft Nebensache sind.

Vielmehr geht es ihnen darum, „anhand von 600 Objekten einen kritischen Blick auf die nachhaltige Architektur zu werfen“. Das verrät zumindest der Untertitel der Ausstellung (die ursprünglich für die Osloer Architekturtriennale 2013 entwickelt wurde) und des gleichnamigen Katalogs. Die Fülle der Ausstellungsobjekte ist ebenso überwältigend wie unterhaltsam– und regt immer wieder dazu an, den inflationären Gebrauch des Begriffs „Nachhaltigkeit“ kritisch zu hinterfragen. Der gesellschaftliche Kontext spielt in dieser Ausstellung eine zentrale Rolle, weshalb die Ausstellungsstücke Architekturmodelle, Mock-Ups und Materialproben ebenso umfassen wie Skizzen und Fotos, Werbeanzeigen, Zeitungsausschnitte und Videofilme.

Foto: Jakob Schoof

Die Beschäftigung mit Objekten und ihrem Gebrauch gehört gleichsam zur DNA der 2004 gegründeten Gruppe Rotor. Vor vier Jahren „bespielte“ sie den belgischen Pavillon bei der Architekturbiennale in Venedig mit wandfüllenden, abstrakten Kunstwerken, die sich beim näheren Hinsehen als gebrauchte Bodenbeläge, Wandverkleidungen und andere Baumaterialien aus belgischen Wohn- und Verwaltungsgebäuden entpuppten. Diese hintersinnige Beschäftigung mit dem Nachhaltigkeitsaspekt findet bei „Behind the Green Door“ nun ihre potenzierte Fortsetzung.

Foto: Jakob Schoof

Eine kurze Geschichte der Nachhaltigkeitsbewegung…
Die Ausstellung ist jedoch keine bloße Objektschau, sondern auch ein – recht skizzenhaftes – Stück Geschichtsschreibung. Als Startpunkte für den Ausstellungsrundgang wählten die Kuratoren zwei wegweisende, doch höchst unterschiedliche Publikationen: den „Whole Earth Catalog“ – eine 1968-1972 von Stewart Brand in Kalifornien herausgegebene Zeitschrift für alternative Subkulturen – und den Brundtland-Report der UNO von 1987. Letzterer enthielt die erste umfassende (Neu-)Definition des Begriffs „Nachhaltigkeit“ für das globalisierte 21. Jahrhundert: Die Bedürfnisse heutiger Generationen befriedigen, ohne die Lebensbedingungen kommender Generationen zu gefährden. Wie die Ausstellungsmacher jedoch anmerken, war es gerade die Interpretationsoffenheit dieser Definition, die dem inflationären Ge- und Missbrauch des Nachhaltigkeitsbegriffs Tür und Tor öffnete: Was sind eigentlich unsere heutigen Bedürfnisse? Und wie können wir uns anmaßen, jene künftiger Generationen ermessen zu wollen?

Letztlich handelt es sich bei „Behind the Green Door“ also nicht um eine Sammlung von 600 Objekten, die die Kuratoren für besonders nachhaltig halten – im Gegenteil: Viele Ausstellungsstücke werfen ein überaus kritisches Schlaglicht auf die heutige Marketingmaschinerie, für die „Nachhaltigkeit“ eine ebenso inhaltsleere Worthülse geworden ist wie „Qualität“, „Frische“ oder „Erlebnis“. Das Auswahlkriterium war vielmehr, dass jemand all diese Ausstellungsstücke für nachhaltig hält oder gehalten hat und diese Meinung offensiv vertritt. Um Querbezüge herzustellen und Widersprüche aufzudecken, haben die Kuratoren einen Teil der Ausstellungsobjekte nach Themen (wie „Performance“, „Natur“ oder „Abfall“) gruppiert. Im begleitenden, sehr empfehlenswerten Ausstellungskatalog waren überdies alle Entwerfer und Firmen, deren Objekte in „Behind The Green Door“ zu sehen sind, aufgefordert, lobende oder kritische Statements zu anderen Ausstellungsobjekten abzugeben.

Foto: Jakob Schoof

...und eine Anthologie des Scheiterns
Diese zweite, überaus reizvolle Diskussions- und Reflexionsebene bleibt den Ausstellungsbesuchern ohne Katalog leider verborgen. Doch auch so hält „Behind the Green Door“ mehr als genug Stoff zum Nachdenken bereit. Man sieht gescheiterte Ideen der Vergangenheit (wie etwa das Riesen-Gewächshaus „Biosphere II“ in der Wüste von Arizona) und absehbar scheiternde Zukunftsvorhaben (so den Plan für ein neues, welthöchstes Hochhaus in der chinesischen Provinz). Man wird Zeuge einer Vielfalt gesellschaftlicher Bewegungen (von den ersten „Earth-Day“-Protesten Anfang der 70er-Jahre bis zur heutigen „Transition Towns“-Bewegung) und wird immer wieder kritisch mit den Erzeugnissen der Bauindustrie konfrontiert. Die deutsche Diskussion pro und kontra WDVS bleibt dabei ebenso wenig ausgeklammert wie die kritische Beschäftigung mit dem amerikanischen LEED-System (gezeigt werden unter anderem der erste Flughafen, das erste Parkhaus und die erste Tankstelle mit LEED-Zertifikat).

Foto: Jakob Schoof

Trotz allem: Nachhaltigkeit als Erfolgskonzept
Ist die nachhaltige Architektur nun also im Stadium endgültiger Beliebigkeit angekommen? Oder, vielmehr: Ist sie diesem jemals entronnen? So pessimistisch möchte es Lionel Devlieger von Rotor dann doch nicht sehen. Er gewinnt dem Konzept nach wie vor etwas Positives ab: „Nachhaltigkeit hat in den vergangenen Jahrzehnten praktisch den gesamten gesellschaftlichen und politischen Diskurs unterwandert. Sie ist aus unserer heutigen Gesellschaft einfach nicht mehr fortzudenken“. Dabei, so Devlieger, werde allerdings oft der nach wie vor kontroverse Charakter dieses Konzepts vergessen. Eben diesen möchte die Ausstellung unterstreichen – frei nach dem Motto: Nur solange um den richtigen Weg noch gestritten wird, hat die Menschheit eine Chance ihn auch zu finden. Ferner, so Devliegers Kollege Maarten Gielen im Ausstellungskatalog, seien bei dieser Auseinandersetzung vor allem die Architekten und Designer gefragt. Wer, wenn nicht sie, sind in der Lage, den Menschen das abstrakte Konzept „Nachhaltigkeit“ auf ständig neue Weise greifbar vor Augen zu führen?
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