30.05.2014 Bettina Sigmund

Fluiddurchströmte Glasfassadenelemente zur Energietransmissionskontrolle

Gläserne Wolkenkratzerwelten entstehen derzeit nicht nur in den Megametropolen wie Dubai oder Abu Dhabi, nahezu in jeder größeren Stadt wachsen Bürobauten als Glastürme in den Himmel. Dabei sind die transparenten Gebäudehüllen in den seltensten Fällen die energetisch sinnvollste Lösung für den jeweiligen Standort, so dass für den entsprechenden Wärme- und Sonnenschutz aufwendige Konstruktionen erforderlich sind. Einen interessanten Ansatz, Glasfassaden energieeffizienter zu gestalten und zugleich solare Gewinne zu nutzen, liefert das aktuelle EU-Forschungsprojekt „Fluidglass“ (finanziert durch die Europäische Kommission innerhalb des siebten Rahmenprogramms "Grant Agreement No. 608509"), die Entwicklung von flüssigkeitsdurchströmten Glasfassadenelementen. Den derzeitigen Stand, des von 2013 bis 2017, geförderten Projekts stellte Jochen Stopper, Projektleiter für die Arbeitsbereiche der Technischen Universität München, vom Zentrum für nachhaltiges Bauen vor.

Bildrechte: Interstaatliche Hochschule für Technik Buchs (CH)

Bereits seit Anfang der 1970-Jahre wird an flüssigkeitsdurchströmten Glaselementen geforscht, praxistaugliche Ergebnisse sind jedoch erst seit wenigen Jahren zu verzeichnen. Dabei folgt der Aufbau von Fluidgläsern einem einfachen Prinzip. In einem geschlossenen Kreislauf zirkuliert eine transparente Flüssigkeit zwischen verschiedenen Glasebenen. Eine Weiterentwicklung stellt das von Jochen Stopper präsentierte System des länderübergreifenden Forschungsprojekts dar. Hier werden zwei flüssigkeitsführende und thermisch voneinder isolierte Schichten mit getrennten Kreisläufen jeweils durch den außen- bzw. innenliegenden Scheibenzwischenraum geführt. Über einen Wärmetauscher erfolgt der Anschluss an die Haustechnik. Das als Fluidmedium gewählte Wasser kann ein- und entfärbt werden, um die solare Absortion bzw. den Sonnenschutz zu erhöhen. Je nach Jahreszeit kann das Fluidsystem zur Kühlung oder Heizung eingesetzt werden. So wird im Winter entsprechend vorgeheiztes Wasser eingeleitet, während an heißen Sommertagen das Fluidmedium als Kühlmittel fungiert. Die dabei aufgenommene Energie kann über den Wärmetauscher weitergeführt und genutzt werden.

Fluidglaskonzept Situation Sommer

Fluidglaskonzept Situation Winter; Bildrechte: Jochen Stopper (Abb. links); Universität Liechtenstein (Abb. rechts)

Der vorgestellte Prototyp des Forschungsprojekts besteht aus fünf ESG-Scheiben. Außen und innen befinden sich jeweils zwei fluiddurchströmte Scheiben. Der Raum zwischen den beiden Fluidschichten wird durch eine weitere ESG-Scheibe zu zwei Kammern mit einer Gasfüllung aus Krypton geteilt. Um Abstrahlungen zu verhindern, sind jeweils die zum Zwischenraum orientieren Scheiben der Fluischichten mit einer Beschichtung versehen. Der Aufbau besitzt einen U-Wert von 0,4 W/(m²·K). „Das Soll“, erläutert Jochen Stopper,“ muss unter 0,5 W/(m²·K) liegen, da sonst der Energieaustausch von innen nach außen zu groß werden würde.“ Momentan wird mit dieser Anordnung eine Systemstärke von 6 cm erreicht, die durch den Einsatz von Vakuumisoliergläsern (VIG) laut Stopper halbiert werden könne, so dass die Elemente mit handelsüblichen Fassadensystemen kompatibel werden.

Bildrechte: Heinrich Kleeberger (Foto links), Interstaatliche Hochschule für Technik Buchs (CH)(Abb. rechts)

Hochhäuser mit ihren Ganzglasfassaden bieten sich als Einsatzort besonders an. Sie besitzen in der Regel einen hohen Glasflächenanteil und sind vor Aufheizung oder Wärmeverlust zu schützen. Der Einsatz außenliegender Verschattungselemente ist aufgrund hoher Windlasten ebenso ungünstig wie der Nutzflächenverlust von Doppelfassaden. Neben dem Glasflächenanteil entscheidet auch der Standort über die Energieeffizienz und die richtigen Systemkomponenten der Fluidfassade. In ersten Simulationen wurde der Einsatz von Fluidglas in einem Musterbüro mit raumhoher Verglasung an zwei unterschiedlichen Orten untersucht: München und Dubai. In den Simulationen wurde das Fluidsystem mit und ohne Einfärbung mit einer herkömmlichen Sonnenschutzverglasung verglichen. Als Ergebnis zeigte sich eine kleine Überraschung: unabhängig vom Standort führt eine Nutzung von Fluidgläsern ohne Einfärbung im Vergleich zur Sonnenschutzverglasung zu einem höheren Energiebedarf. Erst mit dem Einfärben des Fluids und damit der Verringerung der Strahlungstransmission in den Raum reduziert sich der Energieverbrauch in München um mehr als 20 Prozent und sogar über 40 Prozent in Dubai.

Simulation Ergebnisse München

Simulation Ergebnisse Dubai, Bildrechte beide: Jochen Stopper

Die Simulation zeigt, wie vielversprechend das neue Fassadensystem sein kann. Dabei sind die Möglichkeiten des Systems laut Stopper noch lange nicht ausgereizt. Momentan wird an dem perfekten Fluid, optimierten Verglasungen sowie Einfärbemethoden gearbeitet. Weitere Entwicklungsfelder betreffen die Einbindung der Fluidglaskomponenten in die Fassaden- und Haustechnik sowie die Betrachtung von Lebenszyklus und Kosten des neuen Systems. Bis 2016 wird ein Fluidglas-Testcontainer erstellt, in dem optimierte Prototypen zum Einsatz kommen. Neue Ergebnisse werden dann nicht nur aus München und Dubai gewonnen, sondern an den unterschiedlichsten europäischen Standorten erwartet. Weitere Informationen finden Sie hier Vortrag von Jochen Stopper, Zentrum für nachhaltiges Bauen, TU München, im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Die Zukunft des Bauens“ von Detail research und der Forschungsinitiative Zukunft Bau des BMUB und BBSR am 13. März 2014 an der Universität Stuttgart zum Thema „Energieeffizientes Bauen“.
Zur Person
Jochen Stopper ist freiberuflicher Architekt und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für nachhaltiges Bauen und am Lehrstuhl für energieeffizientes und nachhaltiges Planen und Bauen (Prof. Dr.-Ing. Werner Lang) der TU München. Er arbeitet seit 2007 am Forschungsprojekt "Fluiddurchströmte Glasfassadenelemente zur aktiven Energietransmissionskontrolle". Nach dem Architekturstudium in Stuttgart und New York war er als Architekt in Stuttgart und als Leiter Produktion, Forschung und Entwicklung der GlassX AG in Zürich tätig. Im Jahr 2006 startete er seine wissenschaftlicher Laufbahn an der Universität Liechtenstein und wechselte 2010 an die TU München. Er promoviert über flüssigkeitsdurchströmte Glasfassaden.

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