Gebäude, die Wissen vermehren

„First we shape the buildings, and afterwards the buildings shape us”, spielte 1943 Winston Churchill auf die Wirkung von Architektur auf den Menschen an: Dessen Befinden, wenn er ein Gebäude betritt, seine Gefühle beim Aufenthalt in den Räumen, seine Motivation produktiv zu sein – all das wird von der Gebäudegestalt beeinflusst. Nehmen wir den traditionellen Büroflur – lang, ohne Tageslicht, mit Einzelparzellen rechts und links, Türen geschlossen: Einmal gebaut, beherbergt er Menschen, die hier arbeiten. Doch wie arbeiten sie? Jeder für sich, wahrscheinlich. Direkte Kommunikation ist schwierig, echte Interaktion gar unmöglich. Was für hierarchisch strukturierte Unternehmen mit ihrem arbeitsteiligem Workflow einst vernünftig gewesen sein mag, verhindert heute das, was für Innovation nötig ist: Face-to-Face-Kommunikation! Fachbeitrag von Thomas Habscheid-Führer, Carpus+Partner AG

Firmensitz Carpus+Partner (Foto: Jörg Stanzick)

Um marktreife Innovationen zu entwickeln, ist der unmittelbare soziale Austausch der mit Abstand erfolgreichste Weg; Wissen ist der erste Rohstoff, der sich bei Gebrauch vermehrt! Das Klischee des genialen Forschers, der in Klausur die nächste „One-Billion-Dollar“-Idee entwickelt, ist passé. Stattdessen erleben wir einen Paradigmenwechsel in der Unternehmensphilosophie, durch den die Gestaltung von Wissens- und Innovationsprozessen zunehmend zur zentralen Aufgabe der Unternehmensarchitektur wird – diese wird mehr und mehr zur „Kommunikationsarchitektur“. Architektur ist eindeutig mehr als Fassadengestaltung, prominentes Beispiel ist der Kölner Dom. Von außen markantes Wahrzeichen der Metropole am Rhein, entfaltet er erst drinnen seine transzendente Wirkung auf die Besucher. Auf den Unternehmenskontext übertragen: Architektur hat neben einer repräsentativen Gebäudehülle vor allem die Aufgabe, innen im Gebäude den scheinbaren Widerspruch zwischen technologischen Anforderungen, berechtigten Rufen nach Ruhe, Konzentration und Kontemplation und den Ansprüchen an eine produktive, kommunikative Arbeitsumgebung zu lösen. Auch sollte eine Unternehmensimmobilie außen wie innen ein Abbild der Unternehmenskultur sein. Genauso wie Arbeitsumgebung und kollegiales Umfeld, ist diese Kultur entscheidend für eine Atmosphäre, in der Menschen begeistert zusammenarbeiten. Ein eher hierarchisch geprägtes Unternehmen verlangt ein anderes Beziehungsmanagement als ein eher kooperatives Unternehmensmodell, flach organisierte Projektgruppen eine andere Raumumgebung als chaotisch organisierte Innovationsteams.

Firmensitz Carpus+Partner (Foto: Jörg Stanzick)

Prozessorientierte Methodik, Change Management, Sinnstiftung
Daher darf es bei der Planung eines Neubaus oder bei der Optimierung im Gebäudebestand keine willkürliche Setzung der Architekten à la „Wir bauen ein Open-Space-Büro“ geben. Nein, hier gilt es, in einem gemeinsamen Prozess den Status quo zu analysieren, Wünsche und Ideen zu diskutieren sowie visionär querzudenken, um künftige Bedürfnisse zu antizipieren, damit nicht Bestehendes fortgeschrieben, sondern sich in einem Try-and-Error-Verfahren dem tatsächlichen Optimum angenähert wird. Solche Systemveränderungen brauchen auch Impulse von außen; ein interdisziplinäres Beraterteam aus Organisationsentwicklern, Prozessarchitekten und Change-Managern kann hier wertvolle Reize setzen. Der heutige Mitarbeiter möchte sich einbringen. Bevor mit dem Bau begonnen wird, ist es also notwendig, mit einer prozessorientierten Methodik alle Mitarbeiter in die Planung einzubeziehen. Dabei ist ein Ineinandergreifen von „Co-Design“, „Change Management“ und „Corporate Architecture“ unerlässlich. Co-Design meint die strategische Gebäudeplanung über Workshops, in denen Arbeitsprozesse unterschiedlicher Bereiche zueinander in Beziehung gesetzt werden. So entsteht eine Matrix, in der einzelne Abläufe vernetzt abgebildet sind. Darin enthalten sind auch die Bedürfnisse der Mitarbeiter: in Phasen des konzentrierten Nachdenkens ebenso wie in Phasen des Austauschs, der Teamarbeit oder der Entspannung. Diese Matrix architektonisch umzusetzen, bedeutet auch, dass sich die Abläufe im Unternehmen ändern werden: Wer baut, verändert. Daher ist ein Change Management wichtig. Die Veränderung, die ein Bauprojekt mit sich bringt, muss von den Menschen getragen und gelebt werden, damit sie sich positiv auswirkt. So gilt: Wer Menschen früh einbindet, macht sie zu Beteiligten. Dabei werden Potenziale aufgedeckt, die wertvolle Schlüsse erlauben, wie der gewünschte Wandel optimal erzielt werden kann. Die bauliche Veränderung geht dann mit einer Weiterentwicklung der Unternehmenskultur einher – abgebildet in einer Corporate Architecture, die nicht nur im Sinne des Marketings nach außen tritt, sondern vor allem nach innen kultur- und identitätsstiftend wirkt.
Generation Y, abendländische Stadtstruktur, Möglichkeitsräume
Der sinnstiftende Effekt guter Corporate Architecture ist sogar von essenzieller Bedeutung, wenn man an die Mitarbeiter von morgen denkt. Wer sich mit der „Generation Y“ – aus dieser kommen die High Potentials des nächsten Jahrzehnts – auseinandersetzt, sieht sich einem Wertewandel gegenüber, den die jungen Menschen bald in die Berufswelt einbringen – und einfordern. Die Generation Y arbeitet lieber in Teams als in Hierarchien. Sinn und Freude an der Arbeit gewinnen gegenüber Geld und Prestige an Bedeutung, Glück wird nicht mehr nach der Arbeit, sondern schon währenddessen gesucht. Die „Work-Life-Balance“ – der Ausgleich zwischen Familie, Beruf und Freizeit – rückt noch mehr in den Mittelpunkt. Auch das sollte baulich gespiegelt werden – Betriebskitas, Kinderbetreuungsräume, Fitness- und Erholungsbereiche sowie Lounges und Cafés seien als mögliche Beispiele genannt. Ein Gebäude, das all diese Bedürfnisse kongenial vernetzt, scheint zunächst schwer vorstellbar: Unternehmenskultur will abgebildet, Sinn gestiftet werden; die Produktion muss laufen; Interaktion, Konzentration, Erholung wollen ermöglicht werden; Laufwege sollen kurz und Blickachsen zahlreich sein. Vorbild für eine gelungene Vernetzung ist die abendländische Stadt, die in ihrer ringförmigen Struktur seit dem Mittelalter unterschiedliche Funktionen – wie Wohnen, Arbeiten, Kommunizieren, Handeln und Erholen in wissensfördernder Weise kombiniert. Eine Bauweise, die diese Idee individuell adaptiert, ist von Transparenz und Offenheit geprägt und fördert die Begegnung, den Austausch, eine positive Atmosphäre und so schließlich die Entstehung neuen Wissens. Sie bildet einen „Möglichkeitsraum“: einen Raum, der Innovation dank Interaktion ermöglicht – und Wirklichkeit werden lässt; ein Gebäude das Wissen vermehrt – und das Unternehmen erfolgreicher macht.

Firmensitz Quiagen (Foto: Carpus+Partner / Jörg Stanzick)

Qiagen, Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, C+P Werkstatt
Für das Biotechnologie-Unternehmen Qiagen wurde mit dieser Vision ein neuer Produktions- und Forschungscampus realisiert, der auch als Europazentrale und operatives Hauptquartier genutzt wird. Zwischen den Laboren und Produktionsanlagen entfaltet sich ein „Marktplatz“, dessen reges Treiben eher an eine urbane Situation in europäischen Innenstädten erinnert als an eine biotechnologische Produktionsstätte. Die moderne Kommunikationsarchitektur macht viele räumliche Angebote und fördert so die Entstehung von neuem Wissen. Sie ermöglicht gleichzeitig Offenheit und Kontemplation, freie Wahrnehmung und konzentrierte Einzelarbeit, Erholung sowie informellen Austausch und reguläre Besprechungen. Auch im 2014 erstellten Forschungsbau des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung bietet der Innenhof wie ein städtischer Marktplatz als Gebäudemittelpunkt viel Platz für Pausen und Gespräche, um den sich die übrigen Bereiche ringförmig ausbreiten. Der zweigeschossige Sockelbau ist Hauptsitz der wissenschaftlichen Einheiten. In Reinräumen, Laboren, Forschungsflächen, Werkstätten sowie einem Rechenzentrum arbeiten unterschiedliche Professionen neben- und miteinander. Darüber schwebt ein dreigeschossiger Riegel, in dem Büros, Wohnungen und eine Kindertagesstätte mit Außenbereich angesiedelt sind. Zentraler Anlaufpunkt für alle ist die Cafeteria direkt am Innenhof, in der ein buntes Treiben aus arbeitenden Experten und privatem Umfeld herrscht. Der Aachener Firmensitz des Ingenieurbüros Carpus+Partner, die C+P Werkstatt, wurde 2011 mit einer innovativen Gebäudestruktur fertiggestellt: Herzstück des Gesamtkomplexes ist das Atrium in der Gebäudemitte. Hierum ordnen sich alle Arbeitsbereiche halbversetzt an. Offen gehaltene Räume verzichten fast gänzlich auf Wände und ermöglichen so einen intensiven Austausch. Der ausgeklügelte Schallschutz dämpft dabei Geräusche für eine ungestörte Arbeitsatmosphäre. Zudem bieten Werk-, Denk- und Besprechungsräume ausreichend Möglichkeiten für Workshops und vertrauliche Gespräche. Wassertheken mit Stehtischen sowie Lounge-Ecken auf allen Büro-Ebenen laden zu informellen Treffen ein.

Forschungsbau Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (Foto: Carpus+Partner / Jörg Stanzick)

Wissen ist etwas anderes als eine Sammlung von Daten und mehr als Informationen. Wissen entsteht erst dort, wo Menschen sich – gezielt oder informell – vernetzen und austauschen. Die direkte Interaktion, der Face-to-Face-Dialog ist der Schlüssel dazu – und damit auch zur Innovation. Es bedarf also eines entsprechenden fördernden Umfelds: einer Unternehmensimmobilie, die die Kommunikation auf vielfältige Weise ermöglicht; eines Gebäudekonzepts, das Möglichkeitsräume schafft. Intelligente Kommunikationsarchitektur belebt den Prozess dieser Wissensgenese, wirkt kultur- und identitätsstiftend und begeistert die Menschen, die dort arbeiten. Weitere Informationen finden Sie hier
Zur Person
Thomas Habscheid-Führer ist Partner der Carpus+Partner AG und leitet unternehmensweit den Bereich Architektur. Mit der Mission „Wir entwickeln Gebäude, die Wissen vermehren – für eine hoffnungsvolle Zukunft“ plant und realisiert das Ingenieur- und Architekturbüro mit über 200 Mitarbeitern an drei Standorten Labore, Produktionsstätten und Büros für die Hightech- und Pharmaindustrie sowie Forschungsgebäude und Hochschulinstitute.

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