09.03.2009

Gespräch mit Tarald Lundevall

Detail: An einem sonnigen Tag nutzen sehr viele Menschen das Dach als Park, in dem sie spazieren gehen. War es die Grundidee des Entwurfs, mit dem Operngebäude einen neuen öffentlichen Raum zu schaffen?
Tarald Lundevall: Ja. In der Wettbewerbsauslobung wurde vorgegeben, dass die neue Oper repräsentativ, sogar monumental sein sollte. Über Monumentalität wird selten ernsthaft gesprochen. Wir haben lange diskutiert, wie man Monumentalität ausdrücken kann. Es gibt die skandinavische Vorstellung großer öffentlicher Bereiche, die frei zugänglich sind - wie unsere Natur, die jedem gehört. So begannen wir den Entwurf mit einem relativ flachen Gebäude im Kontrast zu den Hochhäusern, die hier in den kommenden Jahren entstehen werden. Wir wollten eine neue Art von großzügigem, öffentlichem, gemeinschaftlichem Raum schaffen und den Menschen das vorher brachliegende Gebiet zurückgeben. Wir erwarteten, dass so ein interessanter Platz entstehen würde und wir hofften, dass er funktionieren würde. Mit den Künstlern unseres Teams diskutierten wir lange, ob man Installationen oder Kunstobjekte auf dieser riesigen, 18000 qm großen Fläche vorsehen sollte. Oder sollten wir Bänke und Kinderschaukeln aufstellen, ähnlich wie bei öffentlichen Plätzen? Doch das hätte die Form des Gebäudes verunklärt. Stattdessen sollte eine interessante Oberfläche dem Auge Impulse bieten. Das Dach sollte eine Plattform bilden, einen neuen Aussichtspunkt auf Stadt, Fjordlandschaft und Inseln. Wenn man vom Wasser den ganzen Weg bis nach oben spaziert, erlebt man eine Reihe räumlicher Verknüpfungen beim Blick in oder durch das Gebäude. Diese Erfahrungen sollten so interessant sein, dass sie für sich wirken. Unsere Absicht war, einen nicht kommerziellen offenen Bereich zu schaffen, wo jeder machen kann, was er möchte. Es ist fantastisch, wie dies nun angenommen wird. Bislang haben 800 000 Leute das Dach besichtigt, was für eine kleine Stadt wie Oslo sehr viel ist. Jeden Tag gibt es hier auch eine Tai-Chi-Gruppe und vieles andere mehr.


Detail: Im Gegensatz zu vielen Theaterbauten, die nur während der Veranstaltungen geöffnet sind, ist das Foyer mit Shop und Restaurant auch tagsüber ein für alle zugänglicher Bereich. War das im Programm gefordert?

Tarald Lundevall: Das Raumprogramm wurde bereits in den 90er-Jahren erstellt. Doch ist die Nutzung des Gebäudes nun ein bisschen anders, als wir es erwartet haben, und das Foyer mit der Gastronomie ist den ganzen Tag geöffnet. Diejenigen, die das Raumprogramm festlegen, dachten noch sehr traditionell: da kommen Herr und Frau X. am späten Nachmittag in Abendgarderobe, bleiben einige Stunden im Gebäude, und nachdem sie gegangen sind, wird das Haus zugesperrt. Stattdessen hat die Opernhausleitung beschlossen, andere Wege zu gehen, und dies hat sich als etwas problematisch herausgestellt, weil die Betreiber der Gastronomie hohe Umsatzerwartungen haben und – unserer Ansicht nach – ihre Bereiche mit Kuchentheken, Tassenablagen etc. überladen.
Für so viele Besucher hatten wir das Haus ursprünglich nicht geplant. Auch war der Shop anfänglich viel kleiner vorgesehen, und jetzt denkt man daran, ihn stark zu vergrößern. Auch die Cafébar soll etwas verändert werden. Aber natürlich ist es fantastisch, dass so viele Besucher hierher kommen, etwas über Architektur erfahren und angeregt werden. Auch die Teilnehmerzahl der geführten Rundgänge durch das Haus wächst ständig. Ähnlich war es schon bei unserem Projekt der Bibliothek in Alexandria: Sie ist zu einem Magnet für Touristen geworden, doch war das Gebäude nicht dafür konzipiert. in Zusammenarbeit mit den Nutzern entwickelten wir dann eine darauf abgestimmte neue Eingangssituation.

Detail: Diese Art der zusätzlichen Funktionen ist relativ neu. In traditionellen Opernhäusern findet man kaum einen Shop oder ein Café.
Tarald Lundevall: Ich habe eine Vielzahl neuer Opernhäuser besucht, und heute findet sich fast überall ein Café oder ein Shop. Aber ich würde sagen, dass die weitreichenden und sehr hochgesteckten kommerziellen Erwartungen, die die Opernhausleitung hier anvisiert, relativ neu sind, etwas überraschend und gewisse Herausforderungen mit sich bringen. Aber dies hilft, die Oper zu öffnen, zu zeigen, dass sie keine allzu exklusive Angelegenheit ist. Und viele sehen sich plötzlich zum ersten Mal eine Ballett- oder Opernaufführung an. Diejenigen, die vorher noch nie in der Oper waren, gehen nun hin, und das ist schön.

Foto: Claudia Fuchs


Detail: Gibt es ein Gebäude, das Sie für das Osloer Projekt inspiriert hat? Beziehen Sie sich auf eine bestimmte Form des Zuschauerraums oder der Bühne?

Tarald Lundevall: Hinsichtlich der Größe und des hufeisenförmigen Grundrisses war der Zuschauerraum der Semper-Oper in der Ausschreibung als grundlegendes Konzept vorgegeben. Kein anderer Theaterraum oder anderes Gebäude war so wichtig. Aber wenn man als Architekt für ein Projekt wie dieses viel reist und eine große Anzahl von Gebäuden analysiert, sieht man sehr viele Lösungen: wie ist das Restaurant hier gemacht, wie die Lobby dort, wo die Beleuchtung etc. Aber es ist die Semper-Oper, die in gewisser Weise die ältere Schwester des Opernhauses in Oslo ist.

Detail: Hinsichtlich der Form, aber nicht in den Farben oder Dekorationen. Hier ist sind beide Häuser völlig verschieden.
Tarald Lundevall: Definitiv.

Foto: Claudia Fuchs


Detail: Warum ist der Zuschauerraum in diesem dunklen Ton mit Räuchereiche gestaltet?

Tarald Lundevall: Das Eichenholz ist mit Ammoniak bedampft, was ihm einen dunkleren Ton verleiht. Dies verändert auch das Holz und macht es fester. Es gab viele Gründe für uns, Holz zu verwenden. Die geschwungene Wand des Foyers war sehr wichtig, schon vom ersten Wettbewerbskonzept an. Diese Idee wurde weiterentwickelt: Wir sehen diese Holzwand fast wie die Rinde eines Baumstamms. Und je weiter man in das Innere des Stamms kommt, desto härter, glatter und dichter wird das Holz. Wir suchten ein Material, das schwer genug ist, um Töne zu reflektieren und nicht anfängt zu vibrieren, und das sich gleichzeitig in komplexen Formen gestalten lässt. Was die dunkle Farbgebung betrifft: Das Beleuchtungsteam wollte kein helles Auditorium, weil dies zu starke Blendung und Reflexionen verursacht hätte. Sie sagten uns, dass ein dunkler Raum ideal für sie wäre. Eine übliche “Black Box? ist aus demselben Grund Schwarz: um möglichst neutral zu sein und nicht vom Bühnengeschehen abzulenken.

Detail: Ist dies auch ein psychologischer Aspekt? Man betritt den Zuschauerraum und ist sofort in einer warmen Atmosphäre?
Tarald Lundevall: Ich habe es gerade sehr pragmatisch beschrieben, aber wir haben sehr gerne mit dem Bild des Baums gearbeitet – und dies war eine große Herausforderung. Der ganze Raum ist aus Eiche: der Boden, das Bühnenportal, die Rückwände und die gewölbte Decke, die den zentralen Leuchter umgibt. Wir wollten dem gesamten Zuschauerraum eine vertraute und im besten Sinn gleichmäßige Atmosphäre geben.

Foto: Claudia Fuchs

Detail: Die Wirkung im Zuschauerraum verändert sich stark: wenn das Licht kurz vor Beginn der Aufführung abgedunkelt wird, wirkt der Raum klein, überschaubar, behaglich.
Tarald Lundevall: Ja, der Raumcharakter verändert sich stark. Eine Opernhaus ist ein Gebäudetypus der zweihundert Jahre oder länger besteht, weshalb es vielleicht etwas verfrüht ist, eine abschließende Bilanz zu ziehen: was ist uns gelungen, was ist gut, was ist schlecht. Und obwohl das Haus im ersten halben Jahr sehr gut angenommen wurde, würde ich vorschlagen, fünf Jahre zu warten, bevor wir diese Bilanz ziehen.
Wichtig ist jedoch, dass die Künstler, die in diesem Haus arbeiten, sowohl die Tänzer als auch die Orchestermusiker und Sänger, extrem glücklich sind über die neuen Möglichkeiten. Auch Gastkünstler wie Simon Rattle mit den Berliner Philharmonikern loben das Haus. Bryn Terfel sagte kürzlich, dass dies vielleicht das beste Opernhaus sei, in dem er gesungen hat. Und wenn es so funktioniert, sind wir sehr glücklich mit dem Ergebnis.

Detail: Wurde das Projekt von einem internationalen Team realisiert?
Tarald Lundevall: In unserem Büro haben bis zu 40 Mitarbeiter acht Jahre an diesem Projekt gearbeitet. Die Bibliothek in Alexandria war ein ähnlich großes, internationales Projekt, die Osloer Oper war allerdings noch komplexer. In einem kleinen Land wie Norwegen haben wir für ein Projekt dieser Größenordnung nicht ausreichend Ressourcen und Mitarbeiter. Und da wir einem internationalen Netzwerk angehören, wollen wir auch betonen, dass dieses Projekt eine internationale Teamwork war. Im Herbst 2006 zählten wir alle am Projekt Beteiligten und kamen auf rund 3500 Personen in 21 Ländern, die zu diesem Zeitpunkt in irgendeiner Art und Weise am Projekt beteiligt waren.

Foto: Jiri Havran


Detail: Welche Bedeutung hat die Zusammenarbeit mit Künstlern für Snøhetta?

Tarald Lundevall: In Norwegen gibt es wie in vielen Ländern eine staatliche Institution für Kunst am Bau, und für dieses Gebäude stand ein recht großes Budget zur Verfügung. Snøhetta arbeitet bei allen Projekten mit Künstlern zusammen. Wir glauben, dass es sehr wichtig ist, mit Künstlern auf verschiedene Arten zusammenzuarbeiten. Es gibt zwei unterschiedliche Ausgangssituationen dafür: einerseits internationale Kunstwettbewerbe, wie beispielsweise für den Bühnenvorhang, hier waren die Künstler in ihrer Arbeit völlig frei, ob sie ihr Kunstwerk als Kommentar, auch als kritischer Kommentar zur Architektur konzipieren wollten. Auf der anderen Seite haben wir von Anfang an mit Künstlern zusammengearbeitet, die ähnlich wie Ingenieure und Fachplaner in unser Planerteam integriert waren. So entstanden die direkt mit dem Gebäude verbundenen Kunstwerke. Eine Zwischenform ist Olafur Eliassons perforierte Wandverkleidung im Foyer, als integraler Bestandteil der Architektur, das Ergebnis eines Wettbewerbs war. Wir glauben, dass es extrem wichtig ist, Künstler einzubeziehen und mit ihnen zu diskutieren, denn sie inspirieren uns Architekten.


Mit Tarald Lundevall, einem der drei Snøhetta-Partner und Projektleiter der Oper, sprach Claudia Fuchs in Oslo.

Foto: Jiri Havran

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