Glas in der Architektur: Neue Entwicklungen (1)

Der Baustoff Glas ist als Gestaltungselement zeitgenössischer Architektur kaum mehr wegzudenken. Die fortlaufende Weiterentwicklung der Produktions- und Verarbeitungstechnologie und die stetige Verbesserung anwendungsreifer Produkte spielen eine entscheidende Rolle dabei, gestiegenen funktionalen Anforderungen sowie der Suche nach neuen ästhetischen Ausdrucksformen gerecht zu werden.

bewegliche Dachkonstruktion, Faltwerk aus Dünnglasbögen, SFL Technologies, Foto: Jörg Pfäffinger

Dünngläser
Beim Einsatz von großen Glasformaten und von Dreifach-Isoliergläsern können einzelne Glaseinheiten aufgrund ihres hohen Gewichts eine Herausforderung für Konstruktion, Handling und Logistik darstellen. Ein Lösungsansatz ist die Verwendung von Dünngläsern. Insbesondere ihr geringeres Gewicht in Verbindung mit hoher Widerstandsfähigkeit gegen mechanische und chemische Beanspruchungen, hervorragende ­optische Eigenschaften sowie der geringere Ressoucenverbrauch macht Dünngläser für den Einsatz im Bauwesen interessant. Als Dünngläser werden in der Regel Gläser mit Stärken bis zu 2 mm bezeichnet. Diese unterscheiden sich je nach Anwendung, Herstellungs- und Verarbeitungsverfahren erheblich in der Glaszusammensetzung, ­ihren spezifischen Eigenschaften und den verfügbaren Formaten und Dicken. Übliche Glasarten für Dünngläser sind Borosilikatglas, Aluminiumsilikatglas und das bekannte Basis- bzw. Floatglas. Besonders Borosilikatglas, das mechanischen, chemischen und thermischen Beanspruchungen gleichermaßen gut standhält, sowie Aluminiumsilikatglas, das eine außergewöhnlich gute Beständigkeit gegen mechanische Einwirkungen besitzt, werden bisher vorwiegend im Bereich der technischen Gläser, z.B. als Displayglas der Elektronikindustrie oder als Objektträger in der Labor- und Biotechnologie eingesetzt.
Herstellung

Die Gläser werden je nach Hersteller und Endprodukt in unterschiedlichen Verfahren, dem Float-Prozess, dem Down-Draw-Verfahren oder dem Overflow-Fusion-Verfahren, gefertigt. Insbesondere für die Herstellung von Displaygläsern mit weniger als 1,5 mm Stärke wurde das Verfahren von verschiedenen Herstellern soweit angepasst, dass mittlerweile Glasstärken ab 0,5 mm mit Abmessungen von bis zu 3,00 x 2,00 m möglich sind, bei Dickendifferenzen unter 50 µm.

Prozesse wie das Down-Draw- oder das Overflow-Fusion-Verfahren ermöglichen durch einen Ziehvorgang die Produktion noch dünnerer Gläser bis minimal ca. 0,5 mm Stärke. Beim Down-Draw-Verfahren wird das geschmolzene Glas über eine Auslaufdüse aus dem Schmelzofen nach unten abgezogen. Der Prozess stellt höchste Anforderungen an die Homogenität der Schmelze und Temperatur, insbesondere im Bereich der Auslaufdüse. Beim Overflow-Fusion-Verfahren wird die Glasschmelze in eine Rinne gegossen, die an den Längsseiten zum Überlaufen gebracht wird. Die entlang der Außenkanten ablaufende Schmel­ze fügt sich unter der Rinne zu ­einem homogenen Glasband. Mit diesem Verfahren können besonders dünne Gläser mit extrem homogenen und glatten Oberflächen hergestellt werden. Diese erfahren, im Gegensatz zum Float-Prozess, keinerlei mechanische Beanspruchungen.


Vorspannen von Dünngläsern

Generell wird zwischen thermischem und chemischem Vorspannen unterschieden. Auch wenn das chemische Verfahren aufgrund der langen Prozessdauer sehr aufwändig und teuer ist, bietet es dafür jedoch die Möglichkeit einer formstabilen Vorspannung extrem dünner Gläser und Scheiben mit komplexen Geometrien. Hierzu wird eine Spannungsdifferenz zwischen den äußeren und inneren Glasschichten durch das Einbringen der Scheiben in eine heiße Salzschmelze erzielt. Dabei werden die Natriumionen an der Glasoberfläche durch solche mit größerem Radius ersetzt und so die Vorspannung erzielt. Die Dauer des mehrstündigen Prozesses entscheidet über die Tiefe des Ionenaustausches und somit über die Biegefestigkeit. Bisher wird das Verfahren vorwiegend für sehr dünne, kleinformatige Displaygläser eingesetzt sowie für komplex geformten Scheiben für die Luft- und Raumfahrt sowie den Schiffs- und Eisenbahnbau. Maximale Abmessungen sind durch das Format der Salzschmelze-Wannen begrenzt.

Thermisches Vorspannen erlaubt im Vergleich dazu wesentlich größere Glasformate mit Minimalstärken von 2–3 mm, Ausgangsprodukt ist übliches Floatglas. Aufgrund der Wirtschaftlichkeit und des Bruchbilds werden in der Automobil­industrie und im Bau­sektor eingesetzte Gläser überwiegend thermisch vorgespannt. Ein spezielles thermisches ­Vorspannverfahren, das auf einer Flachbettanlage mit Hoch­konvektions-Luftsystem basiert, ermöglicht mittlerweile auch die effiziente Verarbeitung von Gläsern mit Glasstärken von 1 mm ohne optische Distorsionen. Die Glasflächen bleiben während des gesamten Prozesses unberührt, die normalerweise ­auftretenden Verwerfungen der Glasoberfläche, so genannte Rollerwaves oder Planitätsabweichungen, können so vermieden werden. Die Flachbettanlage ermöglicht dabei einen sehr wirtschaftlichen, flexiblen Umgang mit sehr unterschiedlichen Glasformaten bis zu 1,70 x 5,00 m.

Dünnglas-Herstellung: Down-Draw-Prozess (links) und Overflow-Fusion-Prozess (rechts)

Thermisch vorgespannte Dünngläser
In einem gemeinsamen Forschungsprojekt aus dem Zeitraum 2010 bis 2012 beschäftigten sich das Institut für Fenstertechnik (IFT) ­Rosenheim und der Bundesverband Flachglas mit den unterschiedlichen Möglichkeiten zur Gewichtreduzierung von Mehrscheiben-Isolierglas. Dabei wurden verschiedene Glasaufbauten u.a. mit Dünngläsern, Folien oder transparenten Kunststoffen untersucht. Dünngläser bieten nicht zuletzt wegen ihrer höheren Belastbarkeit große Vorteile gegenüber hybriden Aufbauten. Die minimale Stärke konventionell produzierter Gläser liegt bei 4 mm, mit vorgespannten Dünngläsern lassen sich bis zu 2 mm erreichen. Besonders in Situationen, die den Einsatz von VSG- Scheiben erfordern, lassen sich mit Dünngläsern erhebliche Gewichtseinsparungen erzielen. Die möglichen Formate sind durch den Vorspannprozess limitiert, es ist jedoch davon auszugehen, dass diese Grenzen im Lauf des Entwicklungsfortschritts überwunden werden. Ein weiterer Vorteil dünnerer Glasstärken ist der höhere Lichttrans­missionsgrad, was eine Weiterentwicklung Richtung Vierfachglas sinnvoll macht. Erste Hersteller sind in der Lage, Dünngläser ­thermisch vorzuspannen. Insbesondere gewichtssensible und seriell hergestellte Einheiten wie Dachflächenfenster werden mit derartigen Isoliergläsern bestückt. Für das EU-geförderte Forschungsprojekt »Membranes for Windows« (MEM4WIN) wurde eine Isolierglas-Einheit für Vierfach-Verglasungen mit ultradünnen Glasmembranen entwickelt, die als rahmenloses öffenbares Fenster für die direkte Anwendung in Fassaden verwendbar ist. Damit können Ug-Werte von 0,3 W/m²K, eine Gewichtsreduzierung um 50 Prozent sowie eine Kostensenkung von 20 Prozent erreicht werden. Das Konzept sieht die Integration weiterer Funktionen (Sonnenschutz, Tageslichtsteuerung, organische Photovoltaikzellen) vor. Chemisch vorgespannte Dünngläser
Durch die noch immer aufwändige Verarbeitung, Einschränkungen bei den verfügbaren Größen sowie den relativ hohen Herstellungskosten findet bisher keine verbreitete Anwendung der Gläser statt. Laminierte chemisch vorgespannte Dünngläser bieten jedoch ein hohes Potenzial für Spezialanwendungen mit extremen Beanspruchungen. Das Laminat aus bis zu 0,5 mm dünnen Glasscheiben hat die Eigenschaften ­eines Verbundsicherheitsglases mit extrem geringem Gewicht. Die Gläser werden mit je nach Anwendungsfall gewählten Zwischenlagen laminiert. Die fast folienartige Struktur der Gläser ist vorteilhaft bei gewichtssensiblen Anwendungen wie z.B. Seilnetzfassaden oder Überkopfverglasungen und kann für membranartige Konstruktionen mit anspruchsvollen Geometrien eingesetzt werden. Der hohe Aufwand beim Biege- und Verarbeitungsprozess rechtfertigt einen Einsatz allerdings nur im Sonderfall. Für den Experimentalbau eines faltbaren Glasdachs musste aufgrund der Beweglichkeit der Konstruktion ein Material gefunden werden, das neben seiner extremen Leichtigkeit große Verformungen mitmacht und zugleich seine Eigensteifigkeit behält. Für die bewegliche Dachkonstruktion wurden Glassegmente von 0,70 x 1,20 m mit einem Außenradius von 2,80 m zu einem Bogenfaltwerk gefügt, das sich öffnen lässt. Um den Sicherheitsanforderungen im Über­kopfbereich Folge zu leisten, weisen die Scheibenlaminate – VSG-Einheiten aus 2x 0,7 mm Corning Gorilla-Glas – eine besonders hohe Widerstandsfähigkeit auf und sind bei einem Gewicht von weniger als 5 kg/m2 ultraleicht. Das flach produzierte VSG wird beim Öffnen des Faltdachs in ­kegelförmige Geometrien gezwungen und erhält damit seine sich selbst stabilisierende Form. Ultraleichte Verbundgläser ermöglich­en den Bau filigraner, sehr leichter Strukturen im Überkopfbereich.

bewegliche Dachkonstruktion, Faltwerk aus Dünnglasbögen, SFL Technologies, Foto: SFL fibag

bewegliche Dachkonstruktion, Faltwerk aus Dünnglasbögen, SFL Technologies, Foto: SFL fibag

Dünnglas zeichnet sich neben seinem extrem geringen Gewicht durch hohe Flexi­bilität aus. Die Skulptur »Kusanami« demonstriert als künstlerische Arbeit beispielhaft die Umsetzung komplexer Geometrien mit Dünnglas. Es konnten Biegeradien der ­unteren Glaskante von weniger als 3,2 cm realisiert werden, wodurch die 0,56 mm dünnen Leoflex-Gläser allein stehen. Eine Bewegung und Verformung des Glasrands um 5 cm und mehr ist möglich. So führt die Skulptur eindrucksvoll die Flexibilität chemisch vorgespannter Dünngläser vor.

Dünnglasskulptur Kusanami, Asahi Glass, Foto: AGC Asahi Glass

Dünnglasskulptur Kusanami, Asahi Glass, Foto: AGC Asahi Glass

Ausblick
Die vorgestellten Projekte zeigen die Möglichkeiten gläserner Bauteile mit geringem Gewicht und innovativer Lösungen für flexible Glaskonstruktionen auf.

Erhöhte energetische, konstruktive und gestalterische Ansprüche erfordern die technisch anspruchsvolle Entwicklung zukunftsfähiger Materialien. Im Bereich innovativer Isolierverglasungen hat diese bereits begonnen – erste Produkte sind am Markt verfügbar.

Dünngläser auf der Basis von Borosilikat und Aluminiumsilikat waren bisher, trotz ihrer hervorragenden Eigenschaften, im Bauwesen nur bedingt vorstellbar. Enorme Fortschritte im Bereich der Maschinen- und Anlagentechnik könnten die Herstellungs- und Verarbeitungsprozesse jedoch soweit optimieren, dass geeignete Abmessungen und ein moderateres Preisniveau für einen Einsatz im Bauwesen absehbar werden. Weitere Verbesserungen im Hinblick auf eine wirtschaftliche Herstellung, optimierte Schallschutzeigenschaften und ein geringeres Kantenbruchrisiko könnten die Entwicklung raumbildendender Glasbauteile forcieren, die die Trennung zwischen Konstruktion und Funktion fast vollständig aufheben. Den vollständigen Technik-Artikel zum Thema »Glas in der Architektur - neue Entwicklungen« lesen Sie in unserer Ausgabe »Bauen mit Glas« DETAIL 2015/1+2
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