15.07.2009 Peter Popp

Heinz Emigholz. Loos ornamental

»Photographie und jenseits« ist eine Filmserie über Schrift, Zeichnung, Skulptur und Architektur. Seit 1974 thematisiert der Filmemacher Heinz Emigholz darin das Sehen als unbewussten Vorgang an der Schnittstelle zwischen Gehirn und Außenwelt.

»Analysiert wird ein umgedrehter Sehvorgang – Sehen als Ausdruck, nicht als Eindruck.«

Seit 1993 ist das Projekt »Architektur als Autobiografie« ein fester Bestandteil der Serie. Die hier versammelten Filme zeigen in chronologischer Folge die erhaltenen Bauwerke von Architekten, Bauingenieuren und Gestaltern wie Bruce Goff, Robert Maillart, Louis Sullivan, Rudolph Schindler und Adolf Loos.
In seinen Bildkompositionen bevorzugt Heinz Emigholz eine Kadrierung, »die eine phänomenologische Beziehung zum Raum aufbaut.« Die sonst in Bezug auf die Dokumentation architektonischer Motive vorherrschenden Konventionen der Rechtwinkligkeit und Zentralperspektive spielen keine Rolle.

Für den Betrachter bedeutet dies die Aufforderung, sich ganz auf die Filme einzulassen und mit erlernten Sehgewohnheiten zu brechen. Entgegen der üblichen Vorgehensweise einen Raum mit zwei oder drei prägnanten Ausschnitten in verschiedenen Einstellungsgrößen zu erfassen, nähert sich Horst Emigholz einer Raumsituation über eine Vielzahl einander oft ähnlicher Perspektiven ohne erkennbare Gewichtung. Auch fehlt die Motivation, durch den Raum »führen« zu wollen. Das beharrliche Abtasten der Räume und Objekte setzt sich ganz allmählich und sehr subtil zu einem Gesamtbild zusammen. Es braucht Zeit sich auf diesen eigenwilligen Rhythmus einzuschwingen.
Wer dabei nicht die Geduld verliert, wird möglicherweise mehr über das Wesen und die räumliche Komplexität der abgebildeten Bauwerke erfahren.

Als dreizehnter Teil der Serie »Photographie und jenseits« erschien zuletzt ein Film über Adolf Loos (1870-1933). Der Film zeigt siebenundzwanzig noch existierende Bauwerke und Innenausstattungen des österreichischen Architekten in der Chronologie ihrer Entstehung. Die Bauwerke – Häuser, Laden- und Wohnungseinrichtungen, Fassaden und Denkmäler – stammen aus den Jahren 1899 bis 1931 und wurden in Wien, Niederösterreich, Prag, Brno, Pilsen, Nachod und Paris im Kontext ihrer heutigen Umgebungen im Jahr 2006 aufgenommen. Adolf Loos war ein Begründer der europäischen architektonischen Moderne. Die architekturtheoretische Debatte um Loos? Abneigung gegenüber allem Ornamentalem erhält durch die Wahl des Filmtitels »Loos ornamental« weitere Nahrung:

»In der Tat eilt Loos der journalistische Ruf voraus, Ornamente zu hassen. Die Missverständnisse liegen in dem begründet, was man jeweils unter Ornament versteht. Das Ornamentale im Sinne einer floralen Zieselierung ist allerdings nicht seine Sache. Betritt man jedoch die von ihm gestalteten Innenräume, sieht man nichts als Ornamente, gebildet aus den Strukturen der natürlichen Materialien Holz, Stein, Metall und Stoff. Maserungen im Holz, Adern im Marmor, die durch kunstreiche Anordnungen von Schnittflächen zur Geltung gebracht werden. Gegen den Strich gebürstet erscheinen die von ihm verwandten natürlichen Materialien in der Gesamtkomposition eines Raumes als Ornament. Und der gebaute Raum selbst bildet in seiner verschachtelten Struktur ein dreidimensionales Ornament. Loos hatte kein Problem damit, sich in angebliche Widersprüche zu verwickeln. Sein verquaster Aufsatz »Ornament und Verbrechen« von 1910 ist leider in der Folge maßlos verdreht und verabsolutiert worden. Er war kein terrible simplificateur. Mich interessiert Komplexheit, ein komplexes Raumgitter, durch das sich Wirklichkeit erkennen lässt, und das bietet er mir und meiner Kamera.«

Die Filme von Heinz Emigholz benötigen den abgedunkelten Raum des Kinos.
Sie verzeihen keine Ablenkung, ihr Sog entfaltet sich nur durch meditative Konzentration.

»Ich möchte, dass sich ein gestalteter Raum durch die Abfolge gestalteter Filmbilder gedanklich möglichst perfekt miterleben lässt. Nur das Kino bietet dafür die technischen Möglichkeiten. »Größer« und »kleiner« sind relative Begriffe in den Projektionskünsten. Wohnzimmer und Kino zwei sehr verschiedene Dispositive. Im Fernsehgerät wird das Framing des Films verniedlicht, die Möbel im Zimmer sind von vornherein »größer« als irgendein Weltereignis. (...) Perfekte Kinos, solche, die für »richtige« Filme gebaut worden sind, schließen dagegen jede sichtbare Umgebung neben dem projizierten Filmbild aus.«

Seit 2003 veröffentlicht die filmgalerie 451 fortlaufend alle Filme von Heinz Emigholz auf DVD. Ein Widerspruch? Dem puristischen Rezeptionsansatz des Autors zum Trotz, lassen sich einer medialen Vervielfältigung durchaus positive Aspekte abgewinnen. So wie die ursprünglichen Ideen von Bauwerken im Laufe der Zeit verblassen, und sie ihren Platz immer wieder neu definieren müssen weil die Wirklichkeit nicht still steht und die ehemaligen Umgebungen immer weiter verschwinden, ist auch unser Verhältnis gegenüber den Bildern einem fortwährenden Transformationsprozess unterworfen, den jeder Einzelne für sich auf's immer Neue durchleben muss. Es ist gut, dass der Markt des Bilder-Mainstreams von alternativen Konzepten erschüttert wird, vor allem wenn es nicht möglich ist, diese unreflektiert zu konsumieren.

Film von Heinz Emigholz, Amour Fou Wien und KGP Kranzelbinder Gabriele Production in Zusammenarbeit mit der Heinz Emigholz Filmproduktion Berlin
Laufzeit 72 Min. + 30 Min. Bonusfilm, Österreich 2008, dt., engl., Dolby Digital,
ISBN 978-3-937045-93-1, € 24,90


Weitere Informationen und Direktbestellung:
Offizielle Webseite von Heinz Emigholz
Filmgalerie 451 (Verleih in Deutschland)

https://detail-cdn.s3.eu-central-1.amazonaws.com/media/catalog/product/2/4/24171_694_200_135.jpg?width=437&height=582&store=de_de&image-type=image
Bitte geben Sie Ihre E-Mail-Adresse ein, um einen Link zum Zurücksetzen Ihres Passworts zu erhalten.
Pflichtfelder
oder
Copyright © 2024 DETAIL. Alle Rechte vorbehalten.