20.09.2012 Peter Popp

Hybride Lösung: Stedelijk Museum feiert Wiedereröffnung

Außen zwei Gebäude aus zwei Epochen, im Inneren ein räumliches Kontinuum mit einheitlicher Materialgebung: Bei seiner lange erwarteten Wiedereröffnung am 23. September 2012 präsentiert sich das Stedelijk Museum in Amsterdam als räumlicher Hybrid der Extreme. Architekten: Benthem Crouwel Architects, Amsterdam
Standort: Museumplein 10, NL–1071 DJ Amsterdam

Alt und Neu als atonaler Zweiklang. Mels Crouwel: "Wir haben versucht den Übergang zwischen Neubau und Altbau nicht zu gestalten." Foto: Ernst van Deursen

Insgesamt acht Jahre blieben die Türen des Stedelijk Museums für die Öffentlichkeit geschlossen. In diesem Zeitraum wurde das wichtigste Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in den Niederlanden komplett umgebaut und um einen spektakulären Neubau erweitert. Auffälligstes Merkmal ist ein schwebender, komplett geschlossener Baukörper aus weißem Kunststoff, der von den Architekten selbst als "Badewanne" bezeichnet wird. Er beherbergt die eigentlichen Ausstellungbereiche und setzt nach außen auf größtmögliche Differenz zum historischen Backsteinbau. Mels Crouwel: "Wir glauben, dass man einem Gebäude ansehen muss, in welcher Zeit es entstanden ist. Der Altbau von A.W.Weisman aus dem Jahr 1895 war als freistehendes Gebäude geplant. Wir haben unsere Erweiterung um einen halben Meter vom Altbau abgetrennt und nicht direkt verbunden, damit man sofort sieht, dass es sich um ein Bauwerk aus dem Jahr 2012 handelt."

Rendering: Benthem Crouwel Architects

Räumliche Dreiteilung im Erweiterungsbau: Die »Wanne« im Obergeschoss birgt Ausstellungsräume, das komplett transparente Erdgeschoss dient als großzügiges Foyer, Restaurant, Bücherladen und Ticketschalter befinden sich im Untergeschoss. Schnitt: Benthem Crouwel Architects

Die Erweiterung des Stedelijk Museum öffnet sich zur Museumplein. Foto: Ernst van Deursen

Die Gebäudehülle des neuen Ausstellungsbereiches interpretiert das "white cube"-Thema für die Jetztzeit indem sie das zum Immateriellen tendierende Weiß mit formaler Einprägsamkeit verknüpft. Für den polygonalen Baukörper verwendeten die Architekten ein Kunststoff-Komposit-Material. An Stellen, an denen sich das Harz bei einem Temperaturanstieg normalerweise ausdehnen würde, verhalten sich die beigemischten Aramid- und Carbonfasern genau entgegengesetzt. Sie weisen in Längsrichtung einen negativen Wärmeausdehnungskoeffizienten auf, werden also bei Erwärmung kürzer und dicker. In Verbindung mit dem positiven Ausdehnungskoeffizienten des Matrixharzes lassen sich dadurch hoch maßhaltige Bauteile fertigen. Die Folge: Man kann eine Fassade mit einer Länge von 100 Metern bauen, und zwar ohne die sonst üblichen Trennungsfugen. Die Kunststoff-Komposit-Hülle beteht aus 3 x 11 Meter großen Elementen die mit einer Stahlkonstruktion verbunden wurden. Am Ende wurde sie, wie bei einem Schiff, fugenlos getrichen. Mels Crouwel: "Wir haben dabei ein Material aus dem Flugzeugbau verwendet, damit die Fassade auch in zehn Jahren noch glänzt." Peter Popp

Fugenlos, glatt, glänzend: ein innovatives Kunststoff-Komposit-Material ermöglicht Oberflächen ohne die üblichen Trennfugen.

Anders als der introvertierte und abgehobene Ausstellungsbereich öffnet sich das transparente Foyer im Erdgeschoss komplett zur Umgebung. Der neue Eingang des Museums liegt jetzt an der Museumsplein, einer angrenzenden Grünfläche um die sich auch - wenngleich kurioserweise mit ihrer Rückseite - das "Rijksmuseum" und das "Van Gogh Museum" gruppieren. Letzteres plant bereits einen zweiten Eingang zum Platz. Eine unterirdische Verknüpfung der beiden Museen ist dadurch in Zukunft vielleicht möglich. Das gleichberechtigte Nebeneinander von Alt und Neu wird durch die ringsum laufende Transparenz des Foyers betont. Zwischen Altbau und Erweiterung existiert eine gläserne Fuge, die sich bis in den Dachbereich zieht und beide Gebäudeteile optisch voneinader trennt. Dadurch fällt viel Licht sowohl auf den alten Backsteinbau als auch auf die Fassade der Erweiterung. Beide Baukörper bleiben als Solitäre erkennbar. Im Inneren der Ausstellungsbereiche kehrt sich dieses Prinzip komplett um. Hier gibt es einen gleitenden, nahezu unmerklichen Übergang zwischen den baulichen Zeitebenen. Im alten wie im neuen Trakt liegen dieselben Eichenholzböden, alle Wände sind weiß, gemäß dem legendären Stedelijk-Direktor Willem Sandberg, der das Haus zwischen 1945 und 1962 zu einem "white cube" machte.

Die frei schwebende »Badewanne« dockt punktuell am Altbau an und formuliert einen bruchlosen Ausstellungsbereich – Introversion und Extroversion in perfekter Symbiose. Fotos: John Lewis Marshall

Via Röhre abtauchen ins neutral-weiße Territorium der Kunst. Fotos: John Lewis Marshall

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