11.11.2014 Insa Thiel

Inszenierte Neuinterpretation: Reihenhaussanierung in Schanghai

Der »Geist« des Hauses sollte erhalten bleiben, die historische Fassade hingegen durch raumhohe Panoramaverglasungen ersetzt werden. Anders als bei anderen Sanierungen, interpretieren Neri & Hu die historische Typologie aus den 30er-Jahren neu und übersetzen sie in eine zeitgemäße Architektursprache.

Architekt: Neri & Hu Design and Research Office, Schanghai
Standort: No.27, Lane 255, Ruijin No. 2 Road, Schanghai, China

Foto: Pedro Pegenaute

Das Tianzifang Quartier bietet mit seinen dreigeschossigen schmalen Reihenhäusern ein signifikantes Beispiel für diese Anfang des 20. Jahrhunderts aus dem Massenwohnungsbau entstandene Haustypologie. Einige der damals entstandenen Häuser wurden aufgrund ihres schlechten Zustands und der Bevölkerungsentwicklung schon längst durch bauliche Großprojekte ersetzt, andere hingegen dank des Denkmalschutzes saniert und rekonstruiert. Während die historischen Fassaden dabei häufig erhalten oder wiederhergestellt werden, gehen Neri & Hu mit ihrem Entwurf noch ein Stück weiter und erwecken die historische Typologie durch eine moderne Neuinterpretation auf ihre eigene Art und Weise wieder zum Leben.

Grundriss EG: Eingang (1), Lobby (2), Öffentliches Treppenhaus (3), Privates Treppenhaus (4), Toilette (5), Wohnzimmer (6), Innenhof (7), Schlafzimmer (8), Luftraum (9), Grafik: Neri & Hu Design and Research Office

Grundriss 1.OG: Wohnzimmer (1), Öffentliches Treppenhaus (2), Privates Treppenhaus (3), Toilette (4), Schlafzimmer (5), Oberlicht (6), Grafik: Neri & Hu Design and Research Office

Grundriss 2.OG: Wohnzimmer (1), Öffentliches Treppenhaus (2), Privates Treppenhaus (3), Toilette (4), Schlafzimmer (5), Oberlicht (6), Waschküche (7), Terrasse (8), Grafik: Neri & Hu Design and Research Office

Längsschnitt, Grafik: Neri & Hu Design and Research Office

Betreten werden die historischen Häuser auch heute noch meist über schmale Gassen an ihrer Rückseite, wo sich Nebenräume wie Küche und ehemalige Dienstzimmer angliedern. Das repräsentative Vorderhaus beherbergt die eigentlichen Wohnräume und präsentiert sich zum Straßenraum hin wesentlich prägnanter als zu seiner Eingangsseite. Nicht zuletzt deshalb fiel die Wahl bei der Fassadengestaltung wahrscheinlich auf ein Material, das in zweierlei Hinsicht der Tradition des Repräsentierens gerecht wird: Eine Glasfassade, die sich vollkommen andersartig als seine Nachbarn in das gegebene Umfeld eingliedert, wirkt als visuell attraktiver Kontrapunkt und bietet Einblick in die Wohnräume. Anders als Gebäude, die dem Außenraum primär über ihre Fassade in Erscheinung treten, gibt das transparente Reihenhaus seinen Inhalt geradezu unmittelbar der Öffentlichkeit preis und trägt so seine historische Typologie nach außen.

Im Inneren bildet eine Treppe das Herzstück des Hauses und verbindet die um ein halbes Geschoss zueinander versetzen Gebäudehälften miteinander. Während in früheren Zeiten lediglich eine Familie in einem solchen Haus wohnte, sind es heute aufgrund der Bevölkerungsentwicklung meistens mehrere Parteien. Die Erschließung wird dabei zum halböffentlichen Raum.

Fotos: Pedro Pegenaute

Die alte Holztreppe wurde durch eine neue Stahltreppe mit Oberlicht ersetzt und transformiert den gemeinsamen Flur in einen halböffentlichen Außenraum, der zur Dachterrasse führt. Jede der insgesamt drei Wohneinheiten besitzt zudem eine interne private Treppe, die den vorderen mit dem hinteren Gebäudeteil über einen Raumversprung miteinander verbindet. Provokant wirken dabei die Nasszellen, die lediglich eine transparente Glasscheibe vom halböffentlichen Treppenhaus trennt. Mangelnde Privatsphäre entsteht also nicht wie üblich durch Überbelagerung der Bewohner, sondern wird hier bewusst inszeniert.

Privates Treppenhaus (links) und halböffentliches Treppenhaus (rechts), Foto: Pedro Pegenaute

Raumhohe und gebäudebreite, nicht zu öffnende Verglasungen mit schwarzen Rahmen ersetzen die historische Fassade. Lediglich kleine Elemente in den Rahmenecken lassen ihren ursprünglichen Bestand erahnen. Rückseitig bringt eine schwarz geputzte Lochfassade das Gebäude im Dunkeln nahezu zum Verschwinden, während es tagsüber im deutlichen Kontrast zu den hellen klassizistischen Putzfassaden seiner Nachbarn steht. Schaufensterartig bieten die gigantischen Glasfassaden Einblick in Räumlichkeiten eines fast vergessenen Typus.

Fotos: Pedro Pegenaute

Materialien wie Beton, Holz, Stahl und Glas in den Innenräumen scheinen rahmen- und nahtlos ineinander überzugehen und offenbaren eine überaus präzise Detailplanung und -ausführung. Bedenkt man die Funktionalität, wäre allerdings nicht nur die Möglichkeit einer natürlichen Lüftung, sondern hier und da auch jene nach privatem Rückzug wünschenswert. Durch die beinahe fanatische Perfektion und Liebe zum Detail gelingt den Architekten aber eine klare und vor allem verständliche Architektursprache. Konzept und Ausführung stehen im unabdingbaren Dialog und machen Hoffnung auf mehr Architektur jenseits der oft nicht ganz so »schönen« Bauriesen.

Foto: Pedro Pegenaute

Mitarbeiter: Rosana Hu, Lydon Neri, Tony Schonhardt (Partner), Xiao lei, Zhao Lei, Guo Peng
Gesamtfläche: 193 m² mit Hof und Terrasse
Fertigstellung: 2012


Weitere Projekte zum Thema »Innenraum und Licht« lesen Sie in unserer aktuellen Ausgabe DETAIL 2014/10

Foto: Pedro Pegenaute

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