14.11.2014 Jakob Schoof

Lichtverschmutzung: Die Nachtseite der Architektur

„Mehr Licht!“ sollen Johann Wolfgang von Goethes letzte Worte gewesen sein. Heute dagegen verlangen immer mehr Menschen nach weniger Licht bei Nacht: Die Lichtverschmutzung ist auch ein Thema für Architekten. Anfang November wurden bei einer Tagung in Tutzing neueste Erkenntnisse diskutiert.

Die Skyline von Hong Kong: viel bewundertes Zeichen einer florierenden Wirtschaft und Quell exorbitanter Lichtverschmutzung. Foto: Diliff/Wikimedia Creative Commons

Künstliches Licht war schon immer ein Freiheitsversprechen. Am deutlichsten wurde dies im Zuge der Industrialisierung, als immer mehr Gas- und später elektrische Leuchten in Straßen und Wohnhäuser Einzug hielten. Fortan, so lautete die Hoffnung, müsste sich niemand mehr in seinen Alltagstätigkeiten nach der begrenzten Verfügbarkeit des Tageslichts richten.

Doch dieser Freiheitsdrang hat eine Kehrseite, die ebenfalls bereits seit Jahrzehnten bekannt ist. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts erkannten Astronomen, dass der Nachthimmel über den Großstädten zunehmend zu hell wurde, um ungestört Sterne zu beobachten, und wichen in lichtärmere Gegenden aus. Diesem Exodus verdankt die Architekturgeschichte nicht zuletzt ein Meisterwerk des Expressionismus, Erich Mendelsohns Einsteinturm auf dem Potsdamer Telegrafenberg (1919-1922).

Heute, mehr als 80 Jahre später, ist der Begriff „Lichtverschmutzung“ einer breiten Öffentlichkeit geläufig. Dabei geht es längst nicht mehr nur um ein Phänomen, das Astronomen und Hobby-Sternenguckern die Arbeit erschwert. Die Problematik ist vielschichtiger, wie Anfang November eine Tagung an der Evangelischen Akademie in Tutzing verdeutlichte. Sie hat (mindestens) eine biologische, eine kulturelle, eine politische und eine technische Komponente.

Die Erde bei Nacht, montiert aus Hunderten einzelner Satellitenbilder. Deutlich sichtbar wird, wie stark Besiedlungsdichte und ökonomische Prosperität weltweit mit der Stärke der Lichtemissionen korrelieren. Foto: NASA

Schutz der Umwelt und Bewahrung der Kultur
Fast alle Spezies auf der Erde sind evolutionär an den 24-stündigen Wechsel von Tag und Nacht angepasst. Beim Menschen reguliert die „innere Uhr“ den Hormonausstoß, die Verdauungsfunktionen, die täglichen Schwankungen der Körpertemperatur und vieles mehr. Damit sie exakt den 24-Stunden-Rhythmus der Umwelt abbildet, ist sie auf ein Signal von außen angewiesen: das Tageslicht.

Dieser Rhythmus droht durcheinander zu geraten, wenn Menschen tagsüber nicht genug (Tages-)Licht und nachts zuviel (künstliches) Licht abbekommen. Vor allem bläuliches Licht (etwa von kaltweißen Leuchtmitteln, aber auch von Fernsehern und Computermonitoren) am späten Abend sorgt dafür, dass wir später einschlafen und am folgenden Tag später aufwachen. Inzwischen haben Wissenschaftler zahlreiche Folgeerscheinungen unserer „24-Stunden-hell“-Gesellschaft identifiziert wie Schlafstörungen, Depressionen und selbst ein erhöhtes Risiko von Diabetes und Krebserkrankungen.

Auch für Tiere bedeutet es Dauerstress, wenn ihre Schlaf-/Wachrhythmen durcheinander geraten. Doch das ist nicht die einzige Gefahr, die ihnen durch zu viel Licht bei Nacht droht. Zugvögel etwa können durch Scheinwerferlicht, das gen Himmel gerichtet ist, vom Kurs abgebracht werden – und zwar nicht nur vorübergehend, sondern langfristig, so dass sie auf ihren Wanderungen weite Umwege fliegen müssen. Straßenlaternen locken magisch Insekten an, die dann zur leichten Beute für Fressfeinde wie Spinnen und Fledermäuse werden. Bestimmte Fischarten wie Aale werden durch helles Licht, das von Brücken und Uferstraßen ins Wasser fällt, unnötig auf ihren Wanderungen aufgehalten. Und je nach Spezies können schon Lichtstärken von nur 1 Lux im Wasser den Hormonhaushalt, das Fortpflanzungsverhalten und den Wach-/Schlafrhythmus von Fischen durcheinander bringen. „Ganze Ökosysteme können so aus dem Gleichgewicht geraten.“, sagt der Ökologe Franz Hölker vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie in Berlin. Bislang hat zwar noch niemand genau berechnet, welchen Beitrag künstliches Licht tatsächlich zur Dezimierung von Arten leistet. Doch darüber, dass menschengemachtes Licht Nahrungsketten und natürliche Prozesse gehörig durcheinanderwirbelt, sind sich Experten weitgehend einig.

Daneben ist es nach wie vor auch die kulturelle Komponente, die Umweltschützer und „Dark Sky“-Aktivisten umtreibt. Einer neueren Emnid-Umfrage zufolge hat jeder dritte Deutsche noch nie im Leben die Milchstraße gesehen. Bei den jüngeren Befragten unter 30 Jahren lag der Prozentsatz sogar bei 40 Prozent. Im Grunde kann das nicht verwundern: Messungen zeigen, dass der Himmel über Großstädten in bewölkten Winternächten bis zu 1500-mal heller ist als der natürliche Nachthimmel. Dieses Phänomen ist stark wetterabhängig: Während Wolken in der freien Natur eher als „Verdunkler“ des Himmels agieren (weil sie Sternen- und Mondlicht ausblenden), bilden sie über Städten einen effektiven Reflektor für von unten abgestrahltes Licht. Die „Lichtglocke“, die sich seit Jahrzehnten über den Großstädten der Welt gebildet hat, ist mitunter über Entfernungen von mehr als 100 Kilometer wahrzunehmen.
Empfehlungen für die Lichtplanung
Schätzungen zufolge nimmt die künstliche Außenbeleuchtung in Deutschland jährlich um etwa fünf Prozent zu. Um diesen Trend umzukehren, müssten eigentlich alle an einem Strang ziehen: Kommunalpolitiker, Architekten und Lichtplaner, Umweltschutzbehörden und letztlich jeder einzelne Gebäudebesitzer. Einen besonders großen „Hebel“ hält dabei die öffentliche Verwaltung in Händen: Wie Messungen über Berlin ergaben, stammen rund 30% des in den Weltraum abgestrahlten Lichts aus Straßenräumen, 16% aus Gewerbegebieten und 9% aus öffentlichen Gebäuden einschließlich der besonders lichtintensiven Flughäfen.

Ein frühes Beispiel der Lichtverschmutzung im 20. Jahrhundert: die „Lichtdome“ aus Flakscheinwerfern, die die Nationalsozialisten anlässlich ihrer Reichsparteitage installierten. Foto: Bundesarchiv

Das Problem ist durchaus auch volkswirtschaftlich interessant: Schätzungen aus den USA zufolge gehen dort jährlich zwischen einer und zwei Milliarden US-Dollar durch elektrisches Licht verloren, das unnötig in den Weltraum gestrahlt wird. Die gute Nachricht lautet jedoch: „Richtiges“ Licht (im Sinne geringerer Lichtverschmutzung) lässt sich planen. Die Empfehlungen der Experten sind im Grunde stets die gleichen: „Less is more“ bei der Außenbeleuchtung – es gilt also, die Notwendigkeit jeglicher Außenbeleuchtung zu hinterfragen. Lichtquellen sollten so abgeschirmt sein, dass sie ihr Licht nur nach unten abstrahlen. In den Nachtstunden (also etwa zwischen 23 und 5 Uhr) sollten so viele Leuchten wie möglich abgeschaltet werden und wo immer möglich, sollten warmfarbige Leuchten mit Farbtemperaturen unter 3000 Kelvin verwendet werden. Der Grund: Warmes (also gelbliches oder rötliches) Licht wird in der Atmosphäre deutlich weniger stark gebrochen als kaltes und trägt daher viel weniger zum „Lichtsmog“ über den Großstädten bei.

Lichtmasterpläne, wie sie zum Beispiel Berlin (für das historische Stadtzentrum) oder Zürich erarbeitet haben, können ein wichtiger Baustein sein, um Überbeleuchtung von Stadträumen zurückzufahren. In Berlin ging dies sogar so weit, dass die Stadt beschlossen hat, ihre Innenstadtstraßen weniger hell zu beleuchten als eigentlich in der hierfür geltenden Norm DIN EN 13201 empfohlen. In vielen Bereichen, so Volker von Kardorff, dessen Lichtplanungsbüro den Masterplan erarbeitet hat, „hätte die strenge Übernahme der Beleuchtungsvorgaben aus der EU-Norm zu einer Überbeleuchtung geführt.“

Lichtmasterpläne (hier im historischen Berliner Stadtzentrum von Kardorff Ingenieure) sind ein gutes Werkzeug, um den Wildwuchs der Außenbeleuchtung in deutschen Städten zurückzustutzen. Foto: Thomas Wolf/Wikimedia Creative Commons

Schwieriger wird es bei Außenbeleuchtungen, die von Privateigentümern auf deren Grundstücken installiert werden. Diese sind in Deutschland in der Regel nicht genehmigungspflichtig. Entsprechende Einschränkungen müssen also, wenn überhaupt, bereits im Bebauungsplan für das Areal formuliert werden. Geschieht das nicht, haben die Behörden kaum noch Möglichkeiten einzugreifen. Anders sieht die Lage in der Schweiz aus: Dort haben der Bund und die Kommunen auch später noch die Möglichkeit, einen Rückbau störender Beleuchtungsanlagen zu fordern. So ließ die Schweizer Bundesregierung vor einigen Jahren reihenweise großformatige, beleuchtete Werbetafeln längs der Fahrbahnen abmontieren, weil diese ihrer Einschätzung nach die Autofahrer ablenkten.

Ein wesentlicher Verursacher für Lichtemissionen sind auch angestrahlte Gebäude. Hier hat sich in den vergangenen Jahren die schädliche Praxis etabliert, Fassaden durch Licht von unten in Szene zu setzen. Weitaus besser ist die Beleuchtung von oben oder – wo dies nicht machbar ist - Projektionstechniken, bei dem ein Diapositiv des betreffenden Gebäudes auf die Fassade projiziert wird. Ein „Spill-over“ von Licht über die Gebäudegrenzen hinaus, aber auch die Beleuchtung neuralgischer Punkte wie Fenster, lässt sich durch entsprechende abgedunkelte Bereiche auf dem Dia verhindern.

Öffentliche Beleuchtung im Widerstreit von Naturschutz und Energieeinsparung
Die größte „Baustelle“ im Kampf gegen den Lichtsmog sind zweifellos öffentliche Straßen- und Wegebeleuchtungen. Schätzungen zufolge sind in Europas Straßenleuchten bis heute 20 Millionen veraltete Leuchtmittel im Einsatz, die in den kommenden Jahren aus Effizienzgründen ausgetauscht werden müssen. Meist handelt es sich dabei um Quecksilberdampflampen, und in aller Regel werden sie durch LED ersetzt.

Dabei gilt – wie stets bei Sanierungen – der Grundsatz: Wenn schon, denn schon. Kommunen haben beim Austausch ihrer alten ineffizienten Leuchten gegen LED genau „einen Schuss frei“, wie es Dieter Lang vom Leuchtenhersteller Osram ausdrückt. Mit anderen Worten: In der Regel rentiert sich der Austausch bestehender Leuchten gegen LED aufgrund der Energieeinsparung binnen kurzem. Wenn dabei aber eine suboptimale Lösung gewählt wird, die Anwohner blendet, Vögel irritiert und zur Fressfalle für Insekten wird, verursacht späteres Nachbessern nur noch weitere Kosten, aber keinen finanziellen Nutzen mehr.

Gerade für die Straßenbeleuchtung empfehlen Beleuchtungsexperten warmweiße LED, weil diese viel weniger Insekten anlocken als kaltweiße. Doch damit gibt es ein Problem: Warmweiße LED sind ineffizienter als die bläulich-weiße Bauart. Der Effizienzunterschied kann – bei ansonsten gleicher Bauart der Leuchte –20 Prozent und mehr betragen. Und dieses Argument kann für Kommunen, deren Kämmerer knapp kalkulieren müssen, durchaus den Ausschlag geben. Noch häufiger, so Dieter Lang, wählten Kommunen jedoch aus purer Unkenntnis heraus die lichtbiologisch „falschen“ Leuchten.

Gute – auch finanzielle - Erfahrungen haben viele Kommunen mit der (vollständigen oder teilweisen) Nachtabschaltung der Beleuchtung gemacht. So sinkt der jährliche Strombedarf um ein Drittel, wenn zwischen 22:30 und 5:30 Uhr die Hälfte der Leuchten abgeschaltet wird. Mit intelligenten Lichtmanagementsystemen, die das bedarfsgerechte An- und Abschalten der Beleuchtung (etwa über Präsenzmelder) erlauben, lassen sich noch höhere Einsparungen erreichen. Solche Systeme sind allerdings mit Amortisationszeiten von über 20 Jahren noch unwirtschaftlich.

Wichtig ist bei der Einführung solcher Maßnahmen stets die enge Abstimmung mit den Anwohnern. Denn „weniger Licht“ tangiert unweigerlich deren subjektives Sicherheitsempfinden. In Liechtenstein etwa, wo vor einigen Jahren eine Teilabschaltung eingeführt wurde, hat sich folgendes Vorgehen bewährt: Zunächst findet eine Testphase mit Abschaltung statt, dann werden die Anwohner befragt und schließlich die Abschaltzeiten gegebenenfalls nochmals angepasst.

Objektiv betrachtet, bedeutet mehr Licht keineswegs mehr Sicherheit – außer vielleicht zur Unfallprävention an Zebrastreifen und Fußgängerübergängen. Einbrecher und andere Kriminelle lassen sich von Licht hingegen kaum abschrecken. Eine Umfrage unter Einbrechern in Großbritannien jedenfalls hat ergeben, dass vor allem die Anwesenheit der Bewohner, installierte Alarmanlagen sowie sichtbare Überwachungskameras geplante Einbrüche verhindern können. Außenbeleuchtung wurde hingegen von den Befragten nicht als einbruchshemmender Faktor genannt. In einem 2013 vom Land Oberösterreich veröffentlichten Leitfaden für besseres Licht im Außenbereich heißt es dazu: „Vernünftiger ist es, sparsames Licht im Inneren eines Hauses eingeschaltet zu lassen als eine außen angebrachte „Sicherheitsbeleuchtung“ zu verwenden oder gar auf eine einbruchshemmende Wirkung naher Straßenlaternen zu hoffen.“
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