17.10.2017 Lionel Esche

Lionel Esche – ÜBER VORSTELLUNGEN, METAPHERN UND ANALOGIEN IN DER ARCHITEKTUR

Villa Livia; Foto: Lionel Esche

Oswald Matthias Ungers beschreibt in seinem Buch »Morphologie (City Metaphors)« die fundamentalste Faszination an gebauter Architektur und Analogie. Hierzu erfasst Ungers den Entwurfsprozess und gliedert ihn in Metaphern und Analogien. Wir benutzen im täglichen Sprachumgang ständig Metaphern und Ausdrücke, ohne diesem Umstand Bedeutung beizumessen. Wir sprechen vom Fuß des Berges, vom Bein des Stuhls oder vom Herzen der Stadt. Fast unsere gesamte Kommunikation basiert auf Zeichen, Symbolen, Signalen und Allegorien, die nicht nur die meisten Aspekte unserer täglichen Routine ausmachen, sondern oft auch religiöse und metaphysische Systeme in sich tragen. Wir müssen uns den Konsequenzen übergeordneter Bilder und damit auch Sprachen bewusst werden, um diese zu verstehen und mit ihnen arbeiten zu können. Architektur ist abhängig. Abhängig von Allegorien, Bildern, Symbolen und Zeichen und damit einer anderen Sprache.

Nischen, welche nur zwei, drei Zentimeter stark sind, füllen ganze Räume aus. Wie ein Bilderrahmen wird das Innere einer Nische zum Besonderen. Paradiesgärten werden durch starke Umrandungen begrenzt, sie werden mystifiziert. Ähnlich verhält es sich mit einer Schatztruhe, die durch eine kräftige Schatulle ihren inneren Wert bereits verrät. Labyrinthgärten geben uns die Faszination zu neu Interpretierbaren, neu Endeckbaren und endlosen Geschichten. Das Haus als italienisches Ornament findet sich als Archetyp überall wieder. Ein geschwungenes Dach zum Himmel erinnert im seicht bedeckten Grau an ein Kunstwerk von Ellsworth Kelly. Und die Struktur einer Brücke wird plötzlich zum Ursprung einer Struktur. Zwei Skulpturen im Raum treten in Kommunikation wie zwei Brüder – und spannen einen Raum auf.

Die Allegorie hebt den Nachdenkenden auf eine andere Bedeutungsebene und versorgt den Entwerfer mit einem Mittel, das weit über die pragmatische Repräsentation hinausgeht. Somit sind es Symbole als Durchdringung von Geist und Vorstellung, die durch Mysterien, Tiefe und unerschöpfliche Interpretation charakterisiert werden. Um etwas Abstraktes auszudrücken und zu visualisieren benützen wir transzendentale oder geistige Symbole und Allegorien. Es ist ein fundamentaler Prozess der Konzeptualisierung einer unabhängigen diversen und daher unterschiedlichen Realität durch den Gebrauch von Vorstellungen, Imaginationen, Metaphern, Analogien, Modellen, Zeichen, Symbolen und Allegorien.

Während Ungers sich in seinem Text und im Buch »Morphologie« auf Analogien und Phänomene des Alltäglichen konzentriert und diese geschickt in den Kontext der Architektur setzt, formuliert er in seiner Schriftreihe »Die Thematisierung der Architektur« (1983), dass diese Analogie noch weiterführt. Er führt fort, dass Architektur ein Thema, eine Idee und einen Gedanken braucht, um ein beständiges Bauwerk zu sein. Der Entwurf trägt dazu bei, die Umwelt aus der pragmatischen Realität in die metaphysische Welt der Ideen zu transformieren, das heißt die Alltagswelt zu sensibilisieren und in Folge dessen aus der Trivialität herauszuheben. Damit wird deutlich, dass eine Architektur anzustreben ist, die einerseits gefühlsbefreit und dennoch poetisch ist. Kurz: Kalkül und Ordnung. Ungers grenzt sich von einer Architektur ab, die ihr Thema nicht aus sich selbst bezieht. Diese sei wie ein Bild, das sich darauf beschränkt, fotografisches Abbild zu sein.

Architektur kann somit in zwei Gruppen eingeteilt werden. Eine Gruppe könnte als »eine Architektur der Einteilung« verstanden werden, die andere Gruppe als »eine Architektur des Addierens«. Die Architektur, die einteilt, und die Architektur, die hinzufügt, sind im Allgemeinen die zwei großen Gattungen der Disziplin. Die Architektur des Einteilens basiert auf einer Sache, auf einer Idee und analysiert diese solange, bis sie als Bauwerk bestehen kann. Die Architektur des Hinzufügens ist eine Architektur, die kompositorisch entsteht. Einem Bau wird dabei hier und da etwas hinzugefügt, er wird hier und da etwas größer, und hier und da ragt ein neues Bauteil heraus. Die Dinge werden sozusagen in eine harmonische Balance gebracht.

Nach Ungers wird Architektur dadurch zu einem Entwurfsprozess, der auf Dingen und Ideen basiert. Architektur wird über Bilder – nicht eingeschränkte Abbildungen, sondern auch davon abhängige Erfahrungen, Geschichten und letztendlich auch Erlebnisse – kommuniziert. Ich möchte festhalten, dass man Architektur auch auf andere Weise entwerfen kann, jedoch sind es eigene Faszinationen, die zur Ideenfindung führen. Es ist wichtig zu begreifen, dass Architektur nicht durch spezifisch vorgegebene Bilder, die wir aus der Lehre kennen, bestimmt werden kann, sondern durch eigene Referenzobjekte, die einen bewusst beeinflussen und manipulieren. Genau hierfür müssen wir uns diesen Bildern bewusstwerden und uns ihnen widmen. Hier gibt es keine vorgegebenen Bilder, die wir in einem Buch erfahren können – vielleicht ähnliche, aber nicht identische Definitionen. Somit sollte eine Lehre nicht Dogmen oder Pragmatismus vorgeben, sondern Grundsätze in der Architektur erläutern und diese verständlich darstellen.

Frei nach Lieselotte Ungers in Gesprächen mit Oswald Matthias Ungers »Über Architektur« ist abschließend zu formulieren: »Kunst ist Kunst als Kunst und alles Andere ist alles Andere, oder Architektur ist Architektur als Architektur und alles Andere ist alles Andere.«

Villa Livia; Foto: Lionel Esche

Dach zum Himmel, Warschau; Foto: Lionel Esche

Labyrinthgarten; Foto: Lionel Esche

Farben der Stadt, Persönliche Aufzeichnungen; Foto: Lionel Esche

Ornament als Archetyp; Foto: Lionel Esche

Die Autobahn und das Land; Foto: Lionel Esche

Tragender Dampfer; Foto: Lionel Esche

Nische; Foto: Lionel Esche

Villa Farnese; Foto: Lionel Esche

Badekabinen; Foto: Lionel Esche

Pirro Ligorio & Alberto Galvani, Villa d'Este Tivoli, Versteckte Tür; Foto: Lionel Esche

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