30.08.2012 Linder@detail.de

Manifest gegen die Verschwendung: „Counter Entropy House“ der RWTH Aachen

Vom 13. bis 30. September 2012 erlebt der „Solar Decathlon Europe“ in Madrid seine zweite Auflage. Mit dabei: das Studierendenteam der RWTH Aachen, das das Thema Wiederverwertung mit seinem „Counter Entropy House“ auf die Spitze getrieben hat.

Die Natur kennt bekanntlich keine Abfälle. Die menschliche Zivilisation dagegen umso mehr, und so konzentriert sich das Solar-Decathlon-Team der RWTH Aachen mit seinem Gebäude nicht allein auf Energieeffizienz und Energiegewinnung. „Rethink. Reuse. We build“ lautet der hintersinnige Slogan, mit dem die Aachener ihr Gebäude auf ihrer Homepage vorstellen. Bei dem Entwurf ging es ihnen vor allem um drei Ziele: Müllvermeidung, Wiederverwertung gebrauchter Materialien und Bauteile sowie Ressourcenschonung durch Materialersparnis.

Das „Counter Entropy House“ ist ein eingeschossiges Wohnhaus für zwei Personen mit weit auskragendem Dach. Letzteres erfüllt mehrere Funktionen auf einmal: es dient zur Verschattung, als Trägerfläche für Solartechnik sowie zur Raumzonierung.

Das Gebäude und die ihm zugeordneten Außenräume lassen sich in drei Zonen der Privatheit unterteilen. Zone 1 ist das Podest, auf dem das Haus steht und welches das Grundstück des Gebäudes von seinem Umfeld abgrenzt. Zone 2 befindet sich unter dem Dach, zwar gut beschattet, aber noch im Außenklima. Zone 3 schließlich ist der eigentliche Innenraum innerhalb der verglasten Gebäudehülle. Der Clou ist nun, dass sich der Zwischenbereich – Zone 2 – mithilfe von außen am Dachrand umlaufenden Vorhängen optisch dem Innenraum zuschlagen lässt.

Grundrisskonzept

Die Zonierung ist indessen nicht rigide, sondern fließend. Quer durchs Gebäude verlaufen zwei Sichtachsen, die sich in der Gebäudemitte kreuzen. Die eigentliche Klimahülle bilden geschosshohe Dreifachverglasungen sowie fünf Schrankmodule, die Stauraum, Küchenzeile und Sanitärbereiche enthalten und zugleich das Flachdach tragen. Im Extremfall lässt sich das Gebäude komplett auf das Dach und diese Stauraumelemente reduzieren. Das gesamte Mobiliar und die verschiebbaren Glaselemente der Fassade finden darin ihren Platz.

Die fünf Schrankmodule gliedern den 50 Quadratmeter großen Innenraum in vier Bereiche, wobei der offene Koch-, Ess- und Wohnbereich im Osten und der Schlafbereich im Westen untergebracht ist. Innenwände gibt es keine; lediglich die Nasszelle lässt sich durch eine Schiebetür aus Mattglas vom übrigen Innenraum abtrennen.

Konstruktion

Die Stauraumelemente bestehen aus einer Holzständerkonstruktion. Das 144 Quadratmeter große Dach ist aus fünf Hohlkastenträgern – gleichfalls aus Holz – zusammengesetzt. Diese erhalten durch eine Vorspannung mittels Stahlseilen zusätzliche Tragkraft. Üblicherweise wird diese Konstruktionsweise im Brückenbau angewandt. Hier wurde sie nach Aussage des RWTH-Teams erstmals auf ein Gebäude übertragen, um die weite Dachauskragung auch ohne zusätzliche äußere Stützen bewältigen zu können.

Kühlung des Gebäudes

Während der Wettbewerbsphase in Madrid muss die Temperatur im Haus konstant zwischen 23 und 25 Grad Celsius liegen. Um dies zu gewährleisten, verfügt das Counter Entropy House über zwei Systeme zur Raumtemperierung, die beide – was ungewöhnlich ist für Plusenergiegebäude – weitgehend ohne elektrischen Strom funktionieren.

Zum einen ist im Innenraum eine Kühldecke installliert, durch die eine PCM-Dispersion gepumpt wird. Die dadurch erwärmte Dispersion wird in einem Tank gespeichert und nachts über eine Strahlungskühlung wieder abgekühlt. Hierbei nimmt ein Wasserkreislauf die überschüssige Wärme aus der Dispersion auf. Das Wasser wird anschließend auf die Photovoltaikzellen auf dem Dach gesprüht und gibt die Wärme an den kalten Nachthimmel ab.

Das zweite Kühlsystem ist ein Sorptionsklimagerät, das mit adiabatischer Verdunstungskühlung - also gleichfalls mit Kühlwasser - arbeitet. Daneben kann die Luftfeuchtigkeit im Raum durch eine sorptive Entfeuchtung direkt eingestellt werden.

Vor allem die PCM-Dispersion ist eine echte Materialinnovation: Bislang werden Latentwärmespeicher als statische Bauteile eingesetzt, zum Beispiel in Trockenbauwänden. Die Dispersion bietet demgegenüber den Vorteil, dass das System seine Regelbarkeit behält. Das bedeutet, dass sich die Kühlleistung über einen variablen Volumenstrom - ähnlich wie bei einer Fußbodenheizung - erhöhen oder vermindern lässt. Es gelang den Aachenern sogar, dieses High-Tech Material wiederzuverwenden. Der Paraffinrohstoff für die Dispersion stammt aus dem Forschungsbestand einer Klimatechnikfirma. Die Grundlagenforschung und die Herstellung der Dispersion übernahm das Fraunhofer Institut UMSICHT in Oberhausen.

Photovoltaik und Solarthermie

Insgesamt 90 der 144 Quadratmeter Dachfläche werden zur aktiven Solarenergiegewinnung genutzt. Zum einen befinden sich auf dem Dach 13 m2 Solarkollektoren, deren Wärme zur Heizung und Trinkwassererwärmung genutzt wird. Damit die Wärme auch dann zur Verfügung steht, wenn die Sonne nicht scheint, ist im Haus ein 400-Liter-Schichtenspeicher installiert.

Zudem liefern 77 m2 Dünnschicht-Photovoltaikzellen auf dem Dach Strom, der nicht nur ausreichen soll, das Haus tagsüber völlig autark zu versorgen. Es soll sogar möglich sein, Überschüsse in das Stromnetz einzuspeisen oder damit zum Beispiel ein Elektroauto aufzutanken.

Auch in der Wahl der Solartechnik spiegelt sich das „Counter Entropy“-Konzept der Aachener wider. Zwar liefern die Dünnschicht-Solarzellen pro Quadratmeter Fläche geringere Erträge als kristalline Siliziumzellen. Allerdings ist ihre Produktion deutlich energieeffizienter. Betrachtet man die Gesamt-Energiebilanz über den Lebenszyklus der Module, schneidet die Dünnschicht-Photovoltaik besser ab. Mit einer installierten Leistung von 6,75 kWp erreichen die Dünnschichtmodule rechnerisch einen Jahresertrag von 8886,6 kWh in Madrid und von 5451.3 kWh in Aachen.

Recyclingkonzept: Ein zweites Leben für den „Tivoli“

Das Nachhaltigkeitskonzept des Counter Entropy Houses fußt vor allem auf zwei Säulen: Zum einen verwendet das Team Materialien, die bereits einen Nutzungszyklus hinter sich haben. Zum anderen wurden alle verwendeten Materialien hinsichtlich ihres Wasser- und Energieverbrauchs sowie des CO2-Fußabdrucks bewertet.

Beispiele für das Recyclingkonzept sind der Terrassenbelag, für den die Holzträger des ehemaligen „Tivoli“-Fußballstadions in Aachen zu Dielen zersägt wurden, und die Schrankwände im Gebäudeinneren, deren Schubladenelemente aus gebrauchten Möbelteilen hergestellt wurden. Für die Fassaden wurden gebrauchte CDs von ihrer reflektierenden Beschichtung befreit und im Ofen – klebstofffrei – zu Polycarbonat-Paneelen verschmolzen.
Insgesamt, so die Berechnnungen des Counter-Entropy-Teams, spart die Gebäudekonstruktion gegenüber einem Bau aus vergleichbaren Neu- und Standardprodukten rund 27000 kWh Energie und 4600 Kubikmeter „virtuelles“ Wasser ein.


Weitere Informationen zum Solar Decathlon Europe 2012:

www.sdeurope.org Weitere Informationen zum Counter Entropy House:
http://solar.arch.rwth-aachen.de/
https://detail-cdn.s3.eu-central-1.amazonaws.com/media/catalog/product/S/o/Solar_Decathlon_Europe_2012_Aachen_00_TEASER.jpg?width=437&height=582&store=de_de&image-type=image
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