27.06.2017 Maximila Ott

Maximila Ott - GEDANKEN ZU UNORTEN

Foto: Maximila Ott

Parkplätze erleiden ein schlimmes Schicksal. Sie scheinen nicht mehr zu sein als das ungeliebte Resultat der Motorisierung unserer Gesellschaft. Ein Nebenprodukt oder, wie es Joni Mitchell in ihrem Song »Big Yellow Taxi« ausdrückt: »They paved paradise and put up a parking lot«.

Die Plätze erscheinen uns als Inbegriff des Unwirklichen, gebaut um Maschinen abzustellen. Marc Augé bezeichnete sie gar als Nicht-Orte, als monofunktional genutzte Flächen im urbanen Kontext. Der Begriff des Nicht-Ortes mag ein wenig paradox anmuten, daher die Frage: Wodurch wird ein Ort zum Nicht-Ort? Ein Raum wird erst dann zum Ort, wenn ihn seine Identität oder Geschichte auszeichnen. Wer einmal einige Stunden auf einem Busbahnhof verbracht hat, wird mir wahrscheinlich zustimmen, wenn ich diesen als Unort bezeichne. Ähnlich wie in Hotelketten oder in Parkanlagen wird man sich niemals heimisch dort fühlen. Unorten ist es weder möglich, eine eigene Identität auszubilden noch begünstigen sie soziale Beziehungen. Man könnte fast sagen, dass sie ein Zeichen des kollektiven Identitätsverlustes sind.

Die Aussage »Form follows function« trifft wohl auf keinen anderen Gebäudetypus mehr zu als auf Parkanlagen. Zufahrt, Rampe, Stellplätze – im Land der Normen ist alles genau geregelt: Höhe der Zufahrten, maximaler Neigungswinkel der Rampen, Mindestbreite der Abstellplätze von 2,30 auf 5 Meter. Sie dienen nur einem Zweck: dem Abstellen von Fahrzeugen. Das Auto hat einen Zweck und der Parkplatz wiederum dient dem Auto zum Zweck. Allerdings funktioniert dieses System nur, solange der Mensch abwesend ist.

Die Avenida 9 de Julio in Buenos Aires verkörpert die motorisierte Stadt par excellence: Mit ihren sieben Fahrspuren in jede Richtung ist sie die Hauptverkehrsader der Stadt. Beim Überqueren der Straße merkt man als Fußgänger schnell, dass man in der Hierarchie der Straße ganz unten steht. Aber wohin verschwinden die Autos, wenn ihre Fahrer ihr Ziel erreicht haben? Unterwegs durch Buenos Aires fielen mir die Lücken in dem sonst so stringenten Blockraster auf: Leerstellen in einem System. Die übrig gebliebenen, nicht bebauten Parzellen, nur durch die nackten Brandwände der Nachbarhäuser begrenzt. Versteckt hinter einem Zaun und überspannt mit dunklen Netzen öffnen sich Räume, die nur aus Licht und Schatten zu bestehen scheinen. Hier verwandelt sich ein Unort in einen Ort und wird zum abstrakten Raum. Das Lichtspiel wirkt beinahe poetisch und der Ort wirkt wie eine Oase der Ruhe inmitten der großen Stadt.

Ein Unort wird zu einem Ort der Möglichkeit. Aber was ist es genau, dass diesem Unort ein wenig Leben einhaucht? Eigentlich nichts weiter als ein einfaches, aus rein pragmatischen Gründen angebrachtes Netz. Ohne große Planung über die Fläche gespannt, ein rein intuitiver Sonnenschutz, ohne Gestaltungswillen, aus billigsten Materialien. Und doch lässt das Licht, dass durch die Fetzen fällt, den Raum skulptural erscheinen.

»Ort und Nicht-Ort sind fliehende Pole; der Ort verschwindet niemals vollständig, und der Nicht-Ort stellt sich niemals vollständig her – es sind Palimpseste, auf denen das verworrene Spiel von Identität und Relation ständig aufs neue seine Spiegelung findet.« – Marc Augé

An diesen Orten wird etwas Alltägliches und Hässliches für einige Stunden zu etwas Spektakulären. Die Betrachtung ist ein Versuch, Unorte nicht nur als Unorte wahrzunehmen, sondern den Moment der Schönheit im Unperfekten zu entdecken. Der zur Skulptur gewordene Raum fordert uns dazu auf, Orte und Plätze neu wahrzunehmen. Vielleicht sind diese Nicht-Orte gar nicht so nichtig? Vielleicht passiert gerade hier etwas, das nirgendwo sonst passiert. Vielleicht wäre es sinnvoll, diese Orte nicht durch den Mangel an etwas zu definieren, sondern durch ihre Differenz zu anderen Orten, durch ihre Andersartigkeit.

Es geht nicht darum, Unorte aus unseren Städten zu verbannen, denn es wird sie immer geben. Aber es wird deutlich, dass auch Nicht-Orte nicht per se negativ besetzt sein müssen, sondern dass auch sie Orte sind. Und wäre es nicht möglich, dass gerade die Nicht-Orte Raum für Neues bieten? Sie haben noch keinen Stempel auferlegt bekommen, noch keine Geschichte und keine Identität. Bietet nicht genau dieses Unbeschrieben-Sein ein großes Potenzial? Oder – um mit Camus Worten zu enden: Müssen wir uns einen Nicht-Ort nicht als einen glücklichen Ort vorstellen?

Foto: Maximila Ott

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