Mehr Energieeffizienz im Wohnungsbau durch Mobilität, Infrastruktur und Nutzerverhalten

Energieeffizientes Bauen besteht nicht nur aus technischen Aspekten, sondern verlangt nach einem ganzheitlichen, vernetzten Denk- und Entwurfsansatz. Auch Nutzerverhalten, Mobilität und Infrastruktur spielen eine große energetische Rolle und führen erst in Kombination mit der Gebäudesubstanz und -technik zu einer vollständigen Energiebilanz. Diese Systematik zu verstehen und entsprechende Planungsstrategien zu entwickeln, zählt zu den Zielen von Thomas Auer, Professor am Lehrstuhl für Gebäudetechnologie und klimagerechtes Bauen an der Technischen Universität München.

(Foto: womue – Fotolia)

Als Grundlage für künftige Standards im Gebäudesektor steht die EU-Roadmap 2050. Darin ist der politische Wille festgeschrieben, europaweit die CO2-Gesamtemissionen bezogen auf den Stand von 1990 um 80 Prozent zu reduzieren. Betrachtet man die Baubranche isoliert, bedeutet dies innerhalb von ca. 40 Jahren eine Einsparung von 90 Prozent und damit einen mehr oder minder CO2-neutralen Gebäudebestand. „Es braucht sicherlich eine Innovation, die der Gebäudesektor noch nie in diesem Zeitrahmen gesehen hat“, beschreibt Thomas Auer die Anforderungen. Erschwerend kommt hinzu, dass der veranschlagte Zeitraum zumeist nur eine einmalige Sanierung des Gebäudebestands zulässt, so dass heutige Modernisierungsmaßnahmen bereits dem Standard für 2050 entsprechen müssten, um das ehrgeizige Ziel zu erreichen. Es stellen sich also die Fragen, wo sich Einsparungspotentiale verbergen und wie sich die angestrebten Reduzierungen realisieren lassen.

(Grafik: TRANSSOLAR Energietechnik GmbH)

Derzeitige Situation
In der heutigen Baupraxis klaffen zwischen den Zielvorstellungen und der gebauten Realität große Lücken. Zwar nähern sich die Mindestanforderungen der EnEV zunehmend dem Passivhausstandard, zugleich haben sich jedoch die Nutzungsbedingungen verändert. Als einen Grund für die schleppende CO2-Reduzierung nennt Thomas Auer den Anstieg der Wohnfläche pro Person. „Für eine Stadt wie München mit 1,2 Millionen Einwohnern macht dies grob 12 Millionen Quadratmeter zusätzlich benötige Wohnfläche, die zudem beheizt und belüftet werden muss“, führt er aus. Diese Flächen lassen neue Stadtquartiere entstehen oder führen zur Abwanderung in den ländlichen Raum, was wiederum das Pendleraufkommen erhöht. Hier zeigt sich die enge Verknüpfung von Städtebau und Energiebedarf. Es wäre ein Fehler, den Energieverbrauch isoliert an der Wohnfläche zu messen. Eine Studie zum personifizierten Energieverbrauch von Prof. Thomas Stark von der HTWG Konstanz belegt dies. Hier fliessen Faktoren wie Mobilität oder Lebensstandard ebenso mit ein wie die reine Bausubstanz.

Zentrale Parameter eines Stadtmodells (Grafik: TRANSSOLAR Energietechnik GmbH)

Komplexe Betrachtung als Lösung
„Das Problem lässt sich nicht allein durch Technik und Dämmung lösen. Wir müssen das System an sich und seine Zusammenhänge verstehen“, beschreibt Auer seinen Ansatz. Eine ganzheitliche Betrachtung der angestrebten Energieeinsparung erfordert neben effizienter und praxisorientierter Technik eine Berücksichtigung von Mobilität und Infrastruktur, Konsum-, Reise- und Freizeitverhalten sowie von Arbeits- und Wohnorten. Dafür ist jedoch keine neue Verordnung notwendig, sondern vielmehr ein Umdenken aller Beteiligten. Beispielhaft zu nennen ist hier das Projekt 2000-Watt-Gesellschaft in Zürich. Mit einer Zweidrittel-Mehrheit haben die Einwohner Zürichs 2008 in einer Volksabstimmung für eine nachhaltige Entwicklung ihrer Stadt gestimmt. Konkret bedeutet die, dass Zürich seinen Energieverbrauch auf 2000 Watt pro Person senken und damit den CO2-Ausstoss bis 2050 auf eine Tonne pro Person und Jahr senken will. Ein beispielhaftes Planungsdetail der Immobilienbranche ist der Verzicht auf einen Stellplatznachweis, sofern alle Wohneinheiten an die freie Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs angeschlossen sind.
Der Standort an sich bildet eine der wichtigsten Planungsgrundlagen für ein ressourcenschonendes Wohnen. Er ist auf seinen Nutzungsmix, die klimatischen und infrastrukturellen Gegebenheiten zu untersuchen, wobei künftige Entwicklungen wie der Klimawandel zu berücksichtigen sind. Als urbanes Beispiel eignet sich die Stadt Paris. Der schon jetzt zu verzeichnende Anstieg der sommerlichen Temperaturen lässt sich kaum mehr über eine Nachtauskühlung regulieren, da die Gebäudesubstanz als Wärmespeicher wirkt und somit auch die nächtlichen Temperaturen vergleichweise hoch sind. „Wir tun alles, um das Stadtklima aufzuheizen“, beschreibt Thomas Auer die Lage in vielen Metropolen. „Über reflektierende Oberflächen, Gründächer und -flächen lässt sich das städtische Klima reparieren“, fährt er fort. Hohe Dichte bei gleichzeitig guter Durchlüftung führt in einer optimierten Kombination mit den weiteren urbanen Aspekten zu einem neuen Stadtmodell. Im weiteren Schritt lassen sich im Lastmanagement Energieverbrauch, -erzeugung und -verteilung genauer steuern. „Nur in der Kombination beginnen wir zu verstehen, wo auch logische Grenzen sind,“ resümiert Thomas Auer.
Vortrag von Prof. Thomas Auer, Technische Universität München, im Rahmen der fünfteiligen Veranstaltungsreihe „Die Zukunft des Bauens“, veranstaltet von DETAIL research und der Forschungsinitiative Zukunft Bau des BMUB und BBSR am 26. Juni in München zum Thema "Modernisierung des Wohnungsbestands“.
Zur Person
Thomas Auer hat seit Januar 2014 die Professur des Lehrstuhls für Gebäudetechnologie und klimagerechtes Bauen der Technischen Universität München inne und ist geschäftsführender Gesellschafter der Firma TRANSSOLAR Energietechnik GmbH. Dort war er seit seinem Studium der Verfahrenstechnik an der Universität Stuttgart seit 1994 in verschiedenen Funktionen tätig.


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