16.11.2012 schoof@detail.de

Mit Low-Tech in die Zukunft: Drei Experimente aus Italien

Komfortabel, energieeffizient – und erdbebensicher: Diese Eigenschaften beschreiben die Anforderungen an den künftigen Wohnungsbau in Italien und anderen Erdbebengebieten. Drei Experimentalprojekte zeigen, wie dies auch mit sehr einfachen Mitteln und lokalen Ressourcen gelingen kann.
Sicherheit geht vor – das gilt im italienischen Wohnungsbau spätestens seit dem verheerenden Erdbeben von L’Aquila im April 2009. Dass Gebäude immer energieeffizienter sein müssen, ist ohnehin ein Gebot der Stunde. Eine dritte Anforderung ist der Innenraumkomfort – und das bedeutet in mediterranen Ländern vor allem: Temperaturstabilität durch thermische Masse. Traditionell war es vor allem das Mauerwerk, das Masse zur italienischen Architektur beitrug. Doch Mauerwerksbauten sind – im Gegensatz etwa zu Häusern aus Holz - eben nicht besonders erdbebensicher.  Seit einiger Zeit forschen Architekten und Hersteller daher daran, wie sich die Vorteile der jeweiligen Materialien in neuartigen Hybridkonstruktionen verbinden lassen. Dass diese Konstruktionen sich zumeist einfachster Mittel bedienen, hat auch ökonomische Gründe: In Zeiten der Wirtschaftskrise ist gerade im Wohnungsbau für Hightech-Lösungen nur wenig Platz.  Fischernetze und Geröll: Das Haus Lègologica Lègologica ist eine Gemeinschaftsentwicklung der Architekturbüros SA Workshop und BB Studio mit einer Handvoll Firmen unter Federführung des Holzbaubetriebs Denaldi. Das Experimentalhaus gewann 2011 den Wettbewerb „Ecoluoghi“ des italienischen Umweltministeriums und wurde im Sommer 2012 bei einer Ausstellung im Museum MAXXI in Rom erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt.

Namenspatron des Hauses ist ein wohlbekanntes dänisches Baukastensystem aus Hartkunststoff, das heute vermutlich in kaum einem Kinderzimmer fehlt. Die Lègologica-„Bausteine“ sind zwar deutlich größer als beim Vorbild, aber dennoch komfortabel zu transportieren. Sie bestehen nämlich aus Nylonnetzen, ähnlich jenen, wie sie im Fischfang verwendet werden. Diese werden auf der Baustelle mit Erde, Kies und Schotter – eben allem, was der Erdboden an Masse hergibt – gefüllt. Hinter dieser Gabionenwand verbirgt sich indessen ein relativ klassischer Holzbau: Brettsperrholzwände mit außen vorgesetzter Wärmedämmung, obenauf ein Pultdach mit Photovoltaikpaneelen. Damit soll das Minimalhaus die Energieklasse A des italienischen Energieausweises erreichen und überdies einen Teil seines Strombedarfs selbst decken.

Bei Lègologica ist die thermische Masse der erdgefüllten Körbe durch die Wärmedämmung vom Innenraum getrennt. Zu dessen Temperaturstabilität trägt sie mithin nur sehr eingeschränkt bei. Den Sinn der Gabionen sehen die Architekten eher darin, den Häusern zusätzliche Standfestigkeit zu verleihen und auf Fundamente verzichten zu können. Außerdem ließen sich die Fassaden auf einfache Weise begrünen Damit folgt die Ästhetik der Häuser dem Zyklus der Jahreszeiten. Die Haupteinsatzgebiete für Lègologica sehen die Architekten bei Campinghütten, in Öko-Hotels, aber eben auch für temporäre Notunterkünfte, etwa in Erdbebenregionen. Aluminiumröhren und Sand: Das Haus „Med in Italy“ „Med in Italy“ ist derzeit das Vorzeigeobjekt im energieeffizienten Bauen in Italien. Das experimentelle Wohnhaus belegte beim diesjährigen Solar Decathlon Europe in Madrid den dritten Gesamtrang – noch knapp vor den beiden deutschen Teilnehmern aus Konstanz und Aachen. In der Kategorie „Nachhaltigkeit“ errang Med in Italy gar den ersten Gesamtrang im Wettbewerb – und dies liegt nicht zuletzt in seiner intelligenten Konstruktion begründet.

Das Gebäude ist ein Holzständerbau mit außen vorgehängter, hinterlüfteter Fassade aus Membranpaneelen. Interessant ist jedoch die Methode, mit der das Entwurfsteam der Universitäten aus Rom und Bozen thermische Masse in den Innenraum brachte. Auf der Innenseite der Holzständerwand – dort, wo sich üblicherweise die Installationsebene befindet – sind hinter der Wandvertäfelung vertikale, geschosshohe Röhren aus recyceltem Aluminium angebracht. Diese werden vor Ort mit feuchtem Sand gefüllt und anschließend luftdicht verschlossen.

Solar Decathlon Europe

Das Funktionsprinzip der Rohre entspricht dem eines passiven Röhrenradiators. Sie strahlen selbst keine Wärme oder Kälte ab, stabilisieren jedoch die Raumtemperatur – wobei durch die Röhrenstruktur eine  deutlich höhere Wärmeübertragungsfläche zur Verfügung steht.

Solar Decathlon Europe

Das Gewicht der Außenwände bei „Med in Italy“ steigt durch die Röhen auf 230 kg/m2, der U-Wert der Außenwand beträgt 0,149 W/m2K. Die Berechnungen des Entwurfsteams zeigten, dass sich durch diese Konstruktion eine zeitliche Verzögerung der Temperaturverläufe zwischen Innen- und Außenraum um fast 20 Stunden einstellt. Mit anderen Worten: Wenn die Temperatur außen ihren Höchststand erreicht hat, herrscht im Gebäudeinneren eher Abendklima. Ziegelhypokausten und Brettsperrholz: Die „KlimaWall“ Ein auch für den mehrgeschossigen Wohnbau geeignetes Hybridsystem hat die Zeitschrift „Bioarchitettura“ gemeinsam mit einem Konsortium aus Architekten und Firmen aus der Ziegel-, Holzbau und Dämmstoffindustrie entwickelt. Die „KlimaWall“ geht auf eine Idee des Holzbaupioniers Julius Natterer zurück.

Horizontalschnitt durch die Außenwand

Die innerste Wandschale bildet hier ein Brettsperrholzelement mit außenseitiger Dampfbremse. Außen davor befinden sich vertikale Warmluftkanäle aus U-förmigen Ziegeln, ähnlich den Hypokausten römischer Thermen. Die äußere Schale bildet ein Mauerwerk aus gedämmten Füllziegeln, das wiederum verputzt werden kann und erdbebensicher an der Brettstapelwand rückverankert ist.  Mit den Luftkanälen wollen die Entwerfer nicht zuletzt ein Problem ausräumen, das sich im energieeffizenten Wohnungsbau mit kontrollierter Be- und Entlüftung immer wieder stellt – der intelligenten, platz- und kostensparenden Integration der Lüftungsleitungen ins Gebäude. Weitere Informationen zu Lègologica: http://www.legologica.com/ Weitere Informationen zu Med in Italy: http://www.medinitaly.eu/en/homepage Weitere Informationen zur KlimaWall: http://www.bioarchitettura-rivista.it/www.bioarchitettura-onlus.it/home/home/klimawall

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