07.11.2016 Tina Barankay

Modulare Bauformen – Trend oder Zukunftsmodell?

Der Firmensitz der Fertighaus-Firma Kampa ist in modularer Holzbauweise errichtet. Die Haustechnik musste trotzdem vor Ort montiert werden. Foto: Kampa GmbH

Nicht nur im Wohnungsbau steigt die Nachfrage nach günstigen und insbesondere flexiblen Strukturen und Konstruktionen – auch im Objektbau wächst der Bedarf an modularen Bauformen. Standardisiert und kostengünstig, dabei aber individualisierbar und nachhaltig: Allen Anforderungen gerecht zu werden, stellt die Architekten und Planer vor komplexe Herausforderungen. Die Referenten beleuchteten das Thema auf sehr unterschiedliche Weise – die Vorträge spannten einen weiten Bogen, von der Vorproduktion über die Digitalisierung bis hin zur Verwendung innovativer Materialien. Im Fokus stand immer die Frage nach den Zukunftspotenzialen von Vorfertigung und serieller Architekturproduktion.

Round Table: Suffizienz gleich Effizienz?
Bereits im nicht-öffentlichen Round-Table-Gespräch wurde rege diskutiert: Prof. Christian Schlüter von der Hochschule Bochum stellte gleich zu Anfang die Frage nach der Suffizienz und damit nach einem verantwortungsbewussten Umgang mit vorhandenen Flächen: Weshalb müssen Wohnungen eigentlich immer größer und »hipper« werden – sollte nicht auch im hochwertigen Bausegment einfacher und preiswerter gebaut werden? Die langfristige Nutzung von bezahlbarem Wohnraum steht für Andreas Rietz, Referatsleiter für Nachhaltiges Bauen am BBSR (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung), im Vordergrund. Aber erfüllt der Modulbau die Anforderungen der Flexibilität tatsächlich? Prof. Stefan Winter, Leiter des Lehrstuhls für Holzbau und Baukonstruktion an der Technischen Universität München, stellt fest, dass im Bauwesen bis heute kein wirklich industrieller Standard vorhanden ist. Im Fachkräftemangel sieht er einen zwingenden Grund, sich mit Serienproduktion auseinanderzusetzen. Prof. Jan Knippers, Leiter des Instituts für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen an der Universität Stuttgart, bemängelt die in Deutschland übliche Trennung von Planung und Ausführung und führt die durch Regularien beschränkten Baumöglichkeiten als Hürde für innovative Architektur an. Jürgen Bartenschlag, Senior Associate des Architekturbüros Sauerbruch Hutton, verweist auf die vielfältigen Möglichkeiten der modularen oder teilmodularen Vorfertigung mit Holzbauteilen. Je nach spezifischen Projektparametern kann bereits im frühen Planungsstadium eine ressourcensparende und kostengünstige Realisierungsmethode entwickelt werden. In der Vorfertigung von hochpräzisen Fertigteilen sieht Jürgen Bartenschlag zahlreiche Vorteile gegenüber dem konventionellen Bauen – zum Beispiel die Sicherung hoher Qualitätsansprüche, eine die Gewerke übergreifende, integrative Ausführung sowie eine schnellere und effizientere Abwicklung der Baustellen selbst.

Flexibilität im Fokus

Im Anschluss an die Diskussionsrunde nahmen am Nachmittag rund hundert Gäste die Gelegenheit wahr, sich im Rahmen der öffentlichen Veranstaltung im Deutschen Architektur Zentrum eingehend mit dem Thema »Serielle Architekturproduktion« auseinanderzusetzen. Im ersten Vortrag machte Prof. Christian Schlüter deutlich, dass aufgrund der heutigen Gesellschaftsstruktur zukünftig vor allem flexible Grundrisse gefragt sein werden – eine Herausforderung an das modulare Bauen und bei großformatigen Raummodulen schwer zu leisten. Noch in den 1970er Jahren waren modular errichtete Gebäude geprägt von einer Eintönigkeit, die ihnen bis heute anhaftet – doch warum ist das Thema dann jetzt in aller Munde? Nach der Auffassung Christian Schlüters steht der Wunsch nach Zeit- und Kostenersparnis im Vordergrund der öffentlichen Diskussion, der allerdings nicht zwingend mit Vorfertigung zu erfüllen ist. Ein bedeutender Vorteil ist für Planer vielmehr die Sicherstellung der bei energieeffizienten Gebäuden notwendigen hohen Ausführungsqualität. Darüber hinaus führt die Auswahl leichter und damit CO2-optimierter Bauweisen zwangsläufig zu Vorfertigungssystemen. Dabei sind Vorproduktion und ästhetische Gestaltung heute keine unüberbrückbaren Gegensätze mehr. Auch vor diesem Hintergrund ist es allerdings sinnvoll, die Baumaterialien mit Bedacht zu wählen und gleichzeitig individuelle Vorfertigungssysteme anzustreben. So lassen sich die Bausysteme bei Bedarf in kurzer Zeit an die individuellen Besonderheiten der Projekte anpassen. Im Fokus stehe hierbei die erforderliche Minimierung des Tragwerks. Beispielhaft für flexible Wohnbebauung ist das von ihm vorgestellte experimentelle Wohngebäude »Ostersiepen« in Wuppertal, bei dem vorgefertigte Fassadenelemente vor einem reduzierten Skelett-Rohbau verbaut wurden.

Bezahlbarer Wohnraum für alle


Andreas Rietz sieht in der Vorfertigung insbesondere die Chance, Lösungen für bezahlbaren Wohnraum zu finden. Modulares Bauen reicht dabei in seiner Auslegung von der Herstellung konstruktiver Bauelemente über die Fertigung raumgroßer Elemente wie Nasszellen bis hin zum Einsatz von ganzen Wohnräumen oder -einheiten – und umfasst darüber hinaus nicht nur den Rohbau, sondern auch die Gebäudeausstattung. Eine Kostensenkung im Vergleich zu konventionellen Gebäuden könne insbesondere durch eine Prozessoptimierung erreicht werden. Außerdem weist Andreas Rietz darauf hin, dass Fertigbausysteme nicht unbedingt preiswerter sind, durch den Einsatz vorgefertigter Elemente aber sinnvolle Synergien geschaffen werden können. Zwei gelungene Beispiele für nachhaltigen und gleichzeitig bezahlbaren Wohnungsbau sind das Modulvorhaben »Variowohnungen« sowie eine geplante Flüchtlingsunterkunft in Winnenden. Hier zeigt sich, dass eine flexible Nutzung auch bei hoher architektonischer und wohnlicher Qualität möglich ist.

Effizienz durch Vorproduktion?

Prof. Dr. Stefan Winter verweist in seinem Vortrag auf das Ökosystem Wald als perfekte industrielle Produktionsstätte: Die Natur zeigt eindrucksvoll, was die Bauindustrie anstreben sollte. Hier werden verschiedene Materialien und Rohstoffe am gleichen Ort produziert und dafür nur geringe Ressourcen benötigt. Alles ist unterirdisch miteinander vernetzt und die verschiedenen Arten leben flexibel unter einem Blätterdach. Anhand eines siebengeschossigen Holz-Neubaus der Firma Kampa GmbH stellt Stefan Winter den umfangreichen Vorfertigungsgrad der Holzbauweisen einschließlich teilweiser Integration der Haustechnik dar. Gleichzeitig weist er aber auch darauf hin, dass immer noch weite Teile der TGA auf der Baustelle montiert werden müssen. Um die Baustellenzeiten noch weiter zu verkürzen, sei daher eine Weiterentwicklung hin zu einem Industriestandard für vorgefertigte Haustechnik-Module wünschenswert. Für den optimierten Wohnungsbau sollte zudem zukünftig in fertig gelösten Baugruppen gedacht werden, die basierend auf industrieller Fertigung wie ein 3D-Tetris zu Gebäuden kombiniert werden können.

Neue Ästhetik durch seriell produzierte Module

Dass die computerbasierte Fertigung ausdifferenzierte modulare Strukturen ermöglicht, belegt Prof. Jan Knippers, am herausragenden Beispiel des Elytra Filament Pavilon. Die temporäre Installation im Innenhof des Victoria & Albert Museums in London zeigt, wie groß der Gestaltungsspielraum ist, den seriell produzierte und hinsichtlich ihrer Geometrie individualisierte Module bieten. Die durch Roboter gefertigte Dachkonstruktion aus Carbon- und Glasfasern belegt eindrücklich das Potenzial faserbasierter Leichtbausysteme sowie die Möglichkeit zur Entstehung einer besonderen Ästhetik durch innovative Fertigungsarten. Der Elytra Filament Pavilion zeigt beispielhaft, wie digitale Fertigungsprozesse auf der Baustelle aussehen könnten. Er wurde mit optischen Sensoren zur Überwachung der statischen Beanspruchung sowie mit Infrarotsensoren zur Aufzeichnung der Bewegungen der Besucher ausgestattet. Das modulare Konzept ermöglicht somit in Verbindung mit der Fertigung vor Ort und der Auswertung der Messergebnisse eine Konstruktion, die »online« auf Anforderungen aus Statik und Nutzung reagiert.

Einheitlicher Standard für alle
Neue Formen des Holzmodulbaus stellte Jürgen Bartenschlag vor: Das Gebäude MK 4 des Universal Design Quartiers in Hamburg besteht aus 370 modularen Micro-Apartments, die bereits im Vorfeld mit allen haustechnischen Komponenten ausgestattet und inklusive der Einbaumöbel in Österreich vorgefertigt werden. Die fertigen Module – insgesamt werden nur zwei Modultype verwendet – werden anschließend auf den konventionell errichteten Betontisch sechs- beziehungsweise siebengeschossig gestapelt und fertig montiert. Lediglich die modulverbindende Flurdecke besteht aus Stahlbetonfertigteilen – Decken und Wände der einzelnen Module sind aus Brettschichtholz gefertigt und werden ohne jegliche Bekleidung ausgeführt. Während sämtliche Fenster Bestandteil des vorgefertigten Moduls sind, wird die gewebt wirkende Lerchenschalung vor Ort montiert und verleiht dem Gebäude eine eigene Ästhetik.

Durch die Berliner Veranstaltung führte die Professorin Christiane Sauer. Nach den inspirierenden Vorträgen und einer anregenden Diskussion nutzen die zahlreichen Teilnehmer das anschließende Get-together zum intensiven Austausch und zum zwanglosen Networking. Die Veranstaltungsreihe wird bereits seit vier Jahren von DETAIL durchgeführt – in Kooperation mit der Forschungsinitiative Zukunft Bau, dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) und dem Bundesministerium für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Im Fokus steht der Austausch zwischen Architekten und Akteuren aus Forschung, Industrie und Politik, die in ihren Vorträgen über aktuelle Themen referieren und Chancen für neue Märkte aufzeigen.

Nächste Termine und Ausblick

Die nächste Veranstaltung der aktuellen Reihe »Die Zukunft des Bauens« findet am 24. November 2016 im Vorhoelzer Forum an der TU München statt. Unter dem Titel »Digitalisierte Bauprozesse und Methoden – automatisiertes Bauen mit Robotern« zeigen Experten digitale Planungs- und Fertigungsprozesse und bieten einen ganzheitlichen Einblick in die zukünftigen Möglichkeiten der seriellen Fabrikation. Mit der Veranstaltung zum Thema »Einfach bauen« am 2. Dezember 2016 in Stuttgart endet die diesjährige Vortragsreihe und wird dann ab Frühjahr 2017 fortgesetzt.

Informationen zur Reihe »Zukunft des Bauens« und den bisherigen Veranstaltungen unter: www.detail.de/die-zukunft-des-bauens

Das mit vorgefertigten Fassadenelementen gebaute experimentelle Wohngebäude »Ostersiepen« in Wuppertal ist beispielhaft für flexible Wohnbebauung. Foto: Tomas Riehle, Bergisch Gladbach

Das Studentenwohnheim Frankie & Johnny & Nelly in Berlin-Treptow besteht aus Containermodulen aus Cortenstahl, die in Serbien vorgefertigt wurden. Foto: Andreas Rietz

Der Elytra Filament Pavilon im Londoner Victoria & Albert Museum zeigt, dass durch eine computerbasierte Fertigung ausdifferenzierte modulare Strukturen erreicht werden können. Foto: NAARO

Die modularen Micro-Apartments des Universal Design Quartiers in Hamburg werden vollständig, inklusive der Einbaumöbel, vorgefertigt. Abb: © Sauerbruch Hutton / on3studio GmbH

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