13.05.2013

Nachhaltiger Wissenstransfer: Die Konferenz „sb13 munich“ in München


„Implementing Sustainability“ – zu deutsch „Nachhaltigkeit verwirklichen“ - setzt jedoch voraus, dass eine allgemeingültige Nachhaltigkeitsdefinition existiert und allseits akzeptiert wird. Prof. Thomas Lützkendorf, Lehrstuhlinhaber für Ökologie und Ökonomie des Wohnungsbaus am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und Mitveranstalter des Kongresses, ist da zuversichtlich: „Wir haben in der Vergangenheit große Fortschritte bei der Beschreibung und Bewertung von Nachhaltigkeit im Gebäudebereich gemacht. Nun kommt es darauf an, nachhaltiges Bauen auch in der Breite umzusetzen.“

Noch allgemeiner drückt es Prof. Gerd Hauser, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik, aus: Er spricht von nachhaltigem Bauen als „vernünftiges Bauen“, dessen Messbarkeit mit den neuen Zertifizierungssystemen und Labels nun erstmals gegeben sei.

Ein wichtiger Zwischenschritt, so Thomas Lützkendorf, sind vor allem die Entwicklung von Methoden der Lebenszyklusanalyse von Gebäuden – sowohl in ökonomischer als auch ökologischer Hinsicht – gewesen. Mit ihrer Hilfe lässt sich auch die Frage der Wirtschaftlichkeit heute neu beantworten: Es zählen nicht mehr die Baukosten allein, sondern eben auch die Betriebskosten über mehrere Jahrzehnte hinweg.

Sponsoren und Veranstalter der „sb13 munich“: Oliver Schoch (Xella), Norbert Preuss (Preuss Projektmanagement GmbH), Prof. Thomas Lützkendorf (Karlsruher Institut für Technologie), Prof. Gerd Hauser (Fraunhofer Institut für Bauphysik), Prof. Natalie Eßig (Hochschule München) und Sabine Djahanschah (Deutsche Bundesstiftung Umwelt).

„Implementing Sustainability – Barriers and Chances“ lautete das Motto der Konferenz „sb13 munich“, die die TU München, das Karlsruher Institut für Technologie und das Fraunhofer Institut für Bauphsik gemeinsam veranstalteten. Fördermittel kamen vom Bundesministerium für Bau, Verkehr und Stadtentwicklung (BMVBS) sowie von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU).

Ungewohnter Schauplatz einer Konferenz zum Nachhaltigen Bauen: Die Rudi-Sedlmayer-Halle in München wurde zu den Olympischen Sommerspielen 1972 erbaut, blieb jedoch seit 2003 wegen baulicher Mängel ungenutzt. 2011 wurde sie als „Audi Dome“ revitalisiert und dient heute als Spielstätte der Basketballer des FC Bayern München.

Über die „sb13 munich“

Die „sb13 munich“ ist Teil einer Serie von insgesamt 16 Regionalkonferenzen aus der Reihe sb13, die der Vorbereitung der nächsten Weltkonferenz zum nachhaltigen Bauen im kommenden Jahr in Barcelona dient. Angeknüpft wird an Traditionen, die bis in das Jahr 1998 zurückreichen.

Die Serie der sb13-Konferenzen sowie die Weltkonferenz sb14 werden durch iiSBE (die Internationale Initiative für eine nachhaltig gebaute Umwelt), CIB (International Council for Building), FIDIC (International Federation of Consulting Engineers) und UNEP (United Nations Environment Programme) initiiert und begleitet.

Website der „sb13 munich“:
www.sb13-munich.com

Homepage der „sb conferences“:
www.sbconferences.org

Informationen zur Weltkonferenz „sb14“ in Barcelona:
www.sbconferences.org/world-sb14-2
Was Deutschland betrifft, haben Lützkendorf und Hauser sicher Recht. Der Leitfaden Nachhaltiges Bauen des BMVBS, das Bewertungssystem der DGNB sowie das Bewertungssystem Nachhhaltiges Bauen für Bundesbauten (BNB) bilden recht gut das Themenspektrum ab, mit dem sich Bauherren und Planer nachhaltiger Gebäude hierzulande beschäftigen sollten.

Und dieses Themenspektrum ist vor allem eines: ungemein vielfältig. Das spiegelte sich auch in den Vortragsthemen der sb13 munich wieder. Die dreitägige, von rund 450 Teilnehmern aus über 30 Nationen besuchte Veranstaltung befasste sich mit Immobilienbewertung und Wärmebrückenberechnung, Recyclingstrategien für Massivbaustoffe und neuen Erkenntnissen über urbane Wärmeinseln. Vor allem aber standen vier Themen im Mittelpunkt der Tagung: die Lebenszyklusanalyse und Nachhaltigkeitszertifizierung von Gebäuden, Konzepte für Niedrigst- und Plusenergiegebäude, die nachhaltige Quartiersentwicklung sowie die nachhaltige Sanierung von Bestandsgebäuden.

„Sowohl als auch“ statt „Entweder – oder“

Angesichts der Themenvielfalt sieht Thomas Lützkendorf die Aufgabe der Wissenschaft vor allem darin, Handlungssicherheit zu geben: Sie muss definieren, welche Kriterien beim nachhaltigen Bauen wirklich wichtig sind. Bei einigen Zielgruppen scheint ihr dies durchaus gelungen zu sein. In der Immobilienwirtschaft zum Beispiel wird der Begriff „Nachhaltigkeit“ längst operationalisiert. Nachhaltigkeitskriterien fließen zunehmend in die Bewertung von Immobilien mit ein – mit dem Effekt, dass Gebäude ohne Nachhaltigkeitszertifikat immer öfter Preis- und Mietabschläge hinnehmen müssen. Denn Nachhaltigkeit ist zumindest bei Premium-Immobilien zur Normalität geworden – wer sie nicht nachweisen kann, verliert gegenüber dem Marktdurchschnitt an Attraktivität.

Neubauten am Arnulfpark in München. Unter Investoren sind Nachhaltigkeitszertifizierungen – zumindest bei Gebäuden in guten Lagen – bereits zum wesentlichen Kaufkriterium geworden

Natürlich bleibt trotz allem viel zu tun: „Aus der Spitze in die Breite“ müsse das Thema getragen werden, so Lützkendorf. Das gilt sowohl in puncto Wissenstransfer als auch bei der Umsetzung nachhaltigen Bauens in Ländern und Kommunen sowie bei den Bauträgern und Planern vor Ort. Auch viele Prozesse gilt es, neu zu organisieren. Nur wenn nachhaltiges Planen und Bauen möglichst wenig Mehraufwand bedeutet, wird es zum Normalfall werden, meint der Projektmanager Norbert Preuß, einer der Sponsoren des Kongresses. Notwendig ist dafür vor allem mehr integrale Planung statt der bisherigen, in Einzeldisziplinen und Leistungsphase zersplitterten Prozesse. Denn nachhaltiges Bauen bedeute eben keine „Rosinenpickerei von Einzelaspekten“, sondern setzt eine Strategie des konsequenten „sowohl – als auch“ voraus.

Ein „Weiter so“ führt in die Sackgasse – auch ökonomisch


Nicht, dass die Vordenker des nachhaltigen Bauens derzeit überall offene Türen einrennen würden: In vielen Ländern Europas herrscht derzeit ökonomischer Katzenjammer, und viele Unternehmen und Politiker haben daher vordringlich andere Sorgen, als den Gebäudebestand auf eine zukunftsfähige Basis zu stellen.

Doch die Hoffnung, nach der Krise sei alles wie vorher, könnte sich als Trugschluss erweisen. Das meint zumindest Wim Bakens. Der Niederländer ist Generalsekretär des International Council for Research and Innovation in Building and Construction (CIB) und hielt einen der Schlussvorträge der „sb13 munich“. Sein Credo: Um wieder auf die Beine zu kommen, könne die Bauwirtschaft nicht so weitermachen wie bisher. Denn stagnierendes Bevölkerungswachstum und immer geringeres Wirtschaftswachstum führt in Europa langfristig dazu, dass immer weniger gebaut werde und die Umsätze der Bauunternehmen (und Investoren und Planer) stagnierten oder sänken. Das wiederum, so Bakens, macht sie auch für hoch qualifizierte Nachwuchskräfte weniger attraktiv.

Sein Lösungsvorschlag: Alle am Bau Beteiligten müssten zeigen, dass ihr Handeln gesellschaftlich relevant sei. Gerade Architekten dürfte dies nicht allzu schwer fallen; ist ihre Tätigkeit doch immer auch sozial motiviert. Gerade die ‚weichen’, sozialen und gesundheitlichen Aspekte des Bauens kamen bei der „sb13 munich“ jedoch etwas kurz; im Vordergrund standen – in guter deutscher Ingenieurstradition – vor allem die technischen und ökonomischen Themen.

Auf ein weiteres, bisher kaum beachtetes Zukunftsthema wies Prof. Natalie Eßig, die dritte Mitorganisatorin der Veranstaltung, hin: die Anpassung von Gebäuden an den Klimawandel und zunehmende Extremwetterereignisse. Vor allem junge Forscher treibt dieses Thema zunehmend um; ins Hauptprogramm der sb13 munich fand es jedoch noch kaum Eingang.

Zukunftsaufgabe Brückenbau

Trotz der stark technisch-ökonomischen Schwerpunktsetzung bot die „sb13 munich“ ein überaus reichhaltiges Programm an Vorträgen und Diskussionsrunden, bei dem sich der Eindruck verfestigte: Die Bestrebungen um nachhaltiges Bauen werden uns erhalten bleiben. Sie sind viel zu tief in der Forschung, der Industrie und – inzwischen auch – der Gesetzgebung verankert, als dass sie demnächst verfliegen würden wie so manch anderer kurzlebiger Architekturtrend zuvor.

Vor diesem Hintergrund hätte die „sb13 munich“ noch weitaus mehr Teilnehmer verdient gehabt, insbesondere solche aus der Planungspraxis und der Industrie. Denn obwohl hier Architekten und Ingenieure, Bauphysiker und Immobilienökonomen miteinander diskutierten, waren die Akademiker bei dem Kongress mehr oder minder unter sich. Und das, obwohl im Organisationskomitee eigentlich alle relevanten Verbände vertreten waren – der BDA und die Bundesarchitektenkammer und die bayerische Ingenieurkammer und der Verband der bayerischen Bauindustrie. Sie sind künftig gefordert, ihren Mitgliedern viel stärker als bisher den Brückenschlag Richtung Forschung nahezulegen. Denn nur, wenn er gelingt, werden Deutschland und Europa auch weiterhin ihrer Vorreiterrolle in puncto nachhaltiges Bauen gerecht werden können.

Aber auch die Ausrichter künftiger „sb“-Konferenzen werden sich Gedanken machen müssen, ob sie weiterhin in akademischen Zirkeln diskutieren oder ihre Veranstaltungen einem breiteren Fachpublikum öffnen wollen. Für Letzteres werden neue Präsentationsformate und wahrscheinlich auch neue Themen erforderlich sein.  Sicher: Nicht jedes Forschungsvorhaben muss sich an einer direkten Umsetzbarkeit messen lassen. Doch gerade in einem so drängenden Zukunftsthema wie dem nachhaltigen Bauen ist der ständige, direkte Austausch mit der Planungs- und Baupraxis unentbehrlich.

(Jakob Schoof)

Von Nachhaltigkeit spricht heute jeder – und vielfach stößt der Begriff genau deswegen schon wieder auf Ablehnung. Aber was genau ist „nachhaltiges Bauen“ eigentlich? Eine Spurensuche auf der Konferenz „sb13 munich“, die Ende April in München stattfand.
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