30.03.2015 Karl Lorenzini

»Nicht jeder Mensch braucht dieselben Farben«

Der deutsche Architekt und Philosoph Axel Buether plädiert für einen sorgfältigen Umgang mit Farben in der Architektur. Der Professor für Didaktik der visuellen Kommunikation sagt im Interview, wie wir auf Farben reagieren und warum die Kenntnisse darüber nach der Moderne verloren gingen. Wann empfinden wir Räume als angenehm oder bedrückend?

Uns Menschen prägt, dass oben immer hell und unten immer dunkler ist. Das kommt aus der Natur, wo oben immer die Sonne, das Licht ist. Bei der Orientierung im Raum ist es entscheidend, woher das Licht kommt. Es ist wichtig, dass wir eine klare Orientierung im Raum schaffen und mit Tageslichtbezug arbeiten. Mit Farben oder mit dem Einsatz von Kunstlicht kann man dies zusätzlich unterstützen. Normalerweise werden Lampen immer oben angebracht, um die Empfindung der Orientierung zu unterstützen. Ansonsten erhalten die Räume einen höhlenartigen Charakter, und wir ermüden darin viel schneller.

Axel Buether, Foto: Nikolaus Brade

Welches sind allgemeine Tipps zur Verwendung von Farbe und Licht in der Architektur?

Grundsätzlich gilt: Je heller die Farben eines Raumes sind, desto aktivierender wirkt er. Dunklere Farben beruhigen eher und bringen uns zur Ruhe. Heute weiß man auch, wenn die Lichthelligkeit in einem Raum runtergeht, schwindet auch die Aufmerksamkeit der Nutzer. Darum gibt es die Vorschriften über minimale Beleuchtung in öffentlichen Räumen wie Schulen und Bildungsstätten. Sie kennen das: Vorne in einem Klassenzimmer läuft der Beamer, während die Schüler im abgedunkelten Raum in kurzer Zeit wegdösen. Es ist aber auch wichtig, dass man in Bildungsräumen einen Außenbezug und eine bestimmte Grundhelligkeit hat.

Was kann man mit der Beleuchtung von Räumen erreichen?

Helligkeit erzeugt Aufmerksamkeit, das lässt sich zum Beispiel im Theater schön beobachten. Derjenige Schauspieler, der im Scheinwerferlicht steht, kriegt normalerweise die größte Aufmerksamkeit.

Was können Farben in einem Raum ausrichten?

Bei der Farbigkeit von Räumen gilt es, zu beachten, welches die jeweilige Nutzung ist. Man geht zum Beispiel die wichtigen Räume eines Gebäudes durch und bestimmt die Farbigkeit nach Art der Nutzung der Räume. Dadurch schafft man für den Benutzer Orientierung und einen angenehmen Aufenthalt. Es geht eigentlich weniger um den absoluten Farbton als vielmehr um seine Sättigung. Habe ich zum Beispiel einen komplett rot gestrichenen Raum, dann färben sich auch alle anderen Dinge rot und auch die Haut der Menschen. Es kommt also zu einer Um- und Entfärbung von allem, was sich in diesem Raum befindet. Dies wiederum erschwert die OriOrientierung und gibt oft auch falsche Signale. Gefährlich wirds, wenn ich einen Raum, dessen Verwendung ich nicht genau kenne, stark einfärbe.

Wären dann weiße Räume die Lösung?

Es ist ein Irrglauben, dass Weiß optimal ist für Räume. Zwar ermöglicht man jede Nutzung in einem solchen Raum, das hat aber auch Nachteile. Heute gestaltet man Spitäler und Kliniken farbmäßig eher so, dass sich die Besucher wohlfühlen. Man muss sie nicht mit weißen Räumen von der Hygiene und Sauberkeit der Institution überzeugen. Weiß ist nicht neutral, sondern wirkt hygienisch, sauber und kühl. Auf Kinderstationen hat man z. B. nachgewiesen, dass die Kleinen sich in klinisch reinen weißen Räumen sehr unwohl fühlen, was den Gesundungsprozess behindert. Gerade im geschwächten Zustand braucht der Mensch ein Gefühl von Heimat und Geborgenheit, das vertraute Farben im Zusammenhang mit einer sensiblen Oberflächen- und Lichtgestaltung vermitteln.

Wie sieht es bei Privat- oder Arbeitsräumen aus?

Bei der Gestaltung von Wohn- und Arbeitsräumen stellt sich immer die Frage, wie viel Farbe der Mensch braucht. Nicht alle mögen dieselben Farben in derselben Intensität. Das sieht man gut bei der Bekleidung. Jeder ist da ein bisschen anders. Es gibt kulturelle Unterschiede bei der Empfindung von Farben. Jeder Mensch hat seine Farbheimat, aus der er kommt. Das sind in aller Regel die Lokalfarben, die einem während längerer Zeit umgeben. Man spricht auch in der Architektur immer häufiger von den bestimmenden Farben eines Ortes. Genau, in Zürich gibts zum Beispiel aktuell eine Untersuchung vom Haus der Farbe bezüglich Farbigkeit der Stadt. Da wird geguckt, welche Farben wie häufig an einem Ort vorkommen und ob sie zum Beispiel für eine bestimmte Epoche dieses Ortes stehen. Zusammen mit den Farben des Himmels und der Umgebung ergibt das einen sogenannten Farbklang. Ich habe das mal in Deutschland untersuchen lassen und festgestellt, dass schon nur innerhalb Deutschlands verschiedene Farbigkeiten herrschen. Geht man zum Beispiel weiter nach Norden Richtung Schweden oder Finnland, stellt man fest, dass sich die örtliche Farbigkeit sehr stark von der unseren unterscheidet.

Installation »Farbrausch«: bewegter Farbteppich aus mehr als 5500 einzigartigen Farbkarten von Studenten der Höheren Fachschule für Farbgestaltung in Zürich. Foto: Lino Sibillano, Zürich

DETAIL Praxis: FARBE

Entwurfsgrundlagen, Planungsstrategien, Visuelle Kommunikation
Herausgegeben von Axel Buether, Februar 2014, 120 Seiten mit zahlreichen Zeichnungen und Fotos, Format 21 x 29,7 cm, ISBN 978-3-920034-96-6
Was kann der Architekt eigentlich alles mit Farbe tun?

Er kann die Material- und Oberflächenbeschaffenheit von Decken, Wänden und Böden betonen. Mit einer sorgsamen Abstufung von Farbigkeiten kann man den Charakter eines Raums beeinflussen oder kann wichtige Dinge akzentuieren.

Interview erschienen in modulor 01/2015, S. 42 – 45. Mit freundlicher Genehmigung des Chefredakteurs Roland Merz.

Was bedeutet das für die Farbgebung in einer Stadt?

Identität – also wo ich herkomme – hat stark mit den Farben der Umgebung zu tun, in der ich aufgewachsen bin. Die Wiedererkennbarkeit stellt auch immer Identität her. Ich wünsche mir, dass die farbliche Identität eines Ortes respektiert, vielleicht sogar fortentwickelt wird. Sie sollte nicht negiert werden, und man sollte nicht achtlos damit umgehen. Wenn es nicht dem Zweck des Entwurfs entspricht, sollten Farben vermieden werden, die aus ganz anderen kulturellen Hintergründen kommen. Vielfalt kann zu Beliebigkeit und Desorientierung führen, wenn sie nicht vom Menschen her gedacht ist. Jeder Ort, jede Region verfügt über Individualität, die ihn/sie auszeichnet und die man als kulturelles Erbe bewahren und behutsam fortentwickeln sollte. Wie sieht es aus bei der Farbe von Baumaterialien?

Früher war vor allem der Transport von Baumaterial teuer, nicht das Material selbst. Darum hat man eigentlich immer die Rohstoffe zum Bauen verwendet, die leicht heranzuschaffen oder vor Ort vorhanden waren. So hat sich über die Jahrhunderte eine Lokalfarbigkeit im kulturellen Bereich aus den zur Verfügung stehenden Baumaterialien und Farben entwickelt. In Indien beispielsweise kommen viel mehr Farbstoffe in der Natur vor. So ist es nicht erstaunlich, dass hier auch eine viel größere Farbigkeit herrscht. Für einen Menschen aus Indien können also sehr bunte Häuser viel vertrauter wirken als für einen Nordeuropäer.

Warum löst der Anblick von Holz und Holztönen bei den meisten Menschen etwas Positives aus?

Die visuelle Wahrnehmung einer Farbe prägt unsere Erwartungshaltung in Bezug auf die haptischen Eigenschaften von Atmosphären und Materialien. Der Blick aus dem Fenster vermittelt uns ein Gefühl für die Temperatur des Außenraums, das einen guten Schätzwert abgibt und uns bei der Auswahl der Kleidung oder Planung von Aktivitäten hilft. Es gibt viele Indikatoren für die Abschätzung der Eigenschaften von Oberflächen, auf deren Berührung wir uns einstellen, wenn wir uns durch einen Raum bewegen. Farbe wirkt auf unser Verhalten, was uns z.B. das Leben retten kann, wenn wir im Auto gerade noch rechtzeitig die Geschwindigkeit mindern, bevor wir einen überfrorenen Streckenabschnitt befahren. Bei vielen intuitiven Verhaltensanpassungen spielt die Farbe eine bedeutende Rolle. So ist es auch mit dem Holz, dessen vielfältiges Farbspektrum immer warm und haptisch angenehm wirkt. So würden wir uns sicher lieber die Schuhe ausziehen und barfuß über einen Holzboden laufen, als einen weißen Marmorfußboden mit nackten Füßen zu betreten. Beide Farbwahrnehmungen sind ganz unterschiedlich, da sie Erfahrungswerte aus dem Zusammenwirken unterschiedlicher Sinne widerspiegeln, die sich tief in unserem Farbgedächtnis verankert haben. Spezielle Häuser könnten aber schon andersfarbig sein?

Schon früher wurde für herausragende Bauten wie Kirchen oder Paläste viel Geld ausgegeben. Das heißt auch, es konnten andere Farbpigmente gekauft werden, die dann die Gebäude anders ausschauen lassen. Diese Häuser zeigten auch in der Hierarchie der Stadt an, dass sie etwas Besonderes sind. Wenn man nun diese Farben plötzlich überall einsetzt, kommt einiges durcheinander. Das ist vergleichbar mit der Höhenentwicklung einer Stadtsilhouette. Die herausragenden Bauten wie Rathaus oder Regierungssitz durften schon immer aus der Reihe tanzen. Wenn das plötzlich alle tun, entsteht ein wildes Durcheinander. Eines muss festgehalten werden: Dadurch, dass heute fast alle Farben überall erhältlich sind, funktioniert die Hierarchisierung der Gebäude mittels Farbigkeit in einer Stadt nicht mehr.

Kriegen Architekten in der Ausbildung zu wenig mit über Farbe?

Früher genoss das Farbenstudium in der Ausbildung einen großen Stellenwert. Mit Einzug der Moderne und den weißen Bauten ging die Bedeutung in der Ausbildung aber zurück. Meine These ist, dass man mit dem Einsatz von Farbe als Gestaltungsmittel in dem Moment aufgehört hat, als man sie als Ornament identifizierte und mit anderen Dingen »über Bord« kippte.

Wann kam dieser Bruch?

In der Moderne machte man zwischen Farbe und Form keinen Unterschied, die waren gekoppelt. Man machte keine Formentscheidung, ohne sich nicht zu überlegen, welche Farbigkeit und welche Belichtung das Objekt haben sollte. Das ist irgendwann verloren gegangen. Ich kenne das vor allem aus deutschen Architekturausbildungsstätten. Da wird zuerst der Entwurf gemacht, und hinterher überlegt man sich, welche Farbigkeit passen würde. Es wäre auch mein Plädoyer, dass man sich schon früh im Entwurfsstadium überlegt, welche Farbigkeit und welche Belichtung die Räume haben sollen.

Museum Brandhorst in München, Architekten: Sauerbruch Hutton, Berlin. Foto: Frank Kaltenbach, München

Woran sollen sich Architekten bezüglich der Farbgebung ihrer Bauten orientieren?

Ich empfehle immer, sich an der Lokalfarbigkeit zu orientieren. Genauso wie man die gewachsene Formensprache einer Umgebung untersucht, sollte man die gewachsene Farbigkeit eines Bauortes kennen. Dann kann man sich überlegen, in der Farbigkeit behutsam weiterzugehen oder sich auf die vorhandenen Farben zu besinnen. In jedem Fall sollte sich ein Gestalter sehr bewusst mit den Wirkungen von Farben im Raum auseinandersetzen, die sowohl Orientierung und Identität als auch Brüche und Störungen im Stadtbild vermitteln können. Welcher Architekt hat Farbe vorbildlich eingesetzt?

Taut hat in der frühen Moderne industriell und ökonomisch gebaut und hat über Gliederung mit Farbigkeiten Individualität und Orientierung geschaffen. Er versuchte das Prinzip des modernen, standardisierten Bauens mit dem Individualitäts- und Orientierungsanspruch der Menschen zu kombinieren. Das gabs also alles schon in der frühen Moderne, und ein Stück weit ging das in der Nachkriegsmoderne verloren. Meiner Meinung nach findet aber in jüngster Vergangenheit eine Rückbesinnung auf das Potenzial der Farbe als Gestaltungsmittel statt. Bei Herzog & de Meuron hat man das schon vor Jahren kommen sehen, als sie zum Beispiel Fassaden bedruckten oder mit gefärbtem Beton arbeiteten.

Wie sollten Farben heute am Bau eingesetzt werden?

Ich vergleiche das immer mit dem Kochen. Der gelernte Koch weiß, was er für ein Gericht braucht. Und so wie der Koch Profi am Herd ist, ist der Architekt der Profi im Raum. Kraft seiner Profession sollte es ihm also ein Anliegen sein, vom kulturellen Reichtum der Region, in der baut, zu profitieren. Falls man nicht über die Kompetenz in diesem Gebiet verfügt, sollte man das unbedingt nachholen.

Welche Fragen sollte sich der Architekt bezüglich Farbe immer stellen?

Es gibt ein paar grundsätzliche, die man sich als Architekt bei jedem Bauwerk überlegen sollte: Was ist schon da? Wie füge ich mich ein? Wie grenze ich mich ab? Hier rede ich noch gar nicht von schön und hässlich, hier bin ich nur dabei, rein funktionale Kriterien zu definieren. Gerade bei öffentlichen Gebäuden kann Farbe einen erheblichen Beitrag zur besseren Orientierung im Gebäude leisten. Weiter sollte sich der Architekt fragen, welche Oberfläche sich visuell gut anfasst. Und wie müssen Oberflächen – von der Farbigkeit wie von der Struktur her – gestaltet sein, damit die Benutzer ein gutes Gefühl kriegen?
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