27.09.2010 Jakob Schoof

Ohne jede Regel: 12 Utopien für Frankfurt am Main

Die Kraft architektonischer Utopien will derzeit nicht nur die Ausstellung im deutschen Pavillon auf der Architekturbiennale in Venedig zeigen, sondern auch das Historische Museum der Stadt Frankfurt. „Wenn Architekten träumen dürften“, so der Ausstellungstitel, unter dem sie Zukunftsvisionen von 12 Frankfurter Architekturbüros zeigen.


Wie sehen sie aus, die Sehnsüchte deutscher Architekten? Lange wurde diese Frage in der Öffentlichkeit nicht mehr so intensiv diskutiert wie heute. Ein Auslöser ist sicher die Ausstellung im deutschen Pavillon in Venedig. Doch diese liefert auf die Frage eher dürftige und bisweilen rätselhafte Antworten – wirklich mitreißende Zukunftsvisionen sind unter den 180 dort gezeigten Skizzen rar.

Etwas konkreter geht es in der Ausstellung „Wenn Architekten träumen dürfen“ im Historischen Museum Frankfurt zu. Die Regionalredaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hatte 12 Frankfurter Architekturbüros gebeten, Zukunftsentwürfe für die Main-Metropole zu liefern. Ihre Motivation beschreiben die Organisatoren so: „Projektentwickler, Investoren, Politiker, Denkmalschützer, Medien, Stadtplaner, Genehmigungsbehörden, Nutzer – viele Instanzen und Kräfte üben Einfluss aus, wenn ein Gebäude Gestalt annimmt. Der Architekt ist nur einer unter vielen Beteiligten. Seine Entwurfsfreiheit ist begrenzt, womöglich sogar besonders stark in Frankfurt …“

Eben deshalb sollten die 12 Entwürfe weder auf Budgets noch auf Gesetze, Eigentumsverhältnisse oder die öffentliche Meinung Rücksicht nehmen. In anderen Worten: Sie sollten genau das widerspiegeln, was die Stadt und ihre Bürger nach Meinung der Architekten am ehesten benötigen. Und die Bürger können im Museum antworten: Mittels Klebepunkten, die jeder Besucher beim Eintritt erhält, stimmen sie im Rahmen der Ausstellung über ihre Lieblingsprojekte ab.
Viele der Architektenvisionen, die noch bis zum 3. Oktober im Historischen Museum in Frankfurt gezeigt werden, muten auf den ersten Blick vertraut an: Da werden Pavillons mit weitgehend undefinierten Nutzungen für den öffentlichen Raum präsentiert, energetisch selbstversorgende Hochhäuser oder eine „Stadtloggia“ für den Platz an der Hauptwache. Die Architekten Meixner Schlüter Wendt schlagen vor, die Hochhäuser der Stadt mit Stegen zu verbinden. Der „Skywalk“, den sie vorschlagen, ist weniger als Wegeverbindung von einem Gebäude zum nächsten gedacht, sondern als öffentlicher Erlebnisraum ähnlich der „High Line“ in New York.

Rendering: Meixner Schlüter Wendt Architekten

Das Ziel, neue Kultur- und Freizeitangebote an bislang unzugänglichen oder wenig genutzten Orten zu schaffen, verfolgten gleich mehrere Entwürfe. Gemessen am Abstimmungsergebnis, hält sich die Begeisterung der Frankfurter über diese Ideen jedoch in engen Grenzen. Auf wenig Zustimmung stieß beispielsweise Jürgen Engels Vision eines Kulturzentrums am Basler Platz. Auf dem vielbefahrenen Verkehrsknoten südlich des Hauptbahnhofs will Engel eine Gerüst- und Containerarchitektur mit Video-Screens errichten, an der die russischen Konstruktivisten sicher ebenso ihre Freude gehabt hätten wie die „Revoluzzer-Architekten“ der 68er-Generation rund um Archigram oder der frühe Rem Koolhaas.

Rendering: KSP Jürgen Engel Architekten

Eine „schwebende“ Architektur mit deutlich größerer Reichweite (und größerem Potenzial für kontroverse Diskussionen) hat Bernhard Franken entworfen: Er möchte über der Frankfurter Haupt-Einkaufsstraße „Zeil“ ein neues Flughafenterminal errichten, das über eine Magnetschwebebahn an den „echten“ Flughafen angebunden ist. Was zunächst anmutet wie die Horrorvision eines durchgedrehten Investoren, weist in Wirklichkeit auf ein Problem der Stadt Frankfurt hin: den Standortwettbewerb zwischen Innenstadt und Flughafen. Letzterer entwickelt sich immer mehr zur „Airport-City“, die Kaufkraft und Mieter aus der City abzieht. Und nur ein Bruchteil der Fluggäste, die täglich in Frankfurt (zwischen)landen, besucht tatsächlich die Frankfurter Innenstadt. Beide Probleme möchte Franken mit seinem Entwurf lösen, der die „Zeil“ bis auf 8,5 Minuten Fahrzeit an den Flughafen heranrücken würde.

Die beim Publikum beliebtesten Entwürfe verzichten dagegen weitgehend aufs Bauen. Sie befassen sich mit eher alltäglichen Fragen und mit dem Wechselspiel zwischen Architektur und Stadt. Auf den ersten Blick simpel mutet die Vision einer Architektengruppe rund um Ferdinand Heide an: Sie möchte die Frankfurter Wallanlagen, einen 23 Hektar großen und 4 Kilometer langen Grüngürtel rund um die Innenstadt, wieder als solche erlebbar machen. Die Grenze zwischen Bebauung und Grün soll klarer werden und Letzteres dadurch Aufenthaltsqualität gewinnen. Welche Sprengkraft die Idee besitzt, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, welche Bauten in den Wallanlagen liegen und im Rahmen dieser „Flurbereinigung“ abgerissen werden müssten: die Städtischen Bühnen, zwei Hotels, ein Alten- und Pflegeheim, das Bürgeramt und das Hospital zum Heiligen Geist.

Rendering: Bernhard Franken Architekten

„Schwarzbrot-Stadtplanung“ ist verglichen hiermit der Entwurf von Stefan Forster. Er hat neue Typologien für Frankfurts Innenstadtstraßen entwickelt, will den Autoverkehr aus ihnen zurückdrängen, Vorgärten neu begrünen und Baumreihen anlegen. Das Bordellviertel am Bahnhof soll auf diese Weise allmählich wieder zum Wohnviertel werden. Die Innenstadt als Zuhause – es wundert nicht, dass Forsters Entwurf einer der Publikumslieblinge bei der Ausstellung war.

Rendering: Stefan Forster Architekten

Ein bezaubernd leichtes Stück Architektur haben schließlich die Architekten Scheffler + Partner gemeinsam mit Achim Menges für das Frankfurter Mainufer entworfen. Die Kuppelkonstruktion, die entfernt an Frei Ottos Multihalle in Mannheim erinnert, besteht aus feinen Rippen mit dazwischen liegenden Schuppen, die sich bei Regen selbsttätig schließen und bei Sonnenschein wieder öffnen. Das Funktionsprinzip haben die Architekten bei einem Tannenzapfen abgeschaut, der je nach Witterung ein ähnliches „Kunststück“ vollführt. Die Verbindung aus Bionik und digitalen Entwurfsprozessen, die dem Entwurf zugrunde liegt, ist eines der Steckenpferde von Achim Menges, der früher digitales Entwerfen an der AA in London lehrte und derzeit Professor in Stuttgart und Harvard ist.

Wenn Architekten träumen dürften
Ausstellungsort: Historisches Museum Frankfurt
Dauer: noch bis 3. Oktober 2010

Zur Website des Historischen Museums Frankfurt

Renderings: Scheffler + Partner

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