29.07.2009

Prototyp erdbebensicherer Selbstbau

SHELLter ist ein von Studenten und Laien im Selbstbau errichtetes Gebäude aus Naturmaterialien wie Holz, Pfahlrohr und Lehm. Ein Entwurfsteam der Università di Roma Tre unter der Leitung von Dr. Stefan Pollak vom Fachbereich Entwerfen und Architekturstudien (DiPSA- Direktor Prof. Andrea Vidotto) hat ein entsprechendes Bausystem entwickelt. Das System eignet sich auch für die im vergangenen April von einem Erdbeben heimgesuchten Gemeinden in der italienischen Region Abruzzen. Es basiert auf vergleichbaren in Peru erarbeiteten Systemen, deren Bauweisen für den Einsatz in den Erdbebenregionen der Pazifikküste und der Andenhochebenen ausgelegt sind.
Um die Machbarkeit dieses Ansatzes zu überprüfen und um Kenntnisse über umweltverträgliche Bauweisen zu vermitteln, haben sich die Architekten der Universität mit der Umweltschutzorganisation Legambiente, Ortsverein Chieti und dem Dokumentationszentrum Lehmbau (CED Terra) in Casalincontrada zusammengeschlossen. Vom 22. bis zum 26. Juni 2009 boten sie einen experimentellen Workshop in der Abruzzen-Gemeinde Roccamontepiano, Provinz Chieti an. Rund zwanzig Architekturstudenten, Freiberufler und interessierte Bürger haben in fünf Tagen dazu beigetragen, einen ersten Prototypen des Bausystems herzustellen.
Aus Peru wurde neben einigen konstruktiven Lösungen, die dem neuen Kontext angepasst wurden, vor allem der low-tech-Ansatz übernommen. Die Konstruktion soll lokal vorhandenes Material nutzen. Die einzelnen Arbeitsschritte sollen so einfach sein, dass sie von nicht spezialisierten Helfern ausgeführt werden können. All dies soll durch eine sorgfältige Vorplanung unterstützt werden, die aber vor Ort ausgeführte Versuche und Entscheidungen nicht ausschließt. Durch diesen Ansatz werden die normalerweise streng getrennten Bereiche der Lehre, der Forschung und der Baupraxis miteinander verschmolzen.
Während des Workshops konnten die Teilnehmer neue Bauweisen erlernen und sie am Bau eines vollständigen Prototyps anwenden. Des Weiteren wurden durch die intensive Zusammenarbeit der Teilnehmer einige Entwurfsentscheidungen verbessert. Damit wurde einmal mehr gezeigt, wie oft diese wertvolle Innovationsquelle durch bürokratische Auflagen oder produktive Abhängigkeiten eingeschränkt wird.
Abgerundet wurde das Programm durch eine Vorlesungsreihe zum Thema Lehmbau und zu anderen umweltrelevanten Themen.
Für die Wände des Baukörpers sind ca. 30 sogenannte „Quincha“-Rahmen geflochten worden.

Auf diese Rahmen wurde, genau wie in den Anden, von Hand eine Lehm-Strohmischung aufgetragen.

Im Gegensatz zur peruanischen Bauweise wurde die Außenwand verdoppelt, um zwischen den Paneelen eine Wärmedämmschicht aufzunehmen. Es ergibt sich eine 25 cm dicke Außenwand, die trotz ihres schweren Aussehens und einer gewissen Masse sehr leicht gebaut ist und ein gutes Klimaverhalten hat. Genaue Daten hierzu sollen im kommenden Herbst durch spezifische Messungen, die der Fachbereich DiPSA am gebauten Prototyp durchführen möchte, erhoben werden.

Eine größere Herausforderung brachte die Dachkonstruktion mit sich. Als Ausgangspunkt wurde das von der peruanischen Ingenieurin Prof. Raquel Barrionuevo entwickelte System Domocaña benutzt. Neben einer leichten Vergrößerung der Spannweiten wurde lokales Pfahlrohr anstelle des resistenteren Bambus verwendet. Das hiesige Arundo donax ist in Mittelitalien sehr verbreitet, quasi zum Nulltarif zu erhalten und verlangt keine langen Importwege.

Durch eine aufwändige Prozedur, in der die Rohre zu einer Schalenform gebogen und gebunden wurden, hat die Struktur eine Stabilität bekommen, die selbst einige der Teilnehmer vor der Fertigstellung nicht für möglich gehalten hatten. Ebenso wie die Wände wurde auch die Dachschale verdoppelt, um eine Wärmedämmschicht und eine Hinterlüftung einzuführen. Auch dies ist ein kleiner Innovationsschritt gegenüber dem peruanischen Modell.

Der gesamte Shellter-Prototyp wurde in nur fünf Tagen vorgefertigt, aufgebaut und ausgefacht. Unterstützung bekam das Team von einigen lokalen Handwerkern, die Ausrüstung und Materialspenden zur Verfügung gestellt haben.

Der Erfolg der Initiative hat die Veranstalter dazu bewegt, sogleich eine Folgeveranstaltung zu organisieren. An gleicher Stelle, in Roccamontepiano, wird vom 14. bis zum 20. September ein Workshop zum Thema „Putze und Abschlussschichten“ stattfinden. Gemeinsam mit Experten haben Studenten und andere Interessierte die Möglichkeit, verschiedene Endbearbeitungen aus Lehm, Kalk und ähnlichen Materialien zu testen. Auf der Suche nach neuen wirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltigen Bauweisen wird selbstverständlich der fertiggestellte Prototyp als „Arbeitsfläche“ fu?r dieses weitere gemeinsame Experiment dienen.
In der Zwischenzeit erörtert die Arbeitsgruppe gerade mit Vertretern der vom Erdbeben betroffenen Gemeinden die Möglichkeit, die erarbeitete Bauweise auf ein kleines kollektiv nutzbares Gebäude anzuwenden, welches im Selbstbau unter Einbindung der Erdbebenopfer gebaut werden könnte.
Die Veranstaltung im September findet im Rahmen der Festa della Terra in Casalincontrada statt.

Wer an einer Teilnahme interessiert ist, kann sich an folgende Adressen wenden:

Centro di Documentazione sulle Case di Terra, (CED Terra), a Casalincontrada (info@casediterra.it) oder

Dipartimento di Progettazione e Studio dell?Architettura (DiPSA) a Roma (pollak@uniroma3.it).
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