11.11.2012 Peter Popp

Radikale Vereinfachung: Parrish Art Museum

Der ursprüngliche Entwurf für das Parrish Art Museum aus dem Jahr 2006 sah einen "Bebauungsteppich" aus additiv komponierten Baukörpern in verschiedenen Größen und Grundrissen vor, nicht aufgetürmt wie beim drei Jahre später realisierten VitraHaus in Weil am Rhein, sondern ebenerdig und frei in die Landschaft komponiert.

Parrish Art Museum, Entwurf 2006

Dann kürzte der Bauherr das Budget - und zwar drastisch. Satt umgerechnet 60 Millionen Euro standen plötzlich weniger als ein Drittel zur Verfügung. Dies zog laut den Architekten eine "radikale, vereinfachte Version des ursprünglichen Entwurfs nach sich." Nur eine positive Umschreibung für den ärgerlichen Umstand kreativer Beschneidung? Die New York Times goutierte die "neue Klarheit im Konzept" jedenfalls nicht. Im August 2009 sah sie im neuen Vorschlag einen "major step down in architectural ambition" und sprach von "creeping conservatism." So selbstverständlich diese Kritik zunächst erscheinen mag: Die Beschneidung experimentellen Freiraums führte in diesem Fall zu einer Fokussierung aufs Wesentliche, denn die zunächst irritierende formale und konstruktive Kargheit des finalen Entwurfs ist sowohl funktional als auch topographisch durchaus begründet.

Willkürlich auf's Grundstück gesetzt? Mitnichten. Das Parrish Art Museum ist ganz auf die Bedürfnisse der Exponate ausgerichtet. Foto: Cully/EEFAS

Es war ein langer Prozess bis die endgültige Form des neuen Parrish Art Museum feststand. Das Ergebnis überrascht mit einer radikal zurückgenommenen, regional gefärbten Architektursprache. Zum Einsatz kamen vorgefertigte, einfach verfügbare Materialien und lokal bekannte Konstruktionsmethoden. Architekten: Herzog & de Meuron, Basel
Jacques Herzog, Pierre de Meuron, Ascan Mergenthaler
Standort: 279 Montauk Highway, Water Mill, NY 11976, USA

Foto: Matthu Placek

In seiner bestechenden Einfachheit erinnert das neue Gebäude an ein traditionelles Langhaus: Der von Ost nach West spannende 200 Meter lange und 28 Meter breite Baukörper, besteht aus zwei parallel ausgerichteten Hallen die über einen langen Flur miteinander verbunden sind. Im mittleren Bereich docken beidseitig Ausstellungräume an. Deren Aufteilung kann mit Trennwänden flexibel gestaltet werden. Das konstruktive Raster aus Stahl sorgt diesbezüglich für größtmögliche Freiheit.

Größtmögliche Neutralität und Flexibilität im Innenraum. Die Kunst wird dominieren. Fotos: Matthu Placek

Die Außenwände bestehen aus vorgefertigten Betonelementen die das Gebäude an den Längsseiten räumlich begrenzen und wie überdimensionale "Buchstützen" in Form halten. Ein über die gesamte Länge laufendes, in die Wand eingelassenes Bankelement knapp über dem Boden verkehrt den eher harschen Beton-Charakter fast in ein liebliches Gegenteil und lädt ein zum Sitzen und Betrachten der Landschaft. Der ausladende Überstand der Satteldachkonstruktion bietet Schutz und Schatten.

Lagerhalle oder Kunstmuseum? Erst im Innenraum werden alle Zweifel zerstreut. Fotos: Matthu Placek

Baubeginn: Juli 2010
Fertigstellung:
November 2012 Bruttogeschossfläche: 3.100 m²
Ausstellungsfläche:
1.098 m² Bauherr: Parrish Art Museum, Southampton, New York
Projektteam:
P. Schmerbeck, J. Barlow, R. Jr. Gaetan, J. Brough, M. Brendao, S. Jacinto, T. Powell, N. Sanderson, L. Schneidewind, C. Young
Möbeldesign:
KGID, Konstantin Grcic Industrial Design, München
Ausführender Architekt:
Douglas Moyer Architect PC, Sag Harbor, NY, USA
Tragwerksplanung:
S.L. Maresca & Associates, Hampton Bays, NY, USA
Haustechnik:
Buro Happold, New York
Landschaftsarchitekt:
Reed Hildebrand Landscape Architecture, Watertown, MA, USA www.herzogdemeuron.com

Foto: Matthu Placek

Das Parrish Art Museum wurde 1897 gegründet und ist die älteste kulturelle Institution am östlichen Ende von Long Island. Der Bestand umfasst mittlerweile 2600 Kunstwerke vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart, darunter Maler und Bildhauer wie Chuck Close, Dan Flavin, Jackson Pollock, Willem de Kooning oder Louise Bourgeois. Eröffnungsausstellung:
Malcolm Morley: Painting, Paper, Process
10. November 2012 - 13. Januar 2013 Öffnungszeiten:
Mittwoch bis Montag 11.00 Uhr - 18.00 Uhr
Freitag bis 20.00 Uhr
Dienstag geschlossen

Parrish Art Museum bei Tag....

...und bei Nacht. Fotos: Matthu Placek

Vor allem sorgt die strenge Nord-Süd-Ausrichtung für gleichmäßige und daher optimale Lichtverhältnisse im gesamten Ausstellungsbereich. Das berühmte Licht des "East End" wird ohne Umwege über die nördlichen Dachflächenfenster in den Innenraum geholt. Die wie zufällig wirkende leicht diagonale Lage des 200 Meter langen Gebäudes auf dem Grundstück ist genau diesem Umstand geschuldet. Außerdem macht die formale Beschränkung des linear durchlaufenden Baukörpers den Weg frei für einen spannungsreichen und unmittelbaren Dialog mit der ebenfalls unaufgeregten Landschaft ringsum.

Parrish Art Museum, Grundriss

Durch ein wertungsfreies Aufgreifen von Alltagskultur entsteht etwas Neues und Eigenständiges.
Fotos: Matthu Placek

Die reduzierte, auf Ort und Region Bezug nehmende Architektursprache des Parrish Art Museum erinnert an die ersten realisierten Bauten von Herzog & de Meuron, die gekennzeichnet sind durch ein unprätentiöses, auf jede Wertung verzichtendes Aufgreifen der Alltagskultur und eine Sensibilisierung für die Objektqualität von Materialien. Diese Haltung beschreibt treffend Gerhard Mack in der Monografie "Herzog & de Meuron 1978-1988": "Eine vorgefundene allgemeine Form wird als Material benutzt, mit dem sich etwas Neues, Eigenständiges schaffen lässt. Die Beziehung zum Gegebenen wird nicht eigentlich Thema. Distanzierungen, Ironisierungen, Abwehrmechanismen entfallen, eher schon ließe sich eine Haltung des liebevollen Respektes konstatieren, die sich nicht davon abhängig macht, ob die vorhandene Bausubstanz hässlich oder schön, ob sie ein gelungener oder schlechter Entwurf ist. Dass sie existiert, gibt ihr ein eigenes Recht und eine Würde der Benutzbarkeit."

Peter Popp

Die Ambivalenz einfacher Materialien: Stahl, Holz, Trapezblech. Foto: Matthu Placek

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